Zum Hauptinhalt springen

»Isolierung führt dazu, daß Militanz eskaliert«

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Gremlizas Gespräche (XI): mit der Beinahe-Bundespräsidentin Luc Jochimsen, Journalistin und kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, über die Politik der Linkspartei, das Verschwinden der Eurokommunisten, eine Reise in den Iran und ihre politischen Konsequenzen daraus

Gremliza: Seit die PDS, jetzt Die Linke, im Bundestag sitzt, gab es dort nur zwei Abstimmungen, für deren Ausgang ihre Stimmen den Ausschlag gaben. Im ersten Fall hat die PDS versagt, als sie zusammen mit den national gesinnten Kräften, sprich: den rechten Flügeln der anderen Parteien, für den Umzug der Regierung und des Parlaments von Bonn nach Berlin stimmte. Im zweiten Fall hat Die Linke tatsächlich Schlimmeres verhütet, als sie durch die Aufstellung ihrer Kandidatin Luc Jochimsen dafür sorgte, daß die Bundesversammlung statt des reaktionären Heuchlers Gauck den konservativen Schnarchsack Wulff zum Präsidenten wählte. Sind sie mit dem soweit zufrieden?

Jochimsen: Natürlich bin ich mit Wulff nicht zufrieden. Er hat schon mit seinen ersten Auftritten gezeigt, warum es keine gute Idee war, ihn zum Bundespräsidenten zu machen. Seine Rede vom Islam, der zu Deutschland gehört, ist so ein typisch modischer, überhaupt nicht durchdachter Satz. Nein, mit Wulff bin ich überhaupt nicht zufrieden. Aber ich bin schon zufrieden, daß es Gauck nicht ist.

Wulff war das kleinere Übel?

Ja. Aber zurück zum Umzug von Bonn nach Berlin. Ich habe mir nie vorstellen können, daß die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern eine Hauptstadt Bonn akzeptieren würden. Die haben vierzig Jahre lang Bonn als gegnerische Hauptstadt erlebt. Und nun sollten sie zu all dem, zu dem sie Ja sagen mußten, auch noch Bonn als Hauptstadt anerkennen. Deshalb war das Votum für Berlin als Hauptstadt eine richtige Entscheidung der damaligen PDS.

Gemessen an dem, was "den Menschen" sonst so zugemutet wurde, wäre die Hauptstadt Bonn die kleinste Zumutung gewesen.

Diese Zumutung hätte einen zu hohen Symbolwert gehabt.

Gerade wegen des überaus gefährlichen Symbolwerts von Berlin hätte eine Partei, die sich links nennt, für Bonn stimmen müssen.

Außerdem hat die Entscheidung eine wirklich interessante Stadt hervorgebracht. Berlin heute, mit einer nach wie vor widerständigen Bevölkerung im östlichen Teil und den Kalten Kriegern in Wilmersdorf, Dahlem und Umgebung - in dieser Spannung zeigt sich, was sich im nationalen Gesamtbrei, wo der eine Teil vom anderen Teil keine Kenntnis nimmt, eben nicht zeigt. Da werden wir politisch noch einiges erleben.

Ich erinnere mich an ein Gespräch in einer Kneipe am Hamburger Großneumarkt, zu dem Sie, damals Redakteurin beim Fernsehmagazin Panorama des NDR, Ihre Freundin Maja Stadler-Euler, damals Vorsitzende der FDP-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, mitgebracht hatten. Wenn uns damals einer erzählt hätte, wir würden Sie, die Sie für ein paar Wochen selbst FDP-Mitglied waren, als Abgeordnete einer, wie es so schön heißt, Nachfolgeorganisation der SED wiedersehen, den hätten wir doch in die Geschlossene gebracht.

Hätten wir das? Ich habe doch aus meinen linken Positionen nie einen Hehl gemacht, auch bei Panorama nicht. Das ist eine Prägung, die ich aus meinem Elternhaus, vor allen Dingen von meinem Vater habe, aus den Jahren nach dem Krieg, in Frankfurt am Main. Da war ich zehn Jahre alt. Das war eine Zeit, die unendlich prägend war für mein Leben. Ich wäre natürlich nie in die SED eingetreten, damals, als wir am Großneumarkt zusammen gesessen haben, und ich glaube, aus guten Gründen. Die PDS, für die ich kandidiert habe, ist eine Reformpartei, die sich so verändert hat wie die italienischen Kommunisten.

Die haben sich so lange reformiert, bis sie sich selbst abgeschafft hatten.

Das Verschwinden der Kommunistischen Partei Italiens ist eine der ganz großen, unverständlichen Tragödien in der Geschichte der Linken in den letzten Jahrzehnten in Europa.

Die italienischen Kommunisten waren halt Leute, die sich von deutschen Sozialdemokraten nur dadurch unterschieden, daß sie Avanti Populo singen konnten. Und wer braucht so was? Sie sagten, die Jahre nach dem Krieg haben Sie mehr geprägt als alles andere. Aber was war damals dort in Frankfurt so besonderes?

Mein Vater ist 1947 in die kommunistische Partei eingetreten. Ihm als Nicht-Nazi hatten vor 1945 zwei Gruppierungen die allerhöchste Achtung abgenötigt: die Mitglieder der Bekennenden Kirche und die Kommunisten. Da er Atheist war, trat er der Kommunistischen Partei bei, die von den Amerikanern in ihrer Besatzungszone zugelassen worden war und in Frankfurt eine ganz bedeutende Rolle spielte. Die KPD hat im Vorbereitenden Verfassungsausschuß an der hessischen Verfassung mitgearbeitet. Sie hatte einen Sozialminister im ersten Kabinett...

... und eine Tageszeitung hatte sie auch.  

Ja, die "Frankfurter Rundschau". Hessen wurde in diesen Jahren von dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn regiert, einem Mann, der als Jurist gegen Freisler in Kassel kämpferisch aufgetreten ist und 1933 in Schutzhaft genommen wurde. Zinn gab uns damals die Hoffnung, Frankfurt werde die Hauptstadt der Bundesrepublik, und nicht Bonn. Mit Bonn und diesem Adenauer-Regime wollten wir nichts zu tun haben - so als könnte man in Hessen, in Frankfurt was Eigenes aufbauen.

Von da an suchte ich nach Gerechtigkeit, nach Wegen, die kapitalistische Ordnung durch Gesetze einzudämmen. Im Gegensatz zu vielen meiner Zeitgenossen hatte ich keine Altnazis als Lehrer in dem Mädchengymnasium in Frankfurt, sondern Lehrerinnen, die unter der Brüningschen Notverordnung entlassen worden waren und nun von amerikanischen Bildungsoffizieren, darunter viele jüdische Remigranten, wieder eingestellt wurden.

Dieses Hessen der frühen Jahre hat mich geprägt. Und 1952 die Prager Prozesse und Todesurteile gegen Rudolf Slansky und zehn andere, mehrheitlich jüdische KP-Funktionäre. Mein Vater ist damals aus der kommunistischen Partei ausgetreten. Das war nicht der Kommunismus, dem er folgen wollte.

Seitdem beschäftigt mich die Frage, was wohl gewesen wäre, wenn wir nach '45 nicht in Frankfurt am Main gelebt hätten sondern in Frankfurt an der Oder. Ich gehe davon aus, daß mein Vater in Frankfurt an der Oder in die SED eingetreten wäre. Ob er wegen der Slansky-Prozesse auch in Frankfurt an der Oder aus der Partei ausgetreten wäre? Und welchen Weg hätte ich dann genommen, als seine Tochter?

Sie haben vorhin bedauert, daß die Kommunisten Italiens verschwunden sind und mit ihnen der sogenannte Eurokommunismus...

Die hatten doch überhaupt keinen Grund zu verschwinden. Sie hatten immer das Richtige eingefordert. Die haben doch keine Schuld auf sich geladen wie zum Beispiel die SED. Die haben immer gesagt, Parteienpluralismus und Wahlen sind das Fundament, auf dem wir für unsere Inhalte streiten.

Das Bekenntnis zum Parlamentarismus und zum Pluralismus bedeutet de facto ein Bekenntnis zum Kapitalismus. Der ist ihr Fundament. Aber um Kapitalismus zu machen, braucht's - jedenfalls seit 1989/90 - keine Eurokommunisten mehr. Und auch keine sozialdemokratische Linkspartei.

Ja, aber was wollen wir? Ich habe neulich in einer Veranstaltung für die Börsenumsatzsteuer plädiert und aus dem Publikum den Zuruf bekommen: „Was soll diese blöde Börsenumsatzsteuer? Wir wollen die Börsen abschaffen!“ Schön und gut: Wir wollen die Börsen abschaffen, weil wir erkannt haben, was dieses Casino anrichtet. Um das aber zu können, und ich bin fest davon überzeugt, daß wir es nicht aus dem Stand können, sondern es nur in Schritten geht, reicht mir schon mal - als erster Schritt, wohlgemerkt - eine Börsenumsatzsteuer. Was kann der Sozialismus heute noch leisten? Viele Menschen wären froh, wenn es uns gelingen würde, diesen Irrsinnskapitalismus zu bändigen, zu reduzieren, einzuengen.

Nur zu. Solange die Mühen solcher Realpolitik die Akteure nicht selbst verblöden. Wissen Sie, was Ihr Parteivorsitzender aus Anlaß der Stuttgart-21-Schlichtung gesagt hat? Er hat gesagt: "Die Stuttgart 21-Schlichtung sollte Vorbild für die Verhandlungen um die Hartz IV-Reform werden. Es muß erstens einen unabhängigen Schlichter geben. Zweitens müssen die Gespräche ergebnisoffen sein. Die Regierung darf weder den Mindestlohn noch höhere Hartz IV-Sätze zu Tabus erklären. Drittens müssen alle Beteiligten am Tisch sitzen, nicht nur alle Bundestagsparteien, auch Gewerkschaften, Sozialverbände und Arbeitsloseninitiativen. Viertens darf es keine Geheimverhandlungen geben, die Gespräche müssen öffentlich sein.“ Das Leben eines Bourgeois ist in der Regel nicht sehr fröhlich, aber wenn er so was liest, von einer Partei, die sich Die Linke nennt, müssen ihm doch Tränen die Waden runterlaufen.

Diese Wald- und Wiesenanleitung ist natürlich nicht von einem starken politischen Ziel geprägt. Nur Diskussion, alles im Dialog: das ist ja gar nichts. Auch die Vokabel „ergebnisoffen“ finde ich, bei allem Respekt vor dem Vorsitzenden, konträr zu dem, was wir wollen. Hartz IV „ergebnisoffen“ diskutieren, das geht nicht. So wenig wie Afghanistan oder Krieg. Wir können nicht sagen, wir machen jetzt mal ein vom Fernsehen übertragenes Schlichtungsgespräch mit Militärs, mit der Rüstungsindustrie, mit Soldaten, die in Kundus waren, mit Herrn Karsai, mit den Amerikanern, und zwar „ergebnisoffen“.

Ergebnisoffen hieße, daß bei der Schlichtung auch rauskommen könnte, mehr deutsche Soldaten zu schicken. Dennoch: Situationen, in denen man über Krieg und Frieden diskutieren kann, gibt es schon.

Ich weiß, was jetzt kommt. Jetzt kommt gleich der Einsatz der Amerikaner und der Sowjets gegen das die Welt überfallende Hitler-Regime. In so einer Situation muß einem Land, das andere Länder überfällt, das einen Genozid plant und beginnt durchzuführen, Einhalt geboten werden. Das sehe ich auch so. Ich meinte mit Krieg und Militäraktionen das, worauf wir uns eingelassen haben, nachdem wir uns von unserer Verfassung verabschiedet haben, die uns mit gutem Grund untersagt hat, politische Ziele militärisch zu verfolgen. Die USA fühlen sich von Afghanistan bedroht. Deswegen marschieren wir an der Seite der Koalition der Willigen dort ein. Oder die Amerikaner finden, Saddam Hussein sei ein Diktator, der sie stört. Also muß man militärisch intervenieren, um einen Regimewechsel herbeizuführen.

Ist das nicht ein bißchen verniedlichend? „Einer, der sie stört"? Saddam Hussein hatte schon etwas mehr verbrochen, als nur die Amerikaner zu stören: Er hat Kurden mit Giftgas bombardiert und Israel mit Raketen angegriffen. Und Afghanistans Taliban haben Al Qaida eine sichere Operationsbasis geboten. Man kann beide Kriege aus guten Gründen für falsch halten. Daß sie ohne jeden plausiblen Grund begonnen wurden, kann man nicht sagen.

Warum mußten sie dann durch eine Lüge begonnen werden? Man hat diese Massenvernichtungswaffenlüge in die Welt gesetzt, weil man selbst den Eindruck hatte, die anderen Argumente seien wohl nicht stark genug.

Je zivilisierter eine Gesellschaft, umso weniger ist sie zu Kriegen zu bewegen und umso mehr muß sie, damit sie einen Krieg billigt, belogen werden. Wenn die Wahrhaftigkeit der Begründung das Kriterium für einen gerechten Krieg ist, war Hitler der ehrbarste Kriegsführer aller Zeiten, denn er hat wahrheitsgemäß gesagt, was er vorhatte: die Juden und die bolschewistischen Untermenschen zu vernichten.

Sie sitzen im Unterausschuß Auswärtige Kulturpolitik des Auswärtigen Bundestags-Ausschusses, zusammen mit Claudia Roth und Peter Gauweiler.

Unter dem Vorsitz von Peter Gauweiler.

Das muß ein schönes Gefühl sein.

Es gab diese fürchterliche Zeit, wo Gauweiler als Staatssekretär im bayerischen Innenministerium verlangt hat, Homosexuelle wegen Aids in eine Art Quarantäne stecken. Aber er sagt selbst, er habe vieles im Lauf seines Lebens umgedacht. Und das hat er auch.

Das habe ich dann nicht mitgekriegt.

Er ist einer der ganz wenigen in der CSU, vielleicht sogar der einzige, der für den Abzug aus Afghanistan ist. Er hat, finde ich, ziemlich klar erkannt, wo die Defizite des europäischen Vertragswerks sind. Deswegen ist er nach Karlsruhe gegangen. Der hat schon umgedacht.

Gegen deutsche Soldaten in Afghanistan und gegen die europäischen Verträge agitieren überall in Europa gerade die rechtsradikalen Parteien. Gauweiler ist da in guter, nämlich in seiner eigentlichen Gesellschaft.

Nein, nein.

Reden wir nicht über Gauweiler, reden wir über Ihre Reise mit ihm und Claudia Roth und noch zwei anderen, deren Namen mir nicht so geläufig sind, in den Iran. Ich habe Ihr Tagebuch im Internet gelesen. Da steht, daß Sie im Flugzeug gesagt bekamen, Sie könnten im Iran nur auf die Straße, wenn sie ein Kopftuch tragen. Dann sitzen Sie in Ghom in einem Palast vor einem Großayatollah, und während Sie auf den warten, wird Ihnen gesagt, es dürfe keine Haupthaar zu sehen sein. Und was machen die drei Damen, die da mitgereist sind? Die richten sich danach, anstatt den Großayatollah mit seinen Vorschriften sitzen zu lassen. Wenn irgendein Funktionär irgendeiner Aberglaubensgemeinschaft meint, er werde nur mit mir reden, wenn ich "Oben ohne" komme oder wenn ich meine Füße nicht wasche oder wenn ich sonst irgendwas mache, was ihm nicht paßt, dann kann der mich mal.

Das verstehe ich nicht, ehrlich gesagt. Wir wußten das ja von vornherein. Wir haben das auch beraten, daß das eine der Bedingungen ist. Es ist ein Gesetz im Iran, daß Frauen in der Öffentlichkeit den Kopf zu bedecken haben.
 
Und wenn die ein Gesetz beschließen, daß Sie eine Burka tragen, dann ziehen Sie auch eine Burka an?

Darüber muß man nachdenken.
 
In ihrem Tagebuch berichten Sie auch über Ihr Gespräch mit dem Präsidenten der jüdischen Gemeinde des Iran, Siamak Marehsedegh.

Das war hochinteressant, ja. Der Antizionist.

Der Antisemit. Ich zitiere aus Ihrem Tagebuch: "Israel kritisiert er scharf: 'Einen Staat, der Menschen so unterdrückt wie Israel sollte es nicht geben. Ich bin Antizionist, wenn wir mehr Zeit hätten, würde ich ihnen dies genau erklären.'" Er redet über Israel, wie es Ahmadinedshad tut. Und Sie notieren: "So haben auch viele Zeitgenossen Herzls geredet."
 
Unendlich viele Juden haben das getan.

Vor dem Holocaust, Generationen davor. Theodor Herzls Judenstaat  ist 1896 erschienen. Zu der Zeit hat sehr vielen die Notwendigkeit eines jüdischen Zufluchtsorts noch nicht eingeleuchtet. Sie kannten Pogrome im zurückgebliebenen Osteuropa, aber konnten sich nicht vorstellen, was das Volk der Dichter und Denker ihnen vierzig Jahre später antun würde.

Es gibt auch heute Juden, die gegen diesen Staat sind, weil sie finden, der Staat sei Blasphemie, er nehme etwas vorweg, was theologisch nicht sein darf.

Es gibt unter Juden so viele Idioten wie in jedem anderen Kollektiv. Vielleicht nicht so viele wie bei den Deutschen, aber doch auch reichlich.

Ich habe eine Biographie über Herzl geschrieben, kenne mich in dieser Argumentation also ganz gut aus. Die Juden, die da seit über 700 Jahren im Iran sitzen und wahrscheinlich nicht in den Staat Israel auswandern möchten, haben eine weit über unsere heutige politische Diskussion hinausreichende Haltung gegen einen Judenstaat. Die haben die nun mal.

Es würde dem Herrn Präsidenten der jüdischen Gemeinde des Iran nicht bekommen, wenn er eine andere Haltung zum Judenstaat einnähme.

Das würde ihm wahrscheinlich nicht bekommen. Aber jetzt kommen wir genau an den Punkt: Warum bin ich da hingefahren? Ich bin so naiv, davon auszugehen, daß man, wenn man bestimmte Dinge erfährt, wenn man sie beschreibt und das anderen mitteilt, wegkommt von den Verhärtungen, den Klischees, nach denen Politik heutzutage abläuft. Mir ist Wissen, Erfahrung vor Ort, Beschreibung von Haltungen wichtig, ob die einem die Haare zu Berg' stehen lassen oder nicht.

Was Sie Verhärtungen nennen, ist im Fall der Politik der Islamischen Republik Iran deren Substanz. Da ist nichts aufzubrechen. Die wollen, Ahmadinedschad hat es zuletzt bei seiner Rede im Südlibanon wiederholt, Israel liquidieren. Ganz einfach. Da gibt's nichts zu verhandeln, da ist nichts ergebnisoffen. Entweder man legt dem Ahmadinedschad das Handwerk oder man läßt ihn das machen, was er vorhat.

Wobei es offenbar schwierig ist, die Geistlichkeit auf Ahmadinedschad einzuschwören. Selbst was man im Fernsehen dort sehen konnte, zeigte, daß es gerade innerhalb der hohen Geistlichkeit sehr kritische Haltungen gegenüber Ahmadinedschad gibt.

Nicht zu seiner Israelpolitik.

Nicht zu seiner Israelpolitik.

Und über solche Leute sagen Sie: "Wir müssen von dem Weg der Verteufelung, des Boykotts und der Isolierung runter."

Wir dürfen die sich nicht isolieren lassen.

Warum eigentlich nicht?

Weil Isolierung dazu führt, daß Militanz eskaliert. Länder sind wie wir Menschen. Isolierte, die das Gefühl haben, niemand will mehr was mit ihnen zu tun haben, bauen ein Aggressionspotential auf, das ich für sehr gefährlich halte. Ich glaube, dieses Land mit seiner erstaunlichen Wirtschaftskraft, mit dieser erstaunlichen Wiedergängerei, hat eine Haßliebe zu Amerika. Die möchten am liebsten ein amerikanisches Land sein, mit Islam allerdings. So wie die Amerikaner ein modernes Land sein wollen mit "God bless you". Auch mit dieser Gotteseinverständlichkeit. Ich fürchte, daß da ein unglaubliches Aggressionspotential ist.

Wenn man jetzt das Teheraner Regime boykottierte und nicht mit ihm redete, was passierte dann? Würden es noch aggressiver? Und wie äußerte sich das?

Die würden sowohl aggressiver nach außen wie nach innen. Sie schwören sich darauf ein, daß ein Krieg kommen wird und daß sie für diesen Krieg sich wappnen müssen, das heißt: eine Waffe haben müssen. Daher glaube ich, daß die Isolation immer mehr Zustimmung im eigenen Land für eine Atombewaffnung schafft. Das halte ich für wahnsinnig gefährlich.

Beim Gespräch mit dem Großayatollah, der sehr auf den Wert des Lebens und den Einklang der Natur mit der Gesellschaft abgehoben hat, sagte Claudia Roth: Wie kann man, wenn man das will, sich auf Atomenergie einlassen? Da meinte er, es gebe viel kritische Haltung gegenüber dieser Technologie im Iran. Und das finde ich einen interessanten Ansatzpunkt. Die können diesen Weg gehen, daß sie sagen, auch aus islamischer Sicht vielleicht: Atomenergie: Vorsicht, Vorsicht! oder eben: Uns bleibt gar nichts anderes übrig. Die werden uns sowieso mit einem Krieg überziehen, also müssen wir die optimale Waffe haben, mit der wir uns zur Wehr setzen können, und dann müssen wir sie auch anwenden.

Aber man finanziert nicht die Hizbollah und die Hamas und andere Banden, weil man sich vor Krieg fürchtet.

Das ist schon richtig. Man mußte ja auch als USA nicht die Taliban finanzieren.

Das hätte man gewiß nicht tun sollen. Der Präsident des iranischen Parlaments, Ali Larijani, fragt die Delegation des deutschen Bundestags: "Warum beteiligt sich ihre Kanzlerin an einer Preisverleihung für den Mann, der die Mohammed-Karikaturen gezeichnet hat, diese Beleidigung von Millionen Moslems auf der ganzen Welt?" Sie leiten dieses Zitat mit dem Satz ein: "Da geht es dann um den Umgang miteinander." Daß man sich über Götter lustig machen darf, gehört zu den großen Errungenschaften der Aufklärung, die von allen Aberglaubensvereinen seit jeher bekämpft werden. Das ist keine Frage des Umgangs, der Etikette.

Das haben wir ja auch klar gemacht. Monika Grütters von der CDU, die auch dabei war, hat eine flammende Verteidigung für Angela Merkel gehalten und hat Larijani gesagt, erstens sei das bei uns Teil der Kultur, und zweitens hätte die Kanzlerin, die eine Diktatur erlebt hätte, da eine ganz besondere Sensibilität, für die Freiheit der Kultur einzutreten. Da geht es dann um den Umgang miteinander.

Warum soll es eigentlich solche Kontroversen in einem Saal des iranischen Parlaments nicht geben zwischen einem Parlamentspräsidenten, der sagt, was ihn an Deutschland stört, und uns, die wir dann natürlich gesagt haben, was wir zu kritisieren haben am Iran. Das ist ja nicht die ergebnisoffene Diskussion über Hartz IV, sondern es ist einfach der Versuch, Vorurteile abzubauen, indem man argumentativ nachsetzt und erklärt, warum was wie ist.

Das weiß der Mann genau, das braucht man ihm nicht zu erklären. Der will, daß das Lachen über seinen Propheten verboten wird, und wenn er einen erwischt, möchte er, daß der gehenkt oder gesteinigt wird.

Und dann hat er fünf Leute gegenüber, die ihm sagen, daß dies vollkommen undenkbar ist und bei uns nicht läuft.

Darüber zu reden, was uns im Iran nicht paßt und was den Mullahs in Deutschland nicht paßt, ist auf eine schlimme Art relativistisch. Was dem Iran vorgeworfen wird, sind doch nicht Karikaturen von George Bush oder einem anderen christlichen Propheten, sondern daß dort Frauen, Homosexuelle, Regimekritiker gesteinigt oder aufgehängt werden.

Dann brauchen wir überhaupt nicht mehr mit Menschen oder Politikern in anderen Ländern reden. Ich habe als junges Mädchen gedacht, nach dem Zweiten Weltkrieg und der Hitler-Diktatur werde sich die Welt humanisieren. Jetzt, dachte ich, gibt es noch Staaten, in denen die Todesstrafe gilt, aber es werden weniger. Die Todesstrafe wird abgeschafft. Ich war auch der Überzeugung, Folter würde nicht mehr angewandt. Das war ein Irrtum vom schlimmsten Kaliber.

Folter kommt auch hierzulande immer mal wieder ins Gespräch. Wie ziemlich viele alte und neue Rechte hat Ihr ehemaliger Parteivorsitzender Lafontaine den Polizisten, der in Frankfurt dem mutmaßlichen Entführer des Bankiersohns Metzler Folter angedroht hat, verteidigt.
 
Verstanden hat er ihn. Ich bin mir übrigens auch nicht sicher, ob ich nicht unter dem Eindruck, ich könnte das Leben dieses Kindes vielleicht retten...

Fast jede Folter wird so begründet. Als Marianne Bachmeier den mutmaßlichen Mörder ihres Kindes vor Gericht erschossen hat, wurde ich in einer Hamburger Szenekneipe von der Wirtin gefragt: Hermann, du als Linker, was würdest du tun, wenn das jemand mit deinem Kind macht? Die Antwort: Keine Ahnung, was ich da täte. Aber ich kann meine Reaktion nicht zum Maßstab allgemeiner Gesetze machen. Ich müßte für meine Tat bestraft werden.

Es muß das Prinzip geben, man muß nur selbst seine menschlichen Schwächen kennen und wissen, ob man in bestimmten Situationen das Prinzip, das man vertritt, durchhält.

Das kann jeder für sich klären. Diese Diskussion hat in der Öffentlichkeit, die hat bei Plasberg und Maischberger, auf Parteiversammlungen und im Bundestag nichts zu suchen.

Natürlich kann man den iranischen Führern sagen: Leute, was macht ihr Entsetzliches, daß ihr als Staat das Mittel der Todesstrafe einsetzt, diese Verletzung jeglicher Rechtshumanität? Aber das Problem ist, da kann man ja nicht mehr nach Amerika gehen, da kann man mit keinem chinesischen Politiker reden. Wohin in der Welt kannst du da noch gehen?

Es gibt einen Unterschied. Es gibt eine mehr oder weniger pragmatische Begründung, die heißt Abschreckung. Da kann man argumentieren: Gucken sie sich doch mal ihre Statistik an! Das macht doch keinen Sinn! Sie kommen gar nicht da hin, wo sie hin wollen. Sie erreichen damit nichts. So kann man mit dem Gouverneur eines amerikanischen Bundesstaats reden oder mit einem chinesischen Parteifunktionär. Mit einem Ayatollah darüber zu diskutieren, ob eine Frau gesteinigt werden darf, ist sinnlos. Der will nichts erreichen, der will sie tot haben! Und zwar auf möglichst grausame Weise. Dem kann man nichts beibringen.

Die Iraner sehen das als Teil ihrer Kultur. Es gibt den Satz, daß Unterschiede in der Kultur kein Disease sind, keine Krankheit, kein Fehler, sondern sie müssen als Unterschiede akzeptiert werden. Deswegen sind wir ja von Gesprächspartner zu Gesprächspartner gezogen mit unserer Liste von 30 Fällen Menschenrechtsverletzungen. Da kann man natürlich auch sagen, das ist "Window dressing". Oder du kannst sagen: Vielleicht bewirkt es ja doch was.

Das glauben Sie jetzt selber nicht wirklich? Die deutsche Politik hat unter der Parole "kritischer Dialog" die Entwicklung seit Khomeini begleitet. Im Windschatten dieses kritischen Dialogs wurde der Iran mit deutscher Hilfe chemisch und atomar aufgerüstet. Es haben alle möglichen deutschen Firmen dort hingeliefert, eine Reihe davon dürfte man auf den Spendenlisten der FDP finden. Mir scheint, daß eine Reise dorthin, mit Beteiligung einer linken Kandidatin für das höchste Staatsamt, eher dazu beitragen wird, diese Politik zu prolongieren, als sie zu beenden.
 
Da halte ich aber vollkommen dagegen. Es gibt keinen einzigen Hinweis, daß unsere Reise als Unterstützung der iranischen Regierung gewirkt hätte. Das ist ja richtig mit der deutschen Politik, die ja auch dazu führt, daß, wo man hinkommt im Iran, die immer sagen: "Ihr Deutschen, ihr seid eher an unserer Seite als andere." Unsere Reise war der Versuch, sich vor Ort zu informieren und Gespräche aufzunehmen. Ich lasse mich davon nicht abbringen: Solange man Gespräche führen kann und nicht darüber nachdenkt, wie man die Schraube von Sanktionen anzieht... Sanktionen bringen doch auch nichts!
 
Vor allem bringen Sanktionen, die es nicht gibt, nichts. Einen Boykott der Belieferung mit chemischem und nukleartechnischem, überhaupt mit technischem Material hat es ja nie gegeben.
 
Natürlich bin ich dafür, keine Rüstungsgüter zu liefern. Das andere ist, ob man parallel dazu jeden menschlichen Dialog, jeden Austausch von Gedanken einstellen muß. Ich glaube nicht, daß Menschen wie Waterproof-Folien sind, an denen alles abperlt, was sie in einem ein- oder zweistündigen Gespräch zu hören bekommen.

Sie meinen, der Großayatollah hat das Gespräch mit seinen deutschen Gästen als ein anderer verlassen als der, der es begonnen hat?
 
Das ist meine Hoffnung.

Im Zentrum der iranischen Politik steht seit vielen Jahren die Forderung, den Staat Israel zu liquidieren. Es gibt in der Linkspartei viele, die mit diesem Verlangen sympathisieren. Daran hat auch das überzeugende Bekenntnis von Gregor Gysi zum Staat Israel nichts geändert.

Doch, Gysi hat viel daran geändert.
 
Er hat aber die Beteiligung von Norman Paech und anderen an der Hamas-Tour nach Gaza nicht verhindert.

Sie meinen den Hilfskonvoi?

Hilfskonvoi war eine Propagandaformel: Das Zeug wäre ja nach Gaza gelangt, wenn man hätte wollen. Die Israelis hatten angeboten, die Ladung in einem israelischen Hafen zu löschen und unter Begleitung von sogenannten Aktivisten nach Gaze zu transportieren. Aber darum ging es diesen Leuten überhaupt nicht. Kein Mensch wollte das Zeug nach Gaza schaffen, sondern es sollte ein propagandistischer Eklat her.

Naja.

Norman Paech ist vor Kameras seiner Genossin Annette Groth jubelnd um den Hals gefallen: "Wir haben es geschafft!" Was haben die geschafft? Nicht den armen Teufeln in Gaza zu helfen, sondern Israel zu schaden. Norman Paech hat 1993, damals war er noch in der SPD, das Bekenntnis abgelegt: "Israel muß sich allerdings in der Tat fragen, ob seine Palästinapolitik nicht einem latenten Antisemitismus in Deutschland Nahrung gibt. Und dem können wir nicht entgegensteuern, indem wir schweigen."
 
Das ist aber doch sehr richtig. Er will dem Antisemitismus in Deutschland entgegensteuern, indem er...

... Israel dafür verantwortlich macht.

Auch viele Israelis üben Kritik an Israel. An Israel ist auch viel zu kritisieren. Norman Paech beruft sich als Völkerrechtler auf die Liste der UN-Resolutionen, gegen die Israel verstößt.
 
Wäre es nach den Vereinten Nationen gegangen, gäbe es Israel schon lange nicht mehr. Gregor Gysi, so habe ich ihn verstanden, ist nicht der Ansicht, daß Israel mit seiner Politik Antisemitismus provoziert und also die Juden am Antisemitismus selber schuld sind.

Paech sagt, er wolle keinen Antisemitismus in Deutschland aufkommen lassen. Der Antisemitismus kann durch Schweigen nicht in die Dämme gewiesen werden. Darum ging's mir. Natürlich ist wirklich der Wahnsinn die Methode, nun auch noch zu sagen, die Juden sind daran Schuld, wenn es antisemitisch zugeht.

konkret – Magazin für Politik & Kultur, Ausgabe 1/2011