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Institutionellen Rassismus bei der Polizei bekämpfen

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,

Der Tod des Afroamerikaners George Floyd, der in Minneapolis von weißen Polizeibeamten solange mit dem Knie auf den Boden gedrückt wurde, bis er erstickte, hat in den USA und international massive Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst. Sicher, Deutschland ist nicht Amerika mit einer jahrhundertelangen Tradition als Sklavenhaltergesellschaft, die in der massiven rassistischen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner bis heute ihre Nachwirkungen hat. Doch institutioneller Rassismus bei der Polizei ist auch in Deutschland ein Problem, vor dem wir die Augen nicht verschließen dürfen. 

Es geht hier wohlgemerkt nicht nur um individuelles Fehlverhalten einzelner rassistischer Polizeibeamter oder gar um Aktivitäten von faschistischen Zellen in der Polizei, wie sie in den letzten Jahren mehrfach enttarnt und stets als Einzelfall verharmlost wurden. Mit institutionellem Rassismus werden vielmehr gesellschaftliche Strukturen der systematischen Ausgrenzung, Entmenschlichung, Benachteiligung und Gewalt als Rahmen für das Agieren des einzelnen Polizisten und der einzelnen Polizistin bezeichnet.

Hier ist in erster Linie die Praxis des Racial Profiling zu nennen. Gemeint sind Maßnahmen von Polizei und anderen Sicherheitsbehörden wie Identitätskontrollen, Befragungen, Überwachungen, Durchsuchungen und Festnahmen, die nicht auf einem konkreten Verdacht, sondern allein aufgrund äußerer Merkmale wie Hautfarbe oder vermuteter Herkunft erfolgen. 

Zwar behauptet die Bundesregierung regelmäßig auf unsere Anfragen hin, dass durch die Polizeibehörden des Bundes kein Racial Profiling vorgenommen werde. Allerdings eröffnen die Polizeigesetze von Bund und Ländern den Polizeibehörden Handlungsspielräume, die Racial Profiling ermöglichen. So kann die Bundespolizei zur Feststellung unerlaubter Einreisen verdachts- und anlassunabhängige Kontrollen in bis zu 30 Kilometer tief ins Landesinnere reichenden Grenzräumen, an Flughäfen, in Bahnhöfen und in Zügen sowie auf Autobahnen durchführen. Die Definition vermeintlich „gefährlicher Orte“ gibt den Länderpolizeien ähnliche Befugnisse, durch die die Praxis des Racial Profiling in den letzten Jahren auch auf Landesebene an Bedeutung gewonnen hat. 

Die Zahl der anlasslosen Kontrollen durch die Bundespolizei stieg im vergangenen Jahr um 39 Prozent auf fast drei Millionen an. Ein unerlaubter Aufenthalt wurde in nur gut 3000 Fällen festgestellt, eine unerlaubte Einreise in rund 16.500 Fällen. Diesem mageren Ergebnis stehen schwerwiegende Grundrechtseingriffe gegenüber, denn von den Kontrollen sind erfahrungsgemäß in erster Linie Menschen betroffen, die den Polizeibeamten aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, also etwa der Hautfarbe, als verdächtig erscheinen. 

Solche diskriminierenden Kontrollen, die bei den Betroffenen Gefühle der Ohnmacht, Wut und Verzweiflung auslösen können, sind für Millionen Menschen in Deutschland eine Alltagserfahrung. Racial Profiling wird von vielen Betroffenen als eine Form von Gewalt erlebt, die zu langandauernden psychischen Belastungen führen kann. Diese Polizeipraxis verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Grundgesetz sowie das in der Europäischen Menschenrechtskonvention und der internationalen Anti-Rassismus-Konvention enthaltene Verbot rassistischer Diskriminierung.

Die tödlichen Folgen von institutionellem Rassismus auch in Deutschland hat die bundesweite Kampagne „Death in Custody – Aufklärung von Tod in Gewahrsam jetzt!“ in dieser Woche publik gemacht. Die Liste umfasst 159 Todesfälle durch Polizeischüsse, unterlassene Hilfeleistungen und Todesfälle in Gewahrsam, die von den Behörden als „Suizid“ angegeben wurden. Eine Reihe dieser Todesfälle in den letzten Jahren und Jahrzehnten legt nahe, dass Schwarze und People of Color auch in Deutschland in besonderem Maße gefährdet sind, in staatlichem Gewahrsam ihr Leben zu verlieren oder durch die Polizei getötet zu werden. Stellvertretend seien hier genannt:

  • Achidi John: der 19 jährige Nigerianer starb am 8. Dezember 2001 in Hamburg, nachdem ihm von der Polizei gewaltsam durch einen Schlauch in der Nase Brechmittel eingeflößt wurde, da er angeblich Drogenpäckchen verschluckt hatte. Der damalige sozialdemokratische Innensenator Olaf Scholz hatte diese Praxis, die sich vor allem gegen vermeintliche schwarze Drogendealer richtete, kurz davor eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Brechmitteleinsatz später wieder verboten.
  • Oury Jalloh: der zuvor schwer misshandelte Sierra-Leoner verbrannte am 7. Januar 2005 an Händen und Füssen gefesselt in der Zelle eines Dessauer Polizeireviers,  
  • Amad Ahmad: der syrische Kurde starb im September 2018 nach einem Zellenbrand in der JVA Kleve, nachdem er dort mit Wissen der Polizei wochenlang aufgrund einer Verwechslung unschuldig in Untersuchungshaft gesessen hatte. Ahmad soll seine Zelle selbst in Brand gesetzt haben, doch offizielle Gutachten werfen Fragen dazu auf, warum das Personal der JVA so spät reagierte. Fast nie haben die Todesfälle Konsequenzen für die Täter in Uniform. Stattdessen erfolgen immer wieder Beweismanipulationen, Vertuschungen, weitere Kriminalisierung der toten Opfer zur Entlastung der mutmaßlichen Täter und schließlich Verfahrenseinstellungen gegen die beteiligten Beamten.

Institutioneller Rassismus bei der Polizei kann nicht allein durch vermehrte Schulungen und entsprechende Sensibilisierung überwunden werden. Die Proteste von Polizeigewerkschaften gegen das neue Landesdiskriminierungsgesetz in Berlin zeigen den Widerwillen in den Apparaten, etwas an diesen Zuständen zu ändern. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, institutionellen Rassismus durch staatliches Handeln und Gesetze zu bekämpfen.

DIE LINKE fordert daher die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen (Drucksache 19/7119), eine Dokumentationspflicht von Polizeikontrollen sowie ein explizites Verbot von Racial Profiling sowie die Streichung von verdachtslosen Kontrollen aus allen Polizeigesetzen.

Menschen, die von der Polizei kontrolliert wurden, ist eine Dokumentation über Zeitpunkt und Ort der Kontrolle auszuhändigen. Damit könnten sie ggf. nachweisen, häufiger Kontrollen ausgesetzt zu sein als Menschen, die von der Polizei nicht aufgrund ihres Äußeren als „verdächtig“ betrachtet werden. Klagen gegen Diskriminierung hätten damit eine bessere Grundlage, und die Polizei wäre womöglich abgeschreckt. Das gilt aber nur dann, wenn flankierend der Geltungsbereich des Antidiskriminierungsgesetzes auch auf staatliche Behörden ausgeweitet wird.