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In Weltsprachen gegen das Vergessen

Im Wortlaut von Gesine Lötzsch,

Das »Lesen gegen das Vergessen« findet am kommenden Dienstag von 11 bis 13 Uhr zum Jahrestag der Bücherverbrennung von 1933 auf dem Bebelplatz gegenüber der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Auf Einladung der Bundestagsfraktion und des Berliner Landesverbandes der LINKEN werden Menschen unterschiedlicher Generationen Texte von Autoren lesen, deren Bücher faschistischer Barbarei zum Opfer fielen.

ND: Wer morgen an dem ursprünglichen Ort der Bücherverbrennung in Berlin liest, hat dafür sicher auch persönlich gute Gründe.

Lötzsch: Die persönlichsten Gründe hat sicherlich die inzwischen über 100-jährige Schriftstellerin Elfriede Brüning. Sie war als junge Frau Zeitzeugin der Bücherverbrennung. Ihr Engagement beeindruckt mich immer wieder. Sie wird auch morgen wieder dabei sein.

Seit wann lesen Sie schon gegen das Vergessen?

Lötzsch: Seit 15 Jahren. Eine Vorwendetradition wurde von Helga Elias, Fraktionsreferentin der LINKEN im Berliner Abgeordnetenhaus, 1994 wieder ins Leben gerufen und von ihr seither mit organisiert.

Mitwirkung ist keine Frage des Alters.

Plener: Ich bin sehr froh, dass ich Kommilitonen gewinnen konnte, an der Veranstaltung mitzuwirken. Alle haben sofort zugesagt. Ich hoffe, es kommen auch viele Studierende aus der Humboldt-Universität.

Lötzsch: In den vergangenen Jahren hatten wir mit Lehrern und Schülern aus Mitte, Lichtenberg und Köpenick zusammengearbeitet. Es war für mich sehr beindruckend, wie sich die Schüler über Monate auf diesen Tag vorbereiteten. Ein Schüler hatte sogar für dem Anlass ein eigenes Gedicht geschrieben und vorgetragen.

Mit wem würden Sie ganz besonders gern gemeinsam lesen?

Plener: Eigentlich ist es ganz egal mit wem ich lese, Hauptsache, es wird gelesen. Aber wenn Sie mich so fragen, dann mit dem Papst. Die urchristlichen Werte verkörpern für mich den Drang nach Freiheit und Toleranz. In dieser Hinsicht hat die katholische Kirche während der Nazi-Herrschaft keine rühmliche Rolle gespielt.

Entscheiden die Leser selbst über ihre Lektüre, und welche werden Sie auswählen?

Lötzsch: Jeder kann sich seinen Text selbst aussuchen. Ich lese aus Anna Seghers' »Reise ins Elfte Reich«.

Warum genau das?

Lötzsch: Hier gelangen Menschen aus Lebensgefahr wunderbarerweise in eine utopische, ideale Gesellschaft.

Was wählten Sie und warum?

Plener: Ich habe mich für einen Text aus »Sodom und Gomorra« von Marcel Proust entschieden. Ganz bewusst habe ich das Werk eines französischen Autors gewählt. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass nicht nur Bücher deutscher Autoren den Flammen zum Opfer fielen. Deshalb werde ich den Text auch in französischer Sprache lesen. Auch zwei Kommilitoninnen werden Texte in englischer und französischer Sprache lesen.

Inhaltlich habe ich mich gerade deshalb für Proust entschieden, da er in »Sodom und Gomorra« präzise und ironisch die dekadente Gesellschaft an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert beschreibt. Da taten sich mir einige Parallelen zur heutigen Zeit auf.

Woran erinnern Sie sich besonders gern? 

Lötzsch: In den letzten Jahren lasen Beate und Serge Klarsfeld, die Schauspieler Wolfgang Völz und Walfriede Schmitt und amerikanische Studenten, die eigens für diese Veranstaltung aus Michigan anreisten. Das war immer bühnenreif. Dieses Jahr wird der Schauspieler Hanns Zischler dabei sein, der im Spielfilm über die Klarsfelds Klaus Barbie spielte.

Ich finde solche Veranstaltungen unter freiem Himmel gut und wichtig. Ich bin der Auffassung, dass Politik viel mehr auf den Straßen als in Büros und Kongresszentren diskutiert werden sollte – und das nicht nur in Wahlkampfzeiten.

Fragen: Klaus Joachim Herrmann

Lesen werden u.a. Carola Bluhm (Berliner Senatorin), Elfriede Brüning (Schriftstellerin und Zeitzeugin), Roland Claus (MdB), Paola Dannenberg (Studentin), Bella-Elisa Funke (Studentin), Lea Gojdka (Studentin), Gregor Gysi (MdB), Luc Jochimsen (MdB), Klaus Lederer (MdA), Volker Loeschner (Schauspieler), Katrin Lompscher (Berliner Senatorin), Daniela Weber (Studentin), Udo Wolf (MdA), Hanns Zischler (Schauspieler)

 

Neues Deutschland, 9. Mai 2011