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Immer wieder die Frage nach V-Leuten

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NRW-Tag im NSU-Untersuchungsausschuss

Im Februar 2012 muss der Hinweis aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz bei den Kolleg_innen im Landesamt NRW wie eine Bombe eingeschlagen sein: Eine BfV-Mitarbeiterin hatte das Phantombild des Attentäters aus der Probsteigasse im Jahr 2001 im Rahmen der Nachermittlungen nach dem Auffliegen des NSU als ein Mitglied der Kameradschaft Walter Spangenberg aus NRW identifiziert. Dem LfV war dieses Mitglied der Kameradschaft gut bekannt, handelte es sich doch um ihren V-Mann Johann H. Nach dem LfV-Mitarbeiter Andreas Temme, der bei der Ermordung Halit Yozgats im Internetcafé in Kassel anwesend war, handelte es sich um den zweiten Verdacht gegen eine eng mit dem Verfassungsschutz verbundene Person, unmittelbar mit den Taten des NSU zu tun zu haben.

Welche Unruhe dieser Verdacht beim LfV NRW auslöste, zeigen die schnellen zeitlichen Abläufe. Am 8. Februar 2012 kommt der Hinweis vom BfV, und nur einen Tag später fährt ein Teil der Führungsspitze des Amtes zum Generalbundesanwalt (GBA) nach Karlsruhe, um dort ein Behördenzeugnis vorzulegen, das in dem Satz gipfelte: „Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung bestehen nicht.“ Wie das LfV in nur einem Tag das ermittelt haben will, war eine der Fragen, die den Zeugen in der Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am 10. November 2016 gestellt wurden. Eine andere, mindestens genauso wichtige Frage war (und blieb), warum der 1. NSU-Untersuchungsausschuss, der ab Januar 2012 arbeitete, niemals über diesen Vorgang informiert wurde. Sieht man sich den Umgang der Behörden mit den Verdachtsmomenten gegen V-Leute im NSU-Zusammenhang an, dann lässt sich diese Frage beantworten: Quellenschutz hat oberste Priorität. Im Zweifelsfall müssen auch Mordermittlungen zurückstehen.

Die Zeugen Schnieder und Koller (stellvertretender Leiter des LfV NRW und die Leiterin des LfV) wollten ihre schützende Aussage für ihren V-Mann nicht als Ausfluss realer Ermittlungen verstanden wissen, sondern als Versicherung, dass man sich so etwas nicht habe vorstellen können. Leider fehlt im Behördenzeugnis dann auch der Hinweis auf Vorstrafen von Johann H. aufgrund von Sprengstoffdelikten. Von den LfV-Zeugen wurde H. als guter Staatsbürger vorgestellt, der kein typischer „Extremist“ gewesen sei. Sprengstoff- und Waffenbesitz, Wehrsportübungen, Mitgliedschaften von der FAP bis zu Kameradschaften – all das ändert an dieser Einschätzung nichts. 23 Jahre V-Mann-Tätigkeit für das LfV NRW schaffen offenbar eine Nähe und Vertrautheit, die den Blick für politische Überzeugungen des V-Manns trüben kann. Anscheinend war H. gefühlt schon längst vom V-Mann zum Kollegen übergegangen. Vielleicht liegt auch hier ein Grund, warum man zwischen 2001 (Erstellung des Phantombildes) und 2012 (BfV-Mitarbeiterin erkennt in Phantombild ein Mitglied der Kameradschaft Walter Spangenberg) die Ähnlichkeit des Phantombildes mit H. nicht erkannte, dann aber in einem Tag klar war, um wen es ging.

Beim GBA ermittelte man zur Spur Johann H. in fragwürdiger Art und Weise. Den Zeugen, der Familie M. aus dem Geschäft in der Probsteigasse, in dem die Bombe deponiert wurde, legte man völlig untaugliche Fotos von H. vor und nahm jeden Zweifel an der Wiedererkennung als Beleg für die Entlastung des V-Mannes. Sieht man das damals erstellte Phantombild und ein Bild von Johann H. das vermutlich aus dem Jahr 2007 stammt, dann ist die Ähnlichkeit offensichtlich. Jedoch – und dies stellt die Tatbeteiligung H.s deutlich in Frage – soll der V-Mann 2001 ganz anders ausgesehen haben. Fotos aus dieser Zeit, so der Zeuge Schnieder, zeigten H. mit kurzen Haaren, die Person des Phantombildes hatte dagegen schulterlanges Haar. Dem Untersuchungsausschuss konnten diese Bilder in der Sitzung jedoch nicht vorgelegt werden.

Unterstützer vor Ort

Für den Ausschuss ist die Frage nach möglichen Unterstützernetzwerken des NSU vor Ort nach wie vor zentral. Das Ladengeschäft in der Probsteigasse z.B. war in keiner Weise als von einer iranischen Familie betriebenes zu erkennen. Auch die Bombe in der Keupstraße war so komplex und fragil, dass nicht davon auszugehen ist, dass sie über hunderte Kilometer nach Köln transportiert wurde.

Der Anschlag in der Keupstraße 2004 gab dann auch die Gelegenheit, mögliche Netzwerke des NSU genauer in den Blick zu nehmen. Einen Monat nach dem Anschlag wurde im BfV von einem Mitarbeiter, der als Zeuge am 10.11. auch im Untersuchungsausschuss gehört wurde, ein Vermerk verfasst, der den Anschlag in der Keupstraße mit Anschlägen des Nazi-Terrornetzwerkes Combat 18 in Großbritannien im Jahr 1999 verglich. Der Zeuge Appenroth hatte die Art der Tatbegehung und die Opferauswahl in der Keupstraße mit diesen Anschlägen verglichen und kam zu der Überzeugung, dass es sich um einen Nazianschlag handeln könnte. Um der Polizei konkrete „Anfasser“ zu liefern, ermittelte er sogar Sympathisanten von Combat 18 aus dem Raum Köln und gab der Polizei den konkreten Hinweis auf eine Person. Diese Person wurde zwar abgeklärt, ansonsten blieb der Vermerk des BfV jedoch unbeachtet. Es ist nicht einmal klar, ob er jemals bei der ermittelnden Polizei angekommen ist, die mit viel Akribie die Ermittlungen im Umfeld der Opfer betrieb und den Gedanken an eine rassistische Tatmotivation niemals ernsthaft fasste.

Dass es in NRW und namentlich im Raum Dortmund eine Nazistruktur gab, die sich auf Combat 18 bezog, war dem Zeugen Appenroth bewusst. Jedoch sah er in Nazis wie Marko Gottschalk u.a. vor allem Leute, die sich das Label Combat 18 „anhefteten“, ohne das auch in Taten umzusetzen. Es habe zum damaligen Zeitpunkt keine „legitimierte Combat 18 Gruppe in Deutschland“ gegeben. Was denn in seinen Augen eine „legitimierte“ Gruppe gewesen wäre blieb offen.

Dass es über die Band „Oidoxie“ und die „Weiße Wölfe Terrorcrew“ eine militante und sich auf Combat 18 beziehende Struktur 2006 in Dortmund und Verbindungslinien von hier nach Kassel gab, wurde von den Angeordneten der LINKEN thematisiert. Die letzten beiden Morde der rassistischen Serie fanden 2006 eben in Dortmund und Kassel statt. Vorgelegt wurden dem Zeugen Fotos aus dem Juni 2016, auf denen Marko Gottschalk, Thorsten Heise und William Browning, einer der Gründer von Combat 18 bei einem Aufmarsch in Dortmund zu sehen sind, womit klar wurde, dass es sich um keine historische Betrachtung, sondern um die aktuelle Gefahr des Rechtsterrorismus handelt.