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Foto: Rico Prauss

Im Alltag ankommen!

Kolumne von Dietmar Bartsch,

Von Dietmar Bartsch, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag
 

 


Die parlamentarische Sommerpause ist zu Ende, der Alltag hat uns wieder. Traditionell trifft sich unsere Fraktion in dieser Woche zu einer Klausur, um am Beginn des neuen Sitzungsjahres die nächsten Aufgaben zu beraten. In zwölf Monaten endet die 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Wir stehen also vor einem Jahr besonderer Herausforderungen. Wie erfolgreich wir gearbeitet haben, werden wir an einem Sonntag im September 2013 Punkt 18 Uhr sehen. Dann gibt es die ersten Zahlen zur Bundestagswahl. Sie werden zeigen, ob wir es geschafft haben, den Erwartungen und Interessen einer relevanten Zahl von Wählerinnen und Wählern zu entsprechen. 2009, zur bislang letzten Bundestagswahl, haben wir das geradezu sensationelle Ergebnis von 11,9 Prozent erreicht. Das war auch ein Bonus, den wir leider bisher ungenügend eingelöst haben, wie Wahlen und Umfragen seither zeigen. Das Wieder-Aufsteigen ist beschwerlich, aber möglich. Nach dem Göttinger Bundesparteitag ist allerorten – in der Partei und auch in der Bundestagsfraktion – das Bemühen spürbar, die Chance für einen neuen Aufbruch zu nutzen.
 
Die Partei schaltet jetzt hoffentlich schnell um auf Wahlkampf-Modus. Die Fraktionen dürfen keinen Wahlkampf machen, aber natürlich leisten sie ihren Beitrag zum Erfolg der Partei. Mit Veranstaltungen und parlamentarischen Initiativen wollen wir uns der Sorgen und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger annehmen. Abgeordnete, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden sich selbstverständlich ehrenamtlich in den Wahlkampf einbringen. Das betrifft die Bundestagswahl, aber auch die Landtagswahlen in Niedersachsen, Bayern und Hessen sowie die Kommunalwahl in Schleswig-Holstein.
 
Den jetzt vom Parteivorstand eingeschlagenen Weg, Politik gemeinsam mit anderen zu entwickeln, zuzuhören und Fragen zu stellen statt Gewissheiten zu verkünden, unterstütze ich. Gut ist es, das eigene politische Profil zu schärfen, ohne das uns selbst ausgrenzende „Wir-gegen-alle“ zu kultivieren. Ich bin sehr dafür, dass wir mit unseren Forderungen und Fragen, Vorschlägen und Vorhaben in die Gesellschaft gehen, statt von deren Rand aus zu kommentieren und zu kritisieren. Zudem halte ich unsere Verabredung für richtig, Mut zur Schwerpunktsetzung zu beweisen. DIE LINKE wird vor allem als Partei der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen. Hierbei rückt das Thema „Altersarmut“ zunehmend in den Fokus. Breit akzeptiert wird unser Eintreten für Frieden und für die Interessen der Menschen in Ostdeutschland. Mit diesen Themen wird DIE LINKE verbunden. Ich begrüße es, dass die Rückgewinnung des Öffentlichen bei uns wieder auf der Tagesordnung steht. Die Armut öffentlicher Kassen geht mit wachsendem privatem Reichtum einher. Das darf nicht sein! An den Folgen werden die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik über kurz oder lang jene Krise spüren, die für viele bislang primär ein Medienereignis ist.
 
Unsere Stärken müssen wir weiter entwickeln, denn Kompetenzzuschreibungen können Parteien nur über jahrelange beharrliche Arbeit erlangen. Zugleich sind politische Positionen breit zu entwickeln. Zur Bundestagswahl 2009 haben wir 527 sogenannte „Wahlprüfsteine“ – unter anderem von Medien und Verbänden – mit 3.910 Einzelfragen beantwortet. Die Palette reichte vom Waffenexport bis zur Tierhaltung, von der Rente bis zum Tempo auf Autobahnen. Eine im Bundestag vertretene Partei kann es sich nicht leisten, zu politischen oder gesellschaftlichen Fragen und Problemen keine Meinung zu haben. Wir sollten uns aber vor der Illusion hüten, bei den Wahlen 2013 mit gänzlich neuen Themen oder einem Warenhausangebot punkten zu können.
 
Notwendig bleibt es, auf die Menschen zuzugehen. Bei zahlreichen Begegnungen in den Sommermonaten habe ich wieder gemerkt, wie wichtig es ist, ihnen zuzuhören, ihren Rat einzuholen, Positionen zur Debatte zu stellen. Mich ärgern Hochmut gegenüber der Arbeit in den Kommunen und Geringschätzung alltäglicher Sorgen. Eine erfolgreiche LINKE muss sich der Alltagsprobleme der Menschen annehmen und diese – möglichst gemeinsam mit den Betroffenen – anpacken. Als Bundestagsfraktion wollen wir künftig mehr sogenannte Ein-Punkt-Anträge stellen, mit denen auf die Veränderung konkreter Sachverhalte, die die Menschen bewegen, gezielt wird. Die Wählerinnen und Wähler haben ein Gefühl dafür, ob sie es lediglich mit großen Worten zu tun haben oder der Wille zur Realisierung tatsächlich ernst gemeint ist. DIE LINKE sollte deshalb gleichermaßen widerständig wie durchsetzungsfähig sein. Im Alltag ankommen – darum geht es. Wenn uns das gelingt, kommen wir auch bei den Wählerinnen und Wählern an.

 

linksfraktion.de, 3. September 2012