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»Ich würde so regieren wie früher«

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Wie geht's weiter mit Rot-Rot nach Hessen? Im stern-Gespräch macht Linken-Chef Oskar Lafontaine seinen Frieden mit Gerhard Schröder, lockt die SPD - und freut sich auf sein Comeback im Saarland

Herr Lafontaine, wir stehen an einem historischen Ort: der Saarschleife. Hier haben Sie 1997 Ihre Männerfreundschaft mit Gerhard Schröder vorgeführt. Vermissen Sie heute etwas?

Gerhard Schröder jedenfalls nicht mehr.

Keine nostalgischen Gefühle?

Nein. Natürlich bedauere ich, dass uns nicht gelungen ist, was wir vorhatten: Deutschland demokratischer und sozialer zu machen. Obwohl es damals schon Spannungen zwischen uns gab, haben wir das trotzdem ernsthaft versucht.

Beschäftigt Sie der Konflikt heute noch?

Er hat mich viele Jahre beschäftigt. Inzwischen ist es vorbei. Nach zehn Jahren gehört das Kapitel wohl auch langsam in die Geschichtsbücher.

Sie und Schröder waren niemals Freunde?

Wir hatten ein Zweckbündnis. Da kann man Kumpel sein und sich auch gut verstehen. Aber eine Freundschaft, bei der man auch in wirklich schwierigen Situationen füreinander einsteht, war das nicht.

Haben Sie auch positive Erinnerungen an Schröder?

Selbstverständlich. Er hatte einen kumpelhaften Charme. Wir haben angenehme Abende miteinander verbracht.

Schröder hat Ihren Abgang als SPD-Chef und Finanzminister mit dem Attentat auf Sie im Jahr 1990 erklärt. Danach hätten Sie unbewusst gescheut, Verantwortung zu übernehmen. Hat er recht?

Da ist etwas dran, das Attentat war ein tiefer Einschnitt in mein Leben. Daraus resultierte aber keine Scheu vor Verantwortung. Mein Rücktritt war eine Absage an Kriegsbeteiligung und Sozialabbau.

Beschäftigt Sie das Attentat noch?

Ja. Ich stelle mich aus dieser existenziellen Erfahrung heraus auch der Frage der Endlichkeit des Lebens. Nach dem Attentat trieb mich die Frage um, wie stark ich mich überhaupt noch politisch engagiere. Es ist bis heute so, dass ich mir mehr Zeit fürs Private nehme. Ich möchte schon so leben und arbeiten, dass ich einigermaßen zufrieden bin, wenn es vorbei ist.

Haben Sie noch Angst, wenn Sie sich in der Öffentlichkeit bewegen?

Heute nicht mehr. Anfangs war das so.

Denken Sie daran, dass die Geschichte dieses Landes nach 1998 wohl anders verlaufen wäre, wenn Sie nicht gegangen wären?

Natürlich. Vielleicht wäre es mir gelungen, als SPD-Vorsitzender das eine oder andere zu verhindern. Das hat mich lange beschäftigt. Mein Wiedereinstieg in die Politik war auch ein Ergebnis dieses Nachdenkens.

Diese persönliche Entscheidung war die Geburtsstunde des Fünfparteiensystems.

Ohne WASG und PDS wär`s nicht gegangen, und man muss die Ursachen sehen: Agenda 2010, Hartz IV, Krieg in Jugoslawien.

Wie schätzen Sie die aktuelle Rolle Schröders ein? Ist er der Mann hinter Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier?

Ich glaube nicht, dass er wie ein Regisseur die Fäden zieht.

Ist Schröder ein glücklicher Mann, der mit sich im Reinen ist?

Ich will es philosophisch beantworten: Wer ist schon mit sich im Reinen?

Sie?

Ich sage ja: Wer ist mit sich im Reinen?

Sie weichen aus.

Ich glaube, dass es in jedem Leben Brüche gibt und offene Fragen bleiben. Insofern wird jemand, der ein bewegtes Leben hat - das gilt für Schröder wie für mich -, nicht zu dem platten Ergebnis kommen: Ich bin mit mir im Reinen.

Sind Sie dennoch ein glücklicher Mensch?

Im Sinne des Sisyphos von Albert Camus schon. Der hat auch immer wieder den Stein bergauf gerollt - und Camus formuliert: "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."

Sie sind ein führender Kopf der deutschen Linken. Sagen Sie uns, was besser ist: eine starke, einheitliche SPD oder zwei linke Parteien?

Darauf habe ich eine klare Antwort: Parteien sind kein Selbstzweck, auch eine starke SPD nicht. Entscheidend ist nur, was sie politisch will und was sie bewegt. Nach Sozialabbau und Kriegsbeteiligung war die Gründung einer Linken unausweichlich.

Empfinden Sie Stolz darauf?

Genugtuung. Darüber, dass die Linke die deutsche Politik verändert. Selbst Koch ist jetzt gegen Studiengebühren.

Wenn man Sie in bestimmten Milieus der Linkspartei beobachtet, dann hat man manchmal Mitleid mit Ihnen.

Brauchen Sie nicht.

Sie wirken da so verloren, wie ein Mann aus einer anderen Welt, von anderem Format. Erzählen Sie uns nicht, dass Sie in Ihrer neuen Partei keine Leidensmomente haben.

Die hätte ich in jeder Partei. Die hatte ich über weite Strecken auch in der SPD. Das ist das Schicksal jedes Politikers, der Überzeugungen und ein Anliegen hat.

Sie waren Willy Brandts Lieblingsenkel. Sie sind in Bonn wie Napoleon aufgetreten. Nun sitzen Sie in irgendwelchen Hinterzimmern vor grauhaarigen Herren und wissen nicht, was die in der DDR getrieben haben.

Die Linke hat ab und zu auch die große Bühne. Im Übrigen: Ich bin in Hinterzimmern politisch groß geworden. Und ich komme mit den Menschen in diesen Hinterzimmern gut zurecht. Sie sind bei der Linken nicht anders als in der SPD.

Fragen Sie sich nie: Was habe ich hier eigentlich verloren?

Das habe ich mich in der SPD gefragt, kurz bevor ich als Finanzminister und Parteivorsitzender zurückgetreten bin. Jetzt frage ich mich das nicht mehr. Im Gegenteil, ich habe wieder Freude an der politischen Arbeit. Selbst der politische Gegner sagt, seit es die Linke gibt, ist der Sozialabbau gestoppt, teilweise sogar zurückgedreht worden. CDU-Abgeordnete schreiben, wir müssen die Steuern auf mittlere Einkommen senken, damit die Linke nicht so stark wird. Die Presse kommentiert, es gibt das Konjunkturprogrämmchen nur aus Angst vor der Linken. Und das Wichtigste: Die Linke hat im Bund, in Hamburg und in Hessen bürgerliche Mehrheiten verhindert. Bloß die SPD merkt es nicht.

Ihr erster, spontaner Gedanke, als Sie vom Scheitern des Experiments in Hessen hörten?

Es hat mich nicht überrascht. Schon als ich Jürgen Walter beim Wahlerfolg von Andrea Ypsilanti im Januar sah, hatte ich Zweifel, ob die SPD wirklich alle Abgeordneten für ihr Experiment gewinnen würde.

Sind Sie gar nicht wütend?

Ich bin enttäuscht.

Worüber?

Die politischen Ziele der angestrebten rotrot- grünen Zusammenarbeit waren ja richtig - Abschaffung der Studiengebühren, Stopp der Privatisierungen, ein sozial durchlässigeres Schulsystem. Ich denke an diejenigen, die von dieser Politik profitiert hätten - und nun unter dem Scheitern zu leiden haben.

Wie denken Sie heute, ein paar Tage später, über das Chaos in Hessen?

Die Linke hat sich als verlässliche Gruppe erwiesen. Ypsilantis größter Fehler war, dass sie im Wahlkampf gesagt hat: Nie mit der Linken.

Keine Mitschuld der SPD-Führung in Berlin?

Sie trägt Mitverantwortung, weil sie sich immer wieder von dem Vorhaben distanzierte. Die SPD hat keine Strategie im Umgang mit der Linken. Im Gegensatz zur CDU hat sie das Fünfparteiensystem noch nicht begriffen.

Wollten Müntefering und Steinmeier womöglich, dass es in Hessen schiefgeht?

Das glaube ich nicht. Sie hatten einfach keine klare Linie.

Welches Format haben die beiden?

Das beantworten Wahlen. Was soll ich mich da aus dem Fenster hängen? Es ist doch ganz offenkundig, dass die SPD die neue Situation immer noch nicht verarbeitet hat. Ihre Strategie lautet: Wir wollen den Mindestlohn, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, ein anderes Schulsystem - und deswegen streben wir eine Partnerschaft mit der FDP oder mit der CDU an. Solange die SPD das ihren Wählern anbietet, wird sie weiter verlieren.

Ist die rot-rote Zusammenarbeit im Westen damit auf absehbare Zeit gescheitert?

Nein. Das kann schon deshalb nicht sein, weil alles, was an Restbeständen linker Politik in der SPD noch vorhanden ist, mit CDU/CSU und FDP nicht zu erreichen ist. Die SPD wird erst dann wieder glaubwürdig, wenn sie politische Optionen hat, die sich mit ihrer Programmatik decken.

Die SPD zerreißt es schier. Viele Genossen sagen: Die Linke ist die Partei von Mauer und Stacheldraht, mit der gehen wir nicht zusammen. Müssen Sie das nicht akzeptieren?

Ich bin da nicht so pessimistisch. Die einfachen SPD-Mitglieder denken immer noch sozialdemokratisch. Sie haben ein sicheres Gespür dafür, dass mit Westerwelle und Merkel nichts durchzusetzen ist.

Geben Sie`s zu, Herr Lafontaine, in Hessen ist auch Ihre eigene Strategie gescheitert. Sie wollten nach der Phase der Konfrontation in die Phase der Koalition mit der SPD eintreten, die Früchte Ihrer Arbeit ernten.

Die Linke ist doch längst an der "Macht". Wir haben alle Parteien nach links gerückt. Was wollen wir mehr?

Opposition ist Mist, sagt Franz Müntefering. Richtig oder falsch?

Ich würde Münteferings Philosophie nicht zur Grundlage erfolgreicher Politik machen. Es gibt Situationen, in denen die Beteiligung an der Macht eher korrumpiert, während die Arbeit in der Opposition die Politik wirklich verändert.

Wollen Sie die SPD wegen Hessen im Wahlkampf 2009 jetzt frontal angreifen?

Nein. Die SPD ist nicht unser Hauptgegner. Das ist ein großer Irrtum.

Gesine Schwan kann bei der Bundespräsidentenwahl im Mai also mit den Stimmen der Linken rechnen, falls es zu einem dritten Wahlgang kommt?

Das wird entschieden, wenn es ansteht. Sie sagen nicht: Liebe SPD, nach der Hessen- Nummer könnt ihr euch die linken Stimmen im dritten Wahlgang abschminken? Nein, ich sehe da keinen Zusammenhang. Nur weil vier SPD-Abgeordnete in Hessen ausgeschert sind, sagen wir nicht, dass wir bei der Bundespräsidentenwahl im dritten Wahlgang die SPD-Kandidatin ablehnen. Das wäre apolitisch.

Herr Lafontaine, warum profitiert die Linke eigentlich nicht von der Finanzkrise?

Warten Sie`s ab. Im Übrigen haben wir eine Vorreiterrolle, wenn es um Antworten auf die Finanzkrise geht.

Bitte?

Ich habe schon vor zehn Jahren als Bundesfinanzminister versucht, internationale Regeln gegen die Finanzspekulation durchzusetzen. Aber Clinton, Blair und leider auch Schröder waren dagegen. Ich will gar nicht bestreiten, dass wir als politische Kraft wahrgenommen werden, die nur soziale, aber noch keine ökonomische Kompetenz hat. Außerdem ist es relativ normal, dass sich Menschen in Krisen eher an der Regierung festhalten.

Hat die Linke ihren Höhepunkt überschritten?

Auf keinen Fall. Sie werden sehen, im nächsten Jahr wird die Linke noch stärker. Nach den Banken müssen die Arbeitnehmer vor den Folgen der Krise geschützt werden. Dazu ist die Merkel-Regierung nicht in der Lage.

Im August 2009 wird im Saarland gewählt. Sie wollen noch mal Ministerpräsident werden. Angenommen, die Linke landet vor der SPD, die SPD aber macht zur Bedingung einer rot-roten Koalition, dass sie den Regierungschef stellt - würden Sie verzichten?

Die Linke kann keine Bedingungen akzeptieren, die den Gepflogenheiten des Parlamentarismus widersprechen.

Wäre die erneute Regentschaft in Saarbrücken eine Heimkehr für Sie?

Ja, schon. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich stark mit meiner Heimat verbunden bin.

Worin würde sich denn der linke Ministerpräsident Lafontaine 2009 vom SPD-Ministerpräsidenten Lafontaine der Jahre 1985 bis 1998 unterscheiden?

Ich würde so regieren wie früher. Der Politikentwurf bleibt: Laptop und Dibbelabbes (saarländisches Kartoffelgericht).

Die Bürger würden sehen, dass ihr Oskar immer noch ein Sozialdemokrat ist?

Die entscheidenden Schlachten, ob die SPD noch sozialdemokratisch ist, wurden auf Bundesebene geschlagen. Hier im Saarland ist eine Zusammenarbeit mit der SPD problemlos möglich.

Kein Unternehmer müsste Angst haben, dass Lafontaine Betriebe verstaatlicht?

Saarländische Unternehmer fordern mich sogar auf, wieder zu regieren, weil sie gut mit mir gefahren sind.

Sie müssten dafür Berlin verlassen. Sie würden in der Linken an Einfluss verlieren.

Man kann die Bundespolitik auch als Ministerpräsident und Parteichef beeinflussen.

Und wann hören Sie ganz auf mit der Politik?

Ich kann meinen Gegnern da noch keine Hoffnungen machen.

Sind Sie unersetzlich für die Linke?

Wer sich für unersetzlich hält, ist entsetzlich.

Das Interview führten Jens König und Hans-Ulrich Jörges

Stern, 13. November 2008