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Fabio de Masi im Plenalsaal

»Ich würde Andi Scheuer nicht mal zum Kaffeekochen einstellen«

Im Wortlaut von Fabio De Masi, t-online,

Das Interview führte für t-online Jonas Mueller-Töwe.


Der Linken-Politiker Fabio De Masi ist über Parteigrenzen hinweg als Finanzexperte und Korruptionsaufklärer angesehen. Bald verlässt er den Bundestag. Mit einigen Kollegen geht er hart ins Gericht.

Deals mit Corona-Schutzmasken erschüttern den Bundestag, Deutschland diskutiert über das Vermögen des Gesundheitsministers – selten erhielten Redaktionen vermutlich mehr Zuschriften von Lesern zu Korruption und Bestechlichkeit, zu Lobbyismus und Nebenverdiensten und zu Politikern, die ihr politisches Mandat eher als Investment in die eigene Karriere zu sehen scheinen. Der Job der Abgeordneten ist damit noch ein bisschen schwerer geworden. Das Vertrauen in die Politik leidet merklich.

Einer, der seit Jahren gegen verdeckte Nebenverdienste und dubiose Lobby-Kontakte arbeitet, ist der Finanzexperte der Linksfraktion Fabio De Masi. Nicht nur im Fall Wirecard macht er mit Expertise und sachbezogener Aufklärung von sich reden. Damit hat er sich über alle Parteien hinweg ein geschätztes Renommee erarbeitet. Für die kommende Legislaturperiode wird er nicht mehr kandidieren. 

Im Interview spricht er über die Käuflichkeit von Politik, über aus seiner Sicht unzureichende Regeln und darüber, warum Verkehrsminister Scheuer vermutlich einen guten Job in der Wirtschaft bekäme, obwohl er selbst ihn "nicht einmal zum Kaffeekochen einstellen" würde.

t-online: Herr De Masi, Sie sind der Finanzexperte der Linksfraktion im Bundestag, also mit kompliziertesten Themen vertraut. Jetzt treten sie nicht wieder an. Wird man Sie also bald in einem Aufsichtsrat wiedersehen?

Fabio De Masi: Nein, ich lege auch an mich strenge Maßstäbe an. Ein Unternehmen, mit dem ein enger Kontakt in der Politik bestand – das macht man nicht. Etwas anderes wäre eine ehrenamtliche Tätigkeit, von der ich keinen finanziellen Vorteil habe. Oder wenn ich für einen Fußballclub tätig würde, aber nie im Sportausschuss saß oder andere wichtige Entscheidungen für diesen Verein getroffen hätte.

Es soll nicht generell verboten werden, sich in einem Bereich zu engagieren, wo man sich auskennt. Wir brauchen aber klare Regeln, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Dazu zählen auch hinreichende Abkühlphasen für ehemalige Politiker, die in der Privatwirtschaft tätig werden. 

Welche Maßstäbe sind es denn, die Sie an sich und andere anlegen?

Ich besitze etwa keine Aktien. Nicht weil ich gegen Aktienbesitz bin. Aber Abgeordnete wie ich erhalten Insider-Informationen. Und für Abgeordnete und Mitarbeiter von Ministerien gibt es keine hinreichenden Regeln, Insider-Handel zu unterbinden.

Also müssten Abgeordnete aus Ihrer Sicht auch Aktienbesitz offenlegen?

Ja, Abgeordnete müssen derzeit nur größere Unternehmensbeteiligungen anzeigen. Sie dürfen sogar Spenden von Dritten annehmen. Der Bundestag wird unter anderem deswegen immer wieder vom Europarat gerügt.

Wie verbreitet sind denn solche Investments im Bundestag?

Wir sehen ja, was zu den Maskendeals herausgekommen ist. Ich vermute deswegen, dass es ein paar Leute im Parlament gibt, die versuchen mit Aktien politische Entscheidungen zu vergolden. 

Nehmen Sie als Beispiel Gesundheitsminister Jens Spahn. Der hat in eine Steuerberatungssoftware investiert – da war er noch Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium. Als er im Gesundheitsausschuss war, wurde er im Pharma-Umfeld tätig.

Nebentätigkeiten, Unternehmensbeteiligungen, Aktienbesitz - Sie verurteilen das nicht generell?

Nein, das komplett zu untersagen, wäre ein Berufsverbot. Anwälte haben Mandanten, ein Pilot braucht Flugstunden, ein Gewerkschafter den Kontakt in die Betriebe. Wir wollen ja keine Leute im Parlament, die keine Ahnung von der Berufswelt haben oder nur solche, die reich geerbt haben.

Die Diät als Abgeordneter darf aber nicht das Taschengeld obendrauf sein. Nebeneinkünfte sollten auf Heller und Cent offengelegt werden. Derzeit sind Abgeordnete eine Black Box!

Inwiefern?

Wolfgang Kubicki von der FDP macht Späße darüber, dass es nicht strafbar sei zu hohe Nebenverdienste anzugeben. Insofern könne er auch 20 Millionen angeben solange er in der höchsten Stufe sei. Denn es werden keine genauen Zahlen genannt. Die höchste Stufe greift ab 250.000 Euro Nebenverdienst. 

Vielleicht ist Herr Kubicki ein guter Anwalt.

Vielleicht. Aber sehen Sie: Ich arbeite häufig 14 bis 16 Stunden am Tag. Ich hätte keine Zeit für Nebentätigkeiten. Es stellt sich also die Frage, ob für manche die Abgeordnetentätigkeit nicht lediglich die Möglichkeit ist, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen, die ihnen geschäftlich nutzen.

Das ist also aus ihrer Sicht die Gefahr?

Ja, Politik wird käuflich. Nicht nur durch Nebentätigkeiten, auch durch Parteispenden von Unternehmen. Denn die Stimme der Deutschen Bank zählt dann mehr als die Stimme eines Fliesenlegers. Demokratie heißt aber jede Stimme zählt gleich viel.

Unternehmen müssen doch aber an der politischen Willensbildung teilnehmen dürfen.

Parteien müssen natürlich mit allen Akteuren sprechen. Auch ich treffe mich mit Lobbyisten der Deutschen Bank, um ihre Interessen zu verstehen. Das mache ich dann öffentlich. Ich würde aber niemals eine Spende von der Deutschen Bank annehmen.

Wir brauchen strengere Regeln: Parteispenden von Unternehmen müssen verboten werden. Zusätzlich brauchen wir mehr Transparenz. Selbst in Griechenland müssen Abgeordnete nachweisen, wie sie ihr Auto bezahlt haben.

Wäre Ihre Idealvorstellung also der gläserne Abgeordnete?

Auch Abgeordnete haben natürlich Anspruch auf Privatsphäre. Das Ziel ist Transparenz hinsichtlich der Finanzen. Das hängt mit der besonderen Vertrauensstellung für Abgeordnete zusammen. Ich veröffentliche jedes Jahr meinen Steuerbescheid, ich halte das für eine Selbstverständlichkeit. Die Bürger sind mein Chef und haben Anspruch auf meine Loyalität.

Im Untersuchungsausschuss zu Wirecard haben sie es mit milliardenschwerem Bilanzbetrug zu tun. Welche Rolle spielten die Kontakte in die Politik?

Wirecard war eine Illusionsfabrik. Gewinne und Umsätze wurden erfunden. Die Bundesregierung hat etwa für Wirecard in China lobbyiert. Mit den Geschäften in China wollte man womöglich die Leichen im Keller zudecken. Etliche frühere Politiker wie Herr Guttenberg, Herr von Beust und Herr Carstensen haben für Wirecard Klinken geputzt – etwa bei der Liberalisierung des in Deutschland außerhalb von Schleswig-Holstein illegalen Online-Glücksspiels. In diesem Hochrisikobereich für Geldwäsche und Organisierte Kriminalität hat Wirecard Zahlungen abgewickelt.

Der Wirtschaftsrat der CDU wurde von Wirecard gesponsert. Und in Österreich soll Ex-Chef Markus Braun die ÖVP finanziert und der flüchtige Manager Jan Marsalek enge Kontakte zur FPÖ gehabt haben.

Hätte das neue Lobbyregister all das verhindert?

Das Register soll dafür sorgen, dass Lobbyisten registriert sind. Das ist ein Anfang. Wir sehen dadurch aber noch nicht, an welchen Gesetzen Lobbyisten mitgewirkt haben. Und Abgeordnete, die selbst als Lobbyisten tätig sind, werden davon erst recht nicht erfasst! Bezahlter Lobbyismus von Abgeordneten muss natürlich verboten werden.

Wir erhalten sehr viele Zuschriften von Lesern, die sehr enttäuscht sind von den Vorgängen, die derzeit öffentlich werden. Ist man sich im Bundestag bewusst, wie viel Vertrauen verloren geht?

Ich glaube, es gibt viele Abgeordnete, die das Problem sehen. Es gibt aber auch einige, die glauben, Politik sei ein Investment in den persönlichen Aufstieg. Denn wir sind ja täglich umgeben von Leuten, die noch viel mehr als wir verdienen.

Wie meinen Sie das?

In der Politik ist es wie im Fußball. Wer Erfolg hat ist schnell auch von dubiosen Gestalten umgeben. Unter Beratern und Werbepartnern gibt es auch falsche Freunde. Natürlich kann das schwache Menschen verlocken. Es geht darum, die Abgeordneten auch vor sich selbst zu schützen.

Ich würde Verkehrsminister Andi Scheuer nicht mal zum Kaffeekochen einstellen. Aber: Er hat ein Telefonbuch und ein Netzwerk mit Entscheidungsgewalt. Wer Leute kennt, kann auch ohne überragende Fähigkeiten in der Privatwirtschaft ein gutes Auskommen erzielen.

Müssen Politiker nach dem Mandat also in Rente gehen? 

Nein. Absolut nicht. Aber das Mandat und die Diäten sind ein Privileg. Neulich hat ein Pizzabote auf seinem Moped mit quietschenden Reifen gewendet, um mir für meine Arbeit zu danken. Wegen meiner Arbeit gegen Korruption, Filz und zur Aufklärung von Finanzskandalen. Das ist mir mehr wert als jede Million auf dem Konto. 

t-online,