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»Ich wollte immer in einer Demokratie leben, nie im Kapitalismus«

Im Wortlaut,

Mit Klar spricht die vielfach preisgekrönte Schriftstellerin Daniela Dahn über die richtige Balance zwischen Markt- und Planwirtschaft und die Chancen sozialer Unruhen in Deutschland.

In Ihrem Buch »Wehe dem Sieger!« (Rowohlt Verlag, 304 Seiten, 18,90 Euro) untersuchen Sie unter anderem, wie sich die Wirtschaftssysteme in beiden deutschen Staaten gegenseitig beeinflussten. Vor zwanzig Jahren brach die Planwirtschaft der DDR zusammen. Worin besteht die Gefahr für die Marktwirtschaft, wie sie in der BRD entwickelt wurde?

Meine These lautet, dass beide Systeme gar nicht autark waren, sondern eine gemeinsame Statik hatten. Auffällig ist jedenfalls, dass sich die soziale Marktwirtschaft mit dem Entstehen des sozialistischen Weltsystems entwickelt hat und mit dessen Untergang auch untergegangen ist. Das perfekte Indiz für meine These ist, dass just nach der Wende 1990 der Konsens von Washington verabschiedet wurde. Der neoliberalen Schockstrategie wurde Tür und Tor geöffnet, die Unternehmen, Banken und Versicherungen übernahmen das Regieren. Das wäre in der Systemkonkurrenz so nicht möglich gewesen. Deshalb muss da ein Zusammenhang bestehen. Der Realsozialismus hat dem Kapitalismus eine soziale Legitimation abverlangt. Er selbst hat kein Gen dafür. Und er ist nicht bereit, über Erfahrungen seines einstigen Konkurrenten nachzudenken. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Realkapitalismus, wie wir ihn jetzt erleben, auf der Verliererspur ist. Vom Verlierer nicht lernen, heißt verlieren lernen.

Auch der Osten hat verloren, weil er nicht mehr lernfähig war. Was muss in diesem Sinne der Westen jetzt vom Osten lernen?

Es geht darum, eine Balance zwischen Markt und Plan zu finden und die Wirtschaft in die Demokratie einzubeziehen. Von allein klappt es nicht, das kann als bewiesen gelten. Wenn der Sozialismus überhaupt eine historisch zu nennende Leistung vollbracht hat, dann war es die, die Macht der Monopole und des Finanzkapitals gebrochen zu haben. Was auf die Dauer fehlte, war die demokratische Legitimation. Deshalb verteidige ich heftig die Demokratie und den Rechtsstaat, weil ich beide für gefährdet halte. Aber ich verteidige nicht das gegenwärtige Wirtschaftssystem. Ich wollte immer in einer Demokratie leben, aber nie im Kapitalismus.

Ein Haupteinwand gegen Ihre Forderung lautet stets, im Zeitalter der Globalisierung könne ein Land nicht für sich allein handeln...

...natürlich nicht, aber wenn man die Freiheit der Finanzmärkte globalisieren kann, kann man auch die soziale Gesetzgebung globalisieren. Leider sind hier Linke und Gewerkschaften vollkommen ins Hintertreffen geraten. Die Forderung »Proletarier aller Länder vereinigt euch!« ist so aktuell wie damals. Ich habe sie im Buch umformuliert in »Prekarier aller Länder vereinigt euch!«. Dass der Internationalismus sozusagen die Seite gewechselt hat von den Arbeiterparteien und den Gewerkschaften hin zum Finanzkapital, ist sicher auch ein Versäumnis der linken Organisationen. Die westlichen Gewerkschaften glaubten, die Sozialpartnerschaft mit dem Kapital hält ewig, das war ein Fehler. Nun muss man zumindest auf europäischer Ebene gemeinsam vorgehen, besser noch global.

Wie viel Hoffnung haben Sie, dass sich etwas ändert?

Der Kapitalismus war immer lernfähig, das darf man nicht unterschätzen. Wenn die Eigentümer merken, dass sie ihre Basis gefährden, ist es nicht auszuschließen, dass sie mehr auf die Rahmenbedingungen achten und weniger riskant auf Gewinne setzen. Aber dieser Prozess muss von starken sozialen Bewegungen begleitet werden. Ich weiß gar nicht, warum die Ankündigung »sozialer Unruhen« Ängste auslöst - sie ist die einzige Hoffnung. Es müssen ja nicht gleich Barrikaden brennen - aber soziale Revolten sind das Einzige, was uns vor dem Raubtierkapitalismus noch retten kann. Um diese Erkenntnis zu verbreiten, bräuchten wir allerdings andere Medien. Ich schlage in meinem Buch einen linken Weltfernsehsender vor.

Meinen Sie soziale Unruhen, wie sie auch die friedliche Revolution in der DDR herbeigeführt haben?

Das waren wohl eher politische Proteste als soziale. Aber interessant ist die Frage, ob friedliche Revolutionen in der bürgerlichen Demokratie als Bürgerwille anerkannt würden. Dass es im Moment noch relativ ruhig ist, liegt vermutlich daran, dass die Krise in ihren praktischen Folgen noch nicht wirklich beim Volk angekommen ist. Die eigentliche Arbeitslosigkeit und deren Folgen stehen noch bevor. Wenn die zunimmt, sollte es mich wundern, wenn die Betroffenen nicht aufwachen und anfangen, sich einzumischen. Wir haben ja in Deutschland leider kein politisches Streikrecht, man darf eigentlich nur für seine Lebensverhältnisse streiken. Vielleicht lernen wir von der französischen Protestkultur, die sich sehr viel weniger bieten lässt. Jede Krise ist eine Gefahr, aber auch eine Chance. Wenn die Bürger aktiv werden, könnte sie eher eine Chance sein.