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"Ich sage mal etwas Löbliches über die Stasi"

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Gregor Gysi über die Rolle des DDR-Geheimdienstes und die Flügelkämpfe in seiner Partei

Die WELT: Im Kinofilm "Das Leben der Anderen" geht es um das Stasi-Unrecht. Eine Szene spielt im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Die heutige Gedenkstätte wird von einstigen Stasi-Größen als "Gruselkabinett" verunglimpft. Warum distanziert sich die Linkspartei nicht eindeutig davon?

Gregor Gysi: Das tun wir. Es war so, daß die Stasi Unrecht begangen hat. Aber jetzt sage ich mal etwas Löbliches über sie. Sie hat sich friedlich auflösen lassen, 80 000 unter Waffen stehende Leute sind einfach nach Hause gegangen. Einige von ihnen kämpfen heute um eine andere Sicht auf sich. Dabei erzählen sie auch Unsinn. Aber keine Waffe wurde eingesetzt. Das ginge nicht bei jedem Geheimdienst.

WELT: Tatsächlich verharmlost die Partei nach wie vor Verstrickungen von Mandatsträgern in den eigenen Reihen. Im Dezember hat sie einen Schatzmeister gewählt, der zu DDR-Zeiten selbst Bekannte denunziert hat.

Gysi: Da kannten wir die Akte nicht. Ich habe Stasi-Unterlagen gesehen, die waren harmlos. Andere haben auch mich erschreckt. Deshalb plädiere ich immer für Einzelfallprüfungen. Was wir nicht mitmachen, ist eine generelle Verunglimpfung der DDR. Manche von uns verteidigen die DDR andererseits in einem Maße, das auch ich nicht akzeptieren kann. In Wirklichkeit wollen sie nur ihr eigenes Leben verteidigen.

WELT: Der Umgang in der Linkspartei mit der SED-Vergangenheit befremdet auch manchen in der WASG. Mit ihrem Fusionspartner gibt es unüberhörbar Streit. Was halten Sie eigentlich von Lucy Redler?

Gysi: Ich kenne sie nicht persönlich, also erlaube ich mir kein Urteil. Ich finde, im Alter von 26 Jahren darf man durchaus Fehler machen.

WELT: Die Trotzkistin tritt bei der Berliner Landtagswahl als Spitzenkandidatin der WASG an, die der Linkspartei Stimmen abnehmen will. Ist das in der Hauptstadt der Sargnagel für Rot-Rot?

Gysi: Die Entscheidung treffen im September die Wähler und nicht die Berliner WASG.

WELT: Ihrem Fusionspartner droht aber nach dem Berliner Affront die Spaltung. Ist das Kooperationsabkommen beider Parteivorstände, das konkurrierende Antritte bei Wahlen ausschließt, nicht Makulatur?

Gysi: Nun warten wir erst einmal die beiden Bundesparteitage am Wochenende ab. In Halle trifft sich die Linkspartei, in Ludwigshafen die WASG. Deren Delegierte müssen reagieren und sollten dafür sorgen, daß die Situation in Berlin bereinigt wird. Die zwischen uns geschlossenen Verträge sind einzuhalten. Geschieht das nicht, gibt es andere Wege.

WELT: Woran denken Sie?

Gysi: Es gibt immer Lösungen. Eines jedenfalls ist klar: Bis Sommer 2007 kommt es zu einer gemeinsamen Partei. Davon kann uns niemand abhalten. Auch nicht Wichtigtuer, die sich jetzt hervortun.

WELT: Ähnlichen Ärger wie in Berlin bereitet die WASG in Mecklenburg-Vorpommern. Macht es Sinn, mit einem Partner zu fusionieren, der nichts anderes als Opposition sein will?

Gysi: Es gibt in jeder Partei unterschiedliche Strömungen. Wir haben auch welche. Die eine ist eher außerirdisch. Sie will ideologisch lupenrein sein und sieht in jedem Kompromiß eine Beschädigung. Deshalb wird alle Verantwortung in dieser Gesellschaft abgelehnt. Andere sind zu so vielen Zugeständnissen bereit, daß sie den etablierten Parteien immer ähnlicher werden. Dann gibt es jene, die mir besonders liegen: Sie wollen einerseits eine Alternative zu unserem System anbieten. Sie bestreiten nicht, daß der Kapitalismus wissenschaftlichen Fortschritt und ökonomische Effizienz hervorbringt. Aber er kann gesellschaftliche, soziale oder ökologische Probleme nicht lösen, im Gegenteil. Anderseits wollen sie hier und heute konkret mitwirken und verändern.

WELT: Mit Oskar Lafontaine sind Sie die Galionsfigur des Projekts, konnten aber trotzdem das Sektierertum nicht unterbinden. Sehen Sie Ihre Autorität beschädigt?

Gysi: Wenn das so wäre, müßte ich damit leben.

WELT: Mit der Linkspartei ging im vergangenen Jahr ein Gespenst um in Deutschland. Es hat sich schnell verflüchtigt, wie die letzten Landtagswahlen gezeigt haben.

Gysi: Wir sind ein Korrekturfaktor. Niemand wird bestreiten, daß unsere internen Querelen nicht förderlich waren. In Baden-Württemberg, vor allem aber in Rheinland-Pfalz hatten wir uns mehr erhofft. In Sachsen-Anhalt konnten wir prozentual zulegen. Trotzdem behaupte ich, das Projekt einer vereinigten Linken ist lebendig und hat bereits die politische Diskussion im Land verändert.

WELT: Tatsächlich wird die Linke auf Bundesebene als eine von drei Oppositionsparteien kaum wahrgenommen. Sind Sie dagegen nicht machtlos?

Gysi: Was geschieht denn im Bund? Im Kern setzt die große Koalition die Politik der Schröder-Regierung fort, ergänzt durch eine Mehrwertsteuererhöhung. Dies wird die SPD nicht stärken, sondern deren Wähler immer unzufriedener machen. Deshalb sage ich: Nie zuvor gab es mehr Berechtigung für eine Partei links von der SPD.

WELT: FDP oder Grüne - mit wem läßt es sich in der Opposition besser zusammenarbeiten?

Gysi: Mit der FDP geht vieles leichter, weil wir nie in Verdacht stehen, irgendwann miteinander koalieren zu wollen. Das ist ein bißchen so wie zwischen mir und dem Springer-Verlag. Bei den Grünen sieht das anders aus. Als Ex-Regierungspartei haben sie ihre Rolle noch nicht gefunden und ständig Angst, in zu große Nähe zu uns zu geraten.

WELT: Ist die Ostdeutsche Merkel als Kanzlerin besser als der Westdeutsche Schröder?

Gysi: Beide lassen sich nicht vergleichen. Zudem ist Merkel ja noch in der Entwicklung, wobei es aber ein Fehler wäre, sie zu unterschätzen. Sie kann etwas, was Männern abgeht - sich zurücknehmen. Weil sie nicht jede Auseinandersetzung annimmt, muß sie sich auch nicht ständig korrigieren. Taktisch ist das geschickt. Allerdings weiß ich nicht, wo Merkel national und international hin will mit Deutschland.

WELT: Die CDU-Chefin sieht die Linke als eine Partei des Umverteilens, die Interessen der Transferempfänger bedient und der wirtschaftlicher Sachverstand fehlt. Mal ehrlich: Hat sie nicht recht?

Gysi: Mit ihrem wirtschaftlichen Sachverstand hält ein Oskar Lafontaine allemal mit. Selbstverständlich vertreten wir Interessen. Natürlich nicht die des Herrn Ackermann von der Deutschen Bank. Sondern die der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen. Letztere haben nicht nur ein materielles, sondern oft auch ein psychisches Problem. Ihnen gibt die Gesellschaft das Gefühl, sie würden nicht mehr gebraucht.

WELT: Ihre Partei fordert einen Mindestlohn von acht Euro. Wie viele Jobs gehen dadurch verloren?

Gysi: Kein einziger, wenn der Mindestlohn für alle gilt. Es kommt auf Chancengleichheit im Wettbewerb an. Bereits 18 EU-Mitgliedsländer haben einen Mindestlohn. Warum sollte er bei uns nicht möglich sein?

WELT: Mehr als 60 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmer haben Stundenlöhne von weniger als acht Euro . . .

Gysi: Deshalb plädieren wir für Übergangsfristen. Gerade kleine Firmen, die noch keine Mindestlöhne zahlen können, sollen vorübergehend Zuschüsse erhalten. Acht Euro sind übrigens kein willkürlicher Betrag. Sie entsprächen im Monat 1400 Euro brutto oder 1000 Euro netto. Die gerichtliche Pfändungsgrenze liegt bei 985 Euro, die müssen jedem Schuldner bleiben. Damit ist ein Minimum definiert.

WELT: In keinem anderen Industrieland ist die Arbeitslosigkeit bei Geringqualifizierten so hoch. Liegt das nicht daran, daß wir längst einen Mindestlohn haben - für Nichtarbeit?

Gysi: Natürlich ist es ein Problem, daß wir nicht so viele Möglichkeiten geringqualifizierter Arbeit haben. Solche Stellen wurden massenhaft ins Ausland verlegt. Angesichts der schlechten Position Deutschlands müssen wir uns doch aber fragen, ob die Bildungspolitik nicht versagt hat. Wäre da mehr getan worden, hätten wir auch deutlich weniger Geringqualifizierte.

Mit Gregor Gysi sprachen Frank Käßner und Uwe Müller

Die Welt, 27. April 2006