Zum Hauptinhalt springen

Hohe Ansteckungsgefahr

Interview der Woche von Gregor Gysi,

Gregor Gysi, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über die Verhandlung des Bundesverfassungsgericht in dieser Woche zu ESM und Fiskalpakt, Steuerzahler, die mit Milliarden Banken retten, den Abbau von Schulden durch Sozialabbau, die dramatische Situation in Südeuropa und mit einem Ausblick auf den Parteitag in Dresden

Im September 2012 hat das Bundesverfassungsgericht die Ratifizierung von Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und Fiskalpakt unter Auflagen genehmigt. Am Dienstag und Mittwoch verhandelt das Bundesverfassungsgericht nun mündlich über mehrere Klagen gegen ESM und den Fiskalpakt, darunter die Klage der Fraktion DIE LINKE. Mit welchen Erwartungen reisen Sie nach Karlsruhe?

Gregor Gysi: Im September 2012  hatte das Bundesverfassungsgericht den ESM-Beitritt Deutschlands unter Auflagen vorläufig genehmigt, so dass Deutschland den Vertrag dazu mit den Stimmen von Union, FDP, SPD und Grünen und gegen die Stimmen der Linken ratifizieren konnte. Noch gar nicht behandelt wurden bisher die Beschwerden gegen das  Anleihekaufprogramm der EZB, das mit harten Kürzungsauflagen gegen die betreffenden Länder verknüpft ist. Auch dieses soll auf unseren Antrag hin nun durch den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts in der mündlichen Hauptsacheverhandlung am 11. und 12. Juni 2013 geschehen. Der Ausgang des Verfahrens ist zumindest insoweit noch offen.

Was ist Ihre grundlegende Kritik am ESM und Fiskalpakt?

Mit dem ESM werden bis zu 500 Milliarden Euro für weitere Bankenrettungen, die mit harten Kürzungsauflagen bei den Bürgerinnen und Bürgern in den betreffenden Ländern verbunden sind, bereitgestellt, für die letztlich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Haftung genommen werden.

Der Fiskalpakt ist die Übertragung der deutschen Schuldenbremse auf die Euro-Staaten. Es soll die Staaten dazu verpflichten, ihre öffentlichen Schulden abzubauen. Und zwar auch dann, wenn die Kürzungen die wirtschaftlichen Krisen in den Ländern noch verschärfen, wie das in den südeuropäischen Ländern der Fall ist. DIE LINKE hat das Zwangskorsett Schuldenbremse ebenso abgelehnt wie den Fiskalpakt, weil sie die politischen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten von Parlamenten einschränken und völlig einseitig auf den Abbau von öffentlichen Schulden durch Sozialabbau orientieren.

Außerdem müssen Banken endlich für Banken haften. Es kann nicht sein, dass deren Schulden regelmäßig von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern übernommen werden. In der Wirtschaft geschieht dies auch nicht.

Lässt sich Politik nicht auch mit Schuldenbremsen gestalten?

Das ist unendlich schwieriger. Im Grunde genommen gibt es zwei Alternativen. Frau Merkel und die Neoliberalen wollen die Schulden mit staatlichen Leistungskürzungen bei Arbeitslosen, Rentnerinnen und Rentnern, den Beschäftigten und den Sozialversicherungssystemen von der Mehrheit der Bevölkerung bezahlen lassen. Sie setzen einseitig auf Ausgabenkürzungen.

Der zweite Weg wäre, die Einnahmen des Staates zu erhöhen. Dies kann zum einen durch ein sozial gerechteres Steuersystem geschehen, in dem die Vermögenden höher besteuert werden und sich durch eine Vermögenssteuer an den Kosten der durch die Bankenkrise verursachten Staatsschuldenkrise beteiligen. Zweitens können die Einnahmen durch eine Stärkung der Binnenmärkte, höhere Löhne, Renten und Sozialleistungen bei uns und durch einen Marshall-Plan in den Krisenländern Südeuropas gesteigert werden, um aus den Wachstumsüberschüssen die Schulden abzutragen. Ohne Wachstum wird es nicht funktionieren, aber durch Ausgabenkürzungen wird Wachstum verhindert.

Die Eurozone steckt in der längsten Rezession ihrer noch jungen Geschichte. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere junger Menschen, nimmt gerade in Südeuropa dramatisch zu. Wie bewerten Sie das mit Blick auf Europa und den Euro?

Die schweren Krisen in Spanien, Portugal, Griechenland und Zypern, aber auch die Einbrüche in Italien und Frankreich führen bei vielen dazu, die europäische Integration nicht mehr als politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gewinn, sondern als Bedrohung ihrer Lebenslagen wahrzunehmen. Das stärkt faschistische Kräfte wie in Griechenland und rechtspopulistische Parteien, die das Rad wieder zurückdrehen wollen. Die Bankenrettungspolitik mit harten Auflagen und Diktaten, die die Bundesregierung mit Zustimmung der SPD und der Grünen durchsetzen konnte, trägt entscheidend zur Erosion des Einigungsprozesses und zur Spaltung Europas bei. Sie kann mehr als den Euro, das ganze europäische Projekt gefährden, wenn diese sozial verheerende Politik fortgesetzt wird.

Die Bundeskanzlerin verteidigt die Kürzungsdiktate mit dem Hinweis auf die Wettbewerbsfähigkeit. Warum überzeugt Sie das nicht?

Kürzungsdiktate haben die Staaten noch nie wettbewerbsfähiger gemacht. In Ostdeutschland liegen die Löhne auch 23 Jahre nach der Einheit immer noch deutlich unter dem westdeutschen Niveau. Das wurde immer mit der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit begründet. Ist Ostdeutschland durch Lohnkürzungen etwa wettbewerbsfähiger und wirtschaftlich erfolgreicher geworden? Im Gegenteil. Im letzten Jahr ist der Abstand in der Wirtschaftsleistung wieder größer geworden.

Wenn sich die Eurozone nicht bald erholt: Welche Folgen hat das für Deutschland?

Die unsozialen Kürzungsdiktate, die tiefe wirtschaftliche Rezessionen in den südeuropäischen Staaten auslösen, wirken auf Deutschland in Gestalt eines drastischen Rückgangs der Exporte zurück. Allein die deutsche Automobilindustrie verkauft derzeit rund 16 Prozent weniger PKW in Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und Griechenland. Wenn die anderen Staaten eine Grippe haben, kann Deutschland der Ansteckung nicht ausweichen.

Bislang haben aber viele Menschen in Deutschland das Gefühl, dass die Eurokrise vor allem die Krise der anderen ist. Was stimmt denn daran nicht?

Mit diesem Eindruck haben die Leute ja irgendwie auch recht. Man stelle sich vor, was bei uns los wäre, wenn über die Hälfte der jungen Menschen arbeitslos und ohne Perspektive sind? Wir haften für alle Darlehen an Südeuropa zu 27 Prozent. Da die Staaten dort zahlungsunfähig gemacht werden, kann das noch schIimme Folgen für uns haben. Die amtierende Bundesregierung ist mitverantwortlich für die katastrophale Bankenrettungspolitik und für das Lohndumping und die damit verbundenen Handelsbilanzungleichgewichte, die wir nur überwinden können, in dem bei uns Löhne, Renten und Sozialleistungen stärker steigen, um die Kaufkraft und damit die Binnennachfrage zu steigern.

Ab Freitag tagt die Partei DIE LINKE in Dresden. Welche Bedeutung kommt dem Parteitag wenige Monate vor der Bundestagswahl zu?

Die Bedeutung liegt zum einen darin, dass DIE LINKE ihre Bundestagswahlprogramm, das sich auf Forderungen konzentriert, die wir in der nächsten Legislaturperiode umsetzen würden, verabschiedet.

Darüber hinaus hoffe ich, dass vom Parteitag eine Aufbruchstimmung ausgeht, einen leidenschaftlichen, engagierten, phantasievollen Wahlkampf mit unseren Themen in den Wochen vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen und den Bundestagswahlen zu führen. Wenn unsere Mitglieder und Sympathisanten im Wahlkampf  mitreißen, Engagement zeigen, dann strahlt dies auch auf die Bürgerinnen und Bürger aus, die wir überzeugen wollen, DIE LINKE zu wählen. Ich bin in dieser Hinsicht ziemlich zuversichtlich.

linksfraktion.de, 10. Juni 2013