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»Hört auf, Russland uns zum Feind zu machen!«

Im Wortlaut von Wolfgang Gehrcke,

 

Von Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland, zwischen der Europäischen Union und Russland waren nach 1945 noch nie so schlecht wie sie heute sind. Es herrscht Eiszeit und Kalter Krieg. Selbst in der Regierungskoalition macht sich – wenigstens im sozialdemokratischen Teil dieser Regierung – Unbehagen breit. Erfahrene Russlandpolitiker der CDU/CSU sind entweder nicht mehr im Bundestag oder wurden ausgebootet. Systematisch hat die Bundesregierung dazu beigetragen, dass nicht nur der Ton zwischen Berlin und Moskau rauer, sondern ein altes-neues Feindbild wieder aufgebaut wurde. Einige wenige Fakten dazu:

  • Die Bundeswehr steht im Rahmen von NATO-Verbänden an der Westgrenze Russlands – als Speerspitze, so heißt auch die entsprechende Operation, zum Beispiel in den baltischen Ländern. Eine trickreiche dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen in diesen Ländern ist in Planung.
  • Ein Raketenschirm der NATO teilt Europa in Zonen unterschiedlicher Sicherheit. Trotz allem Herumgerede ist es aber klar: Die Raketen der NATO sind gegen Russland gerichtet.
  • Die NATO treibt Hochrüstung voran; es sollen neue, große Panzerverbände entstehen – aufgestellt mit Blickrichtung Moskau.
  • Die Bundeswehr nimmt an unverantwortlichen Manövern einzelner Länder und von NATO-Verbänden entlang der russischen Grenze teil. Das Großmanöver in Polen umfasste über 30.000 Soldaten und trug den Namen „Anakonda“. Die Anakonda ist eine Würgeschlange, und man braucht nicht sehr viel Phantasie, um nachzuvollziehen, wie in Russland diese Drohgebärden aufgenommen werden. Dass ausgerechnet deutsche Militärs die Führung der NATO-Speerspitze stellen, ist eigentlich unvorstellbar.

Nicht nur die Außenpolitik verschärft die Auseinandersetzung mit Russland. Die Bundesregierung hält beharrlich an der europäischen Sanktionspolitik gegenüber Russland fest und will – ich befürchte: wird – auch einer erneuten Verlängerung der Sanktionen zustimmen. Was früher der schlichte Antikommunismus war, wird heute ersetzt durch einen ebenso schlichten antirussischen Komplex.

In den 50er Jahren plakatierte die CDU „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau“. Heute wird das Plakat durch eine dementsprechende Politik ersetzt. Vom Eurovision Song Contest bis zum geplanten Rauswurf der russischen Sportler bei Olympia durchzieht ein vielfach hämischer Ton in den Medien. Selbst sozialdemokratische Politiker, die trotz ihrer Verantwortung für diese Regierungspolitik zu Besonnenheit mahnen, gelten schon bald als „Vaterlandsverräter“. Ein Beispiel: In der Tageszeitung „Welt“ ist zu lesen: „Dass ein deutscher Außenminister dem westlichen Verteidigungsbündnis in den Rücken fällt, ist ein beispielloser Akt von Illoyalität. Inhaltlich übernimmt Steinmeier damit die demagogische Logik der Linkspartei.“ Wo die „Welt“ einen solchen Ton vorgibt, dürfen andere nicht zurückstehen.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Norbert Röttgen (CDU) giftet Außenminister Steinmeier an, er solle sich um Außenpolitik kümmern und die Debatten in der SPD über eine bessere Russlandpolitik einfach ausblenden. Der neue Chefsprecher für die CDU-Außenpolitik Jürgen Hardt mahnt den Außenminister, nicht aus der westlichen Wertegemeinschaft auszuscheren. Besonders schrille Töne kommen wiederum aus den Reihen der Grünen. Wie schon in der Ukraine-Debatte treten grüne Politiker nicht für Entspannung ein, sondern verschärfen die NATO-Konfrontationspolitik. Die grüne Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, Marieluise Beck, und die Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebekka Harms, sprechen von einem unverantwortlichen Signal, das Steinmeier gegeben habe.

Die Botschaften von Steinmeier und Gabriel höre ich wohl. Nur wenn es um die Umsetzung solcher Botschaften geht, fällt die Regierung, fallen Steinmeier und Gabriel immer wieder um. Die richtige Konsequenz aus ihren Erkenntnissen wäre jetzt sofort der Einstieg in den Ausstieg aus der Sanktionspolitik und eine Aufarbeitung der schwierigen deutsch-russischen Geschichte und Beziehungen.

Gerade der 75. Jahrestag des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion kann und darf doch nur eine Botschaft haben: Nie wieder!

Die Botschaft »Gute Nachbarschaft mit Russland« findet in der deutschen Bevölkerung und in Russland massenhafte Unterstützung. Das ist das Neue in dieser Zeit: Die Bevölkerung hat sich nicht zu antirussischen Positionen reif schreiben oder reden lassen.

Die Russlandpolitik der Fraktion und der Partei DIE LINKE ist berechenbar und auf gute Nachbarschaft ausgelegt. DIE LINKE fordert, dass die Beziehungen zu Russland dringend wieder verbessert werden müssen. DIE LINKE spricht angesichts der deutschen Verantwortung für den faschistischen Vernichtungskrieg von besonderen Beziehungen Deutschlands zu Russland. Aktuell ist DIE LINKE überzeugt, dass der Versuch, Russland zu isolieren, zugunsten eines Systems der europäischen Sicherheit aufgegeben werden muss. Auch deshalb will DIE LINKE, dass Deutschland aus den militärischen Strukturen der NATO austritt. Statt NATO-Aggressionspolitik ist dem Sicherheitsbedürfnis aller europäischen Staaten einschließlich Russlands zivil Rechnung zu tragen. Der Ukraine-Konflikt muss friedlich und durch Verhandlungen zur Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk II gelöst werden. Dazu gehören eine Verfassungsreform, humanitäre Hilfe und die Einstellung bewaffneter Feindseligkeiten. Die Ukraine soll weder der Europäischen Union noch der NATO beitreten bzw. in diese Organisationen aufgenommen werden.

Alle politischen und wirtschaftlichen Sanktionen sind sofort aufzuheben. Das ist die Politik der LINKEN und nicht nur der LINKEN. Eine weitere Zuspitzung und Verschärfung des Kalten Krieges birgt die Gefahr in sich, dass aus dem Kalten Krieg ein heißer wird. Eine militärische Konfrontation NATO/USA gegen Russland kann nicht ausgeschlossen werden. Diese Gefahr muss erkannt und ihr muss entschieden entgegengetreten werden.

 

linksfraktion.de, 21. Juni 2016