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Herzensanliegen Mindestlohn

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Foto: Flickr.com / Uwe Fiedler

 

Man könnte meinen, es sei Angela Merkel und ihrer Regierung ein Herzensanliegen: Quasi als letzte Amtshandlung hat das Kabinett am Mittwoch einigen Branchenmindestlöhnen noch schnell seinen Segen gegeben. Steinmetzinnen und Steinmetze, Bildhauerinnen und Bildhauer meißeln ab Oktober erstmals für Mindestlohn. Die Vereinbarungen, die Gewerkschaft und Arbeitgeber für die Beschäftigten im Dachdecker- und Gebäudereinigerhandwerk getroffen haben, wurden verlängert. Noch-Arbeitsministerin von der Leyen bejubelte außerdem die Einigung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern für neue Lohnuntergrenzen in der Leiharbeit – man sehe daran, sagt die Ministerin, dass Vorgaben der Politik unnötig seien und sich die Tarifparteien wunderbar auf "vernünftige Löhne" einigen könnten.

Ein Herzensanliegen? Tarifpartnerschaft stärken? Armutslöhne verhindern? Nichts davon.

Die von der Bundesregierung beschworene Tarifpartnerschaft wird immer mehr zum Ausnahmefall. In immer mehr Branchen prägt Tarifflucht der Arbeitgeber das Bild. Schon jetzt gilt nur noch für knapp die Hälfte der bundesweit Beschäftigten ein Branchentarifvertrag. Und es sind mitnichten nur kleine Unternehmen, die aus den Kollektivverträgen aussteigen. Karstadt ist eins der jüngsten Beispiele. Vorstöße, Tarifflucht gesetzlich einzudämmen, lehnt die Bundesregierung ab.

Auch sehen »vernünftige« Löhne anders aus. 7,50 Euro ist der derzeit gültige unterste Branchenmindestlohn im Sicherheitsgewerbe, 8 Euro bei Pflegedienstleistungen, bei Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern sollen des dann ab Januar 8,50 beziehungsweise 7,80 Euro werden. Solche Löhne können Armut trotz Arbeit nicht verhindern. »Ein Stundenlohn von 8,50 Euro liegt weit unter der vom Statistischen Bundesamt definierten Niedriglohnschwelle und reicht nach Berechnungen der Bundesregierung nicht einmal für eine Rente in Höhe der Grundsicherung«, hält Gregor Gysi fest. Und von den insgesamt rund 7,5 Millionen Menschen, die in Deutschland unterhalb der Niedriglohnschwelle schuften, haben wir hier noch gar nicht gesprochen.

Gerade der Mindestlohn für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter ist kein Grund zum Feiern. Sie werden auch weiterhin gegenüber ihren fest angestellten Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben deutlich benachteiligt –sowohl hinsichtlich des Einkommens als auch der Arbeitsbedingungen. »Leiharbeit müsste als moderne Form der Sklaverei entweder verboten oder wie in Frankreich geregelt werden«, fordert Gregor Gysi. Dort haben Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter Anspruch auf 110 Prozent des Lohnes, den Beschäftigte aus der Stammbelegschaft für die gleiche Arbeit in dem Unternehmen erhalten, in dem sie arbeiten. Das würde entscheidend dazu beitragen, Leiharbeit zu einer Ausnahmeerscheinung zu machen und den Beschäftigten, ihrer Flexibilität und Belastung wesentlich gerechter werden. Eine "zeitliche Begrenzung" von Leiharbeit, mit der die Kanzlerin die Fehler der Agenda 2010 flickschustern will, würde sich dann durch die höheren Kosten selbst erübrigen.

Unbegreiflich ist es zudem, dass dreiundzwanzig Jahre nach der deutschen Einheit immer noch Vereinbarungen abgeschlossen werden, die unterschiedliche Bezahlung und Arbeitsbedingungen in Ost und West vorsehen. »Wenn von der Leyen die jetzt beschlossenen Branchenmindestlöhne heute als Erfolge feiert, dann bekennt sie sich auch zum Fortbestand dieses zutiefst ungerechten Lohngefälles«, kritisiert Jutta Krellmann, arbeits- und mitbestimmungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Allein die Gerüstbauerbranche hat einen bundeseinheitlichen Mindestlohn von 10 Euro.

Jutta Krellmann kritisiert Branchenmindestlöhne noch aus einem anderen Grund: Die Differenzierung nach Branchen erschwere die Kontrolle dieser Löhne immens. »In den letzten Jahren waren Unternehmen unglaublich kreativ, wenn es darum ging, bestehende Tätigkeiten in andere Branchen einzugruppieren oder sogar gänzlich neue "Branchen" zu erfinden, um bestehende Branchenregelungen zu umgehen«, beschreibt Krellmann die Schlupfloch-Strategie vieler Arbeitgeber.

Wem es also ein Herzensanliegen ist, dass Menschen in Deutschland – im Osten wie im Westen – gute Arbeits- und Lebensbedingungen haben, wer Armut trotz Arbeit, Alters- und Kinderarmut verhindern und Teilhabe sichern will, kommt nicht drum herum, Gregor Gysi Recht zu geben: »Wir brauchen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro und in Ost und West und für Frauen und Männer endlich den gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit in gleicher Arbeitszeit und für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente.«

linksfraktion.de, 19. September 2013