Zum Hauptinhalt springen

Hartz IV statt Gold in Pforzheim

Im Wortlaut von Annette Groth,

Wie in jedem Jahr sind die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE während der so genannten Parlamentarischen Sommerpause viel in ihren Wahlkreisen unterwegs. Vor Ort nehmen sie sich der Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger an, besuchen Betriebe und Vereine, engagieren sich für lokale und regionale Anliegen. Auf linksfraktion.de schreiben die Parlamentarierinnen und Parlamentarier über ihren Sommer im Wahlkreis.

Im Rahmen meiner Sommertour habe ich im Juli das Erwerbslosenzentrum in den Räumen des Diakonischen Werkes Pforzheim besucht. Schon seit einiger Zeit beobachte ich mit Sorge, dass sich die Lebenssituation für Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger in Pforzheim zunehmend verschlechtert.

Eingebunden in den Nordschwarzwald, umgeben von Kraichgau und Stromberg, liegt Pforzheim, die Goldstadt, das Zentrum der Deutschen Schmuck- und Uhrenindustrie. Das Oberzentrum der Region Nordschwarzwald ist der ideale Ausgangspunkt für den Schwarzwaldurlauber. Wanderer starten hier zu den Höhenwanderwegen durch den Schwarzwald.

Die Zeit der Vollbeschäftigung, die der Goldstadt Pforzheim zu Wohlstand und allgemeiner Bekanntheit verhalf, ist allerdings schon längst vorbei. Die Schmuckindustrie verlagerte im Zuge der Globalisierung ihre Produktionsstätten zunehmend ins Ausland, um damit ihre Profite auf Kosten der Löhne zu steigern. Dies hatte zur Folge, dass immer mehr Fachkräfte und angelernte Mitarbeiter aus dem Schmuckhandwerk entlassen worden sind. Der ökonomische Niedergang der einstigen Goldstadt war damit besiegelt. Im Jahr 2009 lag die Arbeitslosenquote der Stadt Pforzheim bei 9,9% und damit über 2 Prozentpunkte über dem deutschen Mittel. Innerhalb des Landes Baden-Württemberg hält Pforzheim seit Jahren die höchste Arbeitslosenquote aller Kreise und Städte.

Der Erwerbslosentreff, ein gemütlich eingerichteter Raum mit angrenzender Küche und einem separaten Beratungsraum, bietet seinen Gästen die Möglichkeit sich kennen zu lernen, sich auszutauschen und auch ein gemeinsames Mittagessen einzunehmen. Bei meinem Eintreffen wurde ich von Uwe Riehl, dem Leiter des Erwerbslosentreffs, herzlich begrüßt. Unter den anwesenden arbeitslosen Frauen und Männern waren auch zahlreiche Menschen mit türkischer und irakischer Staatsangehörigkeit. Neubürger der Stadt Pforzheim, insbesondere Flüchtlinge aus dem Irak, haben mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie werden nicht nur mit speziellen bürokratischen Hemmnissen konfrontiert, sondern treffen auch bei den Bürgern der Stadt Pforzheim auf weitverbreitete Skepsis. Leserbriefe in der Pforzheimer Medienlandschaft belegen die Ressentiments der BürgerInnen zur Genüge.

Sechs Frauen, drei Familien und vier Männer erzählten von ihrem Leben in Armut. Sie erzählten von dem Gefühl, versagt zu haben, von ihren Fehlern, ihrer Scham, ihrer Einsamkeit, ihren Hoffnungen. Sie erzählten von ihrem täglichen Versteckspiel, von den Bittgängen zu Ämtern, in denen Leute sitzen, die darüber bestimmen können, ob der Kühlschrank repariert wird oder nicht. Sie erzählten von ihren Überlebenskünsten im Alltag: Wie man mit dem Regelsatz vier Kinder ernährt, die nicht merken sollen, dass sie arm sind. Wie man auch mal ganz ohne Geld lebt. Wie man trotz dauernder Niederlagen den Mut nicht verliert.

In den Gesichtern derer, die über die Behandlung in den Ämtern berichteten, war Verzweiflung, Hilflosigkeit und nicht selten Tränen zu sehen. Kein Wunder: Wenn sich Zahlungen der ARGE wochen- oder gar monatelang verzögern oder Strafmaßnahmen des Amtes das Wenige noch geringer machen, dann ist die Existenz bedroht.

Tragisch wird dies bei Alleinerziehenden und deren Kindern, die hauptsächlich von den Sparmaßnahmen betroffen sind. Besonders aber in Fällen wo Eltern oder Elternteile überfordert und stigmatisiert sind und damit keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt haben.

Am Ende meines Besuches im Erwerbslosenzentrum war ich tief berührt und erschüttert. Besonders hat mich eine Aussage einer alleinerziehenden Mutter von vier Kindern bewegt: «Ich möchte so schnell wie möglich weg von diesem Hartz IV, und nicht dauernd irgendwo anstehen und betteln müssen. Ich möchte ein Einkommen haben, von dem wir leben können. Etwas mehr Ruhe wünsche ich mir, dass ich nicht laufend hinter allem her sein muss, kämpfen muss. Manchmal ist es nicht so einfach, und ich liege nachts wach. In unbeobachteten Momenten, wenn die Türen zu sind und die Kinder schon schlafen, wird dann geheult. Das sind die Gruben, in die man fällt. Am nächsten Morgen ist die Welt dann wieder in Ordnung, dann habe ich mich wieder hochgerappelt. Aber ich möchte einfach mal wieder beruhigt durchschlafen können.»

Mein Besuch im Erwerbslosenzentrum hat mich nun einmal mehr darin bestärkt, mich vor Ort und auf bundespolitischer Ebene mit der Fraktion DIE LINKE für eine Erhöhung der Regelsätze einzusetzen. Es muss sichergestellt werden, dass alle Menschen in unserem Land ein menschenwürdiges Leben führen können. Kinder dürfen nicht länger die Leidtragenden sein. Sie müssen unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund die gleichen Bildungschancen haben. Als erster Schritt muss dazu der Bedarf an die speziellen Bedürfnisse von Kindern angepasst werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Neuberechnung der Kinderregelsätze muss dazu in sinnvoller Weise umgesetzt werden und darf nicht mit der Vergabe von Bildungsgutscheinen zur weiteren Diskriminierung Erwerbsloser beitragen.

Die bestehende soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung von Hartz-IV-Empfängern wird durch
Einsparungen an sozialen und kommunalen Einrichtungen weiter verschärft. In Pforzheim beispielsweise werden immer mehr die Kosten der Unterkunft als Hebel verwendet, um Kosten zu reduzieren. Sparmaßnahmen der Bundesregierung und der Kommunen dürfen nicht länger auf Kosten der sozial Schwachen gehen.

Längerfristiges Ziel muss es sein, das derzeitige System der Hartz-IV-Gängelungen durch eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung zu ersetzen. Dafür mache ich mich stark.

Von Annette Groth

linksfraktion.de, 21.08.2010

Zur Übersichtsseite der Reihe Sommer im Wahlkreis