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Hartz-Gesetze überwinden

Im Wortlaut von Herbert Schui,

Das Bundesverfassungsgericht hat zu den Hartz IV-Regelsätzen Klarheit geschaffen: Vor allem beim Bedarf für Kinder hat der Gesetzgeber die Höhe der Leistungen nicht aus dem tatsächlichen Bedarf begründet. Abschläge »ins Blaue hinein« seien nicht angemessen. Ähnliches stellt das Gericht für Bedarfsgemeinschaften insgesamt fest. Die Hartz-Gesetze sind also in weiten Bereichen verfassungswidrig. Die rot-grünen und schwarz-roten Bundesregierungen haben die Grundrechte besonders der Kinder nicht beachtet. Also verfassungswidrige Schlamperei seit 2003, dem Jahr der ersten Hartz-Gesetze!

Mit diesem Urteil wurde allgemein gerechnet. Es ist ein Argument mehr, die ganze Hartz-Gesetzgebung zu überwinden, so wie dies die Linke ja mit der Gründung der WASG fordert. Leben kann man von Hartz IV kaum, beschäftigungspolitisch ist das Gesetz Betrug: Es erzwingt mehr Teilzeitbeschäftigung. Wer wenigstens 15 Stunden in der Woche arbeitet, ist als beschäftigt registriert und sorgt für eine bessere Statistik. So erklärt sich, dass die je Arbeitnehmer im Jahr geleisteten Arbeitsstunden von 2003 bis 2009 um knapp vier Prozent gefallen sind- und das, obwohl die Arbeitszeit bei den Vollbeschäftigten durchweg verlängert worden ist.

Weil der Richterspruch sehr dazu beiträgt, Hartz IV in Frage zu stellen, haben viele Zeitungen das Gefecht eröffnet, um Hartz zu verteidigen oder - mehr noch- um eine Kürzung der Regelsätze nahezulegen. Seit Januar allen voran die Bild-Zeitung: »Faule Arbeitslose härter anpacken« (11.1.), »Anreiz zur Faulheit« (22.1.), »Für viele lohnt sich Arbeiten kaum noch« (22.1), »Macht Harz IV faul, Herr Brüderle?« (26.1.), »So wird bei Harz IV abgezockt. 72,2 Millionen Hartz IV zu viel gezahlt« (3.2.) Durchgängig ist das Argument, der Abstand zwischen Hartz IV und dem Lohneinkommen bei Vollzeigebeschäftigung sei zu gering.
Deswegen hätten die Arbeitslosen keinen Grund, sich nach Arbeit umzusehen. Also gegen das Urteil des Verfassungsgerichtes und runter mit den Regelsätzen? Das legen die Bild- und andere Zeitungen nahe

Warum redet niemand von höheren Löhnen, damit der Abstand zwischen Stütze und Lohneinkommen höher ist? Den nötigen Abstand schaffen kann ein gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro die Stunde! (Seit langem die Forderung Der Linken.) Und noch eine wichtige Information: Zu Beginn der 70er Jahre mussten die Arbeitslosen nicht jede Arbeit annehmen. Es gab viel mehr Berufsschutz und bessere Zumutbarkeitsregelungen. Und dank erfolgreicher Gewerkschaften waren die Löhne weitaus höher als das Arbeitslosengeld. 1970 hatten wir - ohne Hartz- Gesetzgebung- 148.864 Arbeitslose (eine Arbeitslosenquote von 0,7 Prozent) und 528.403 Sozialhilfeempfänger. Hartz IV bekommen derzeit 6,5 Millionen Personen.

Von Herbert Schui

Harburger Anzeigen und Nachrichten, 11. Februar 2010