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Gute Arbeit – nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit

Interview der Woche von Klaus Ernst,

Klaus Ernst, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, im Interview der Woche zu der Gefahr des wachsenden Niedriglohnsektors für die deutsche Wirtschaft und die Überwindung der Krise in Europa

 

 

Klaus Ernst, die Arbeitsmarktzahlen für Juli, die die Agentur für Arbeit am vergangenen Mittwoch bekannt gab, gaben zwar keinen Anlass zum Jubeln, zeigten aber auch keine große Negativtendenz. Bei unseren europäischen Nachbarn sieht es da ganz anders aus. Kommen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vergleichsweise gut durch die Krise?

Klaus Ernst: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland befinden sich seit Jahren in der Dauerkrise. Schuld daran hat vor allem die Niedriglohnpolitik als Folge der Agenda 2010. Mittlerweile arbeiten acht Millionen Menschen im Niedriglohnsektor und immer mehr Menschen verharren im Hartz IV-System. Zugleich lasten die deutschen Kürzungsdiktate wie Blei auf der europäischen Wirtschaft und drücken insbesondere die Krisenländer immer tiefer in die Rezession. Dass hat natürlich gravierende Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte der Krisenländer. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist doch schon jetzt davon betroffen. Wir werden dann mit zwei Problemen zu kämpfen haben: Steigende Arbeitslosigkeit bei weiter sinkenden Löhnen.

Unter "Arbeitsplatz" verstehen viele Menschen in Deutschland ein unbefristetes sozialversicherungspflichtiges Vollzeitarbeitsverhältnis. Entspricht das noch der Lebenswirklichkeit?

Schön wäre es! Mit der Lebenswirklichkeit hat das nichts zu tun. Deutschland ist in Europa der Motor der Niedriglohnbeschäftigung. 1,2 Millionen abhängig Beschäftigte können vom Lohn ihrer Arbeit nicht leben und beziehen ergänzende Hartz IV-Leistungen. Über 2,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen mittlerweile einem Zweitjob nach. Erst jüngst hat das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit (IAB) noch einmal belegt, dass 24 Prozent der Beschäftigten Geringverdiener sind. Deutschland hat damit den größten Niedriglohnsektor in Westeuropa. Statt Lohndumping, Leiharbeit und Minijobs brauchen wir gute Arbeit in Vollzeit, von der man leben kann. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der ökonomischen Vernunft.

Es gibt die Befürchtung, dass Arbeitslosigkeit, Sparprogramme und Rezession in Europa auch die deutsche Wirtschaft und in der Konsequenz den deutschen Arbeitsmarkt treffen könnten. Wie realistisch ist das?

Ich halte diese Entwicklung für sehr realistisch. Werfen wir einen Blick in die USA: Dort hat die die Regierung in Zusammenarbeit mit der Zentralbank dafür gesorgt, dass die Banken die Unternehmen mit günstigen Krediten versorgen können. Sie haben so für ein investitionsfreundliches Klima gesorgt. Das hat neue Arbeitsplätze geschaffen. Zwar stellt auch die Europäische Zentralbank den Banken billiges Geld zur Verfügung, allein: Es kommt bei den Unternehmen nicht an. Ganz einfach, weil allen voran Deutschland die Sanierung des maroden Bankensektors mutwillig verschleppt und gleichzeitig mit seinen Kürzungsdiktaten dafür sorgt, dass die Konsumnachfrage ausbleibt. Keine Investitionen bei gleichzeitiger Ausgabenkürzung müssen zwangsläufig in die Rezession führen.

Sägen wir also mit der Subventionierung von Niedriglohnjobs am Ast, auf dem wir sitzen?

Keine Volkswirtschaft der Welt kann es sich leisten, langfristig unter ihren Verhältnissen zu leben. Und ich sage ganz ausdrücklich: unter ihren Verhältnissen. Warum? Das deutsche Lohndumping verschlechterte indirekt die Wettbewerbsfähigkeit der anderen Mitglieder der Eurozone. Abwerten in der Eurozone ist nicht mehr möglich. Die Kürzungspolitik ist offensichtlich ebenfalls gescheitert. Also bleibt nur noch der Weg über eine Stärkung der Binnennachfrage in Deutschland. Dazu müssten die Löhne deutlich steigen. Mittlerweile erkennen das auch zunehmend unsere europäischen Nachbarn und fordern wie wir von Deutschland eine Kurskorrektur für mehr Wachstum und Beschäftigung. Wenn das nicht passiert, werden zwangsläufig auch die deutsche Wirtschaft und der Arbeitsmarkt unter Merkels Kürzungsdiktaten leiden.

Sie sagen, dass wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde brauchen. Kritiker sagen, dass das viele Arbeitsplätze kosten wird. Wäre ein Mindestlohn von 10 Euro nicht letztlich unsozial, gerade gegenüber Erwerbslosen und jungen Menschen, die noch keinen "Fuß in der Tür" haben?

Die Kritiker vergessen, dass von einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn auf einen Schlag acht Millionen Beschäftigte profitieren würden. Acht Millionen, die mehr Geld im Portmonee hätten. Ein Mindestlohn von 10 Euro die Stunde ist deshalb nicht nur der beste Schutz gegen prekäre Beschäftigung und spätere Altersarmut, sondern er wäre zugleich ein Konjunkturprogramm für die Wirtschaft. Er würde keine Arbeitsplätze kosten, sondern neue schaffen.

Wenn Peer Steinbrück Kanzler werden sollte - hätten es die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer es dann leichter?

Dass Steinbrück Kanzler wird, glaubt er doch selbst nicht mehr. Aber sollte doch der unwahrscheinliche Fall eintreten, dann darf man nicht vergessen, dass Steinbrück immer ein großer Befürworter der Agenda 2010 war. Nicht zuletzt hat er als Minister unter Merkel nichts gegen den ausufernden Niedriglohnsektor unternommen. Die 180-Grad-Wendung nimmt ihm doch nun wirklich niemand ab.

 

linksfraktion.de, 5. August 2013