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Grußbotschaft zum 100. Internationalen Frauentag

Im Wortlaut,

Von Frigga Haug

In unseren Breiten ist nach hundertjährigem Ringen die politische Emanzipation der Frauen im Grunde erreicht. Ein verlorener Weltkrieg war nötig, ihnen das Wahlrecht einzuräumen, ein zweiter, die Berufstätigkeit nicht mehr von der Einwilligung durch den Ehemann abhängig zu machen. Mehr als zehn Jahre währten die Kämpfe der Frauenbewegung, bis die im Haus verrichtete Arbeit als Arbeit anerkannt wurde. Die neoliberale Zersetzung der Kleinfamilie nach dem Ende des Fordismus war nötig, um das Recht auf andere als auf Kindererzeugung gerichtete Sexualität zu erlangen und den Kampf um den Paragraphen 218 etwas zu entschärfen. Dass die Gleichheit von Männern und Frauen grundgesetzlich verankert ist, macht die fortgesetzten Forderungen nach Gleichstellung und Gleichberechtigung zäh bis unglaubwürdig und verschiebt die Kämpfe um gleichen Lohn für gleiche Arbeit in ein Gelände, wo mit Tricks das Gesetz umgangen wird. Worum kämpfen eigentlich Frauen noch?

Wir geben nicht vor den Toren der menschlichen Emanzipation auf. Wir wollen keine Gleichstellung mit dem gleichen Teil an Ausbeutung, an Benachteiligung, an Überfluss oder an Entbehrung. Wir wären nicht einverstanden mit Errungenschaften, die nur den traditionellen Rollen der Männer gleichen, ohne sich um das Wohl der Gesellschaft zu scheren. Wir wollen eine Gesellschaft, in der nicht Gleichheit unter Ungleichen herrscht, sondern in der Ungleichheit gelebt werden kann ohne Nachteil. Kurz: wir kämpfen für gesellschaftliche Verhältnisse, in denen alle Menschen und also auch die Frauen in Würde und Freiheit und ohne Angst leben können.

Unsere Partei DIE LINKE ist ihrem Anspruch nach eine feministische Partei. Das zeichnet sie vor den übrigen Parteien aus. Doch dieser Anspruch verpflichtet. Sie muss die Axt an die Wurzel der vorenthaltenen menschlichen Emanzipation legen und darf sich nicht bei kosmetischen Pflastern aufhalten, indem sie etwa die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ oder Gleichstellung in ihr Programm nimmt. Sie wird auch nicht Frauenpolitik zu einem Extrapunkt machen, sondern wissen, dass die Absonderung gesellschaftlicher Fragen und ihre Abschiebung und Verwandlung in  Frauenfragen – wie zum Beispiel alles, was sich auf das menschliche Zuwendung bezieht  -  selbst ein Effekt ist von Produktionsverhältnissen, in denen die Erzielung von Profit alle Wirtschaft und die dazugehörige Politik dominiert. Sie wendet sich daher an die Überwindung der großen gesellschaftlichen Arbeitsteilungen, wie der zwischen Männer- und Frauenarbeit,  und sucht der Herrschaft, die aus der Verfügung über die Zeit und die Körper erwächst, entgegenzutreten. Konkret heißt das auch, dass der Streit um den Arbeitsbegriff und seine Einsperrung in die Lohnarbeit, gewendet wird in die Anstrengung, allgemein menschliche Arbeit an alle Mitglieder der Gesellschaft zu verteilen, sodass eine jede, ein jeder die Möglichkeit und die Aufgabe hat, sich in der Besorgung der Mittel zum Leben ebenso zu betätigen, wie in der Zuwendung an andere Menschen, Kinder, Alte, Schwache, Kranke, dass sich alle ihrer vielfältigen Möglichkeiten bewusst werden und Zeit auch dafür haben, sich politisch einzumischen, wie dies Rosa Luxemburg, ein Vorbild in unserer Partei, am vehementesten verficht. Sozialistische Demokratie „muss auf Schritt und Tritt aus der aktiven Teilnahme der Masse hervorgehen, unter ihrer unmittelbaren Beeinflussung stehen, der Kontrolle der gesamten Öffentlichkeit unterstehen, aus der wachsenden politischen Schulung der Volksmassen hervorgehen“ (GW 4, 363f).

Lernen wir aus den Kämpfen der letzten hundert Jahre und bereiten mit der Vier-in-Einem Perspektive die allgemeinmenschliche Emanzipation als Werk von Frauen vor.

linksfraktion.de, 7. März 2011