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Grubenkatastrophe in der Türkei: Privatisierer

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Von Sevim Dagdelen, stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe des Bundestags und Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE

 

 

Am 13. Mai kam es in einem Kohlebergwerk im türkischen Soma zu einer schrecklichen Katastrophe, bei der nach bisherigem Stand mehr als 280 Bergleute gestorben sind. Noch sind nicht alle toten Kumpel geborgen, da werden sie und ihre Hinterbliebenen schon vom türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan verhöhnt. Auf zynische Art und Weise bezeichnete er die Katastrophe als »normalen Unfall«. Doch das war kein Unfall, sondern ein Verbrechen. Denn der Tod der vielen Kumpel hatte seine Ursachen anscheinend in mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen. Genau jene hatten die privaten Eigner des Braunkohlenbergwerkes in der Vergangenheit aus reiner Profitgier nicht verbessert. Im Zuge der Privatisierung des Kohlenbergwerks in Soma wurden immer wieder Sparmaßnahmen durchgesetzt, um höhere Gewinne zu erreichen.

Noch vor zwei Wochen hatte die Oppositionspartei CHP im türkischen Parlament eine Sicherheitsüberprüfung aller Kohlengruben in der Türkei und speziell des Bergwerks in Soma beantragt. Mit Verweis auf die angeblich »vorbildlichen Sicherheitsvorkehrungen« gerade auch in der Mine Soma lehnte die AKP-Mehrheit diese Schutzmaßnahmen ab. Die Regierung trägt dadurch eine Mitverantwortung für das furchtbare Bergbauunglück. Die jüngst erfolgte Ablehnung jedweder Hilfe aus dem Ausland zeigt, wie gleichgültig der AKP-Spitze das Leben und die Gesundheit der Kumpel sind.

Auch wenn das AKP-Regime mit Erdogan sowie die Unternehmensspitze die Hauptverantwortlichen dieser tödlichen Katastrophe sind, können sich EU und Bundesregierung nicht von ihrer Verantwortung freisprechen. Sie sind Mittäter bei diesem Verbrechen. Denn Brüssel und Berlin fordern von der Türkei seit Jahren eine Politik der Deregulierung, Privatisierung und Wirtschaftsliberalisierung. Sie haben die AKP-Regierung durch die Eröffnung weiterer EU-Beitrittskapitel stets ermuntert und immer wieder belohnt für deren Angriffe auf Gewerkschaftsrechte und ihre brutale Privatisierungs- und Ausverkaufspolitik. Das Resultat sind täglich Arbeitsunfälle mit Toten.

Jährlich kommt es in der gesamten Wirtschaft der Türkei zu rund 700.000 Arbeitsunfällen. In den Jahren seit dem ersten Amtsantritt der AKP im März 2003 ist die Türkei mit 14.000 tödlichen Arbeitsunfällen zum Spitzenreiter in Europa aufgestiegen. Die Unfallrate ist siebenmal höher als im EU-Durchschnitt. Weltweit ist die Türkei derzeit auf Platz 3 der ILO-Liste zu Unfällen am Arbeitsplatz. Trotzdem unterstützt auch die Bundesregierung den Krieg des AKP-Regimes gegen die oppositionellen Gewerkschaften und die Kritiker der katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Türkei. Notwendig wäre dagegen, sich dafür einzusetzen, daß die legitimen Proteste von Arbeitern nicht weiter kriminalisiert werden und die mörderische Privatisierungspolitik aufhört.

junge Welt, 16. Mai 2014