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Große Einigkeit bei Experten – Betäubungsmittelgesetz gehört auf den Prüfstand

Nachricht,

Auf Antrag der Fraktion DIE LINKE. sowie der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde am 05.11.2014 durch den Gesundheitsausschuss eine Anhörung zu unserem gemeinsamen Antrag „Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelgesetzes überprüfen“ durchgeführt.

In der Anhörung wurde von allen anwesenden Fachexperten festgestellt, dass es eine Evaluation des bestehenden Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) längst überfällig ist. Daher verwundert es wenig, dass sieben von acht eingereichten schriftlichen Stellungnahmen diese Evaluation befürworten. Einzig der von der Union eingeladene, aber aufgrund eines Flugzeugausfalls selbst nicht anwesende, Oberstaatsanwalt Patzak sprach sich gegen den Antrag von Linken und Grünen aus.

Prof. Dr. Lorenz Böllinger hingegen betonte, dass eine Evaluation notwendig sei, weil fraglich ist, ob das BtMG dem Verhältnismäßigkeitsprinzip standhält. Dadurch, dass das Strafecht als schärfstes Sanktionsmittel, das ein Staat gegen seine Bürger anwenden darf, einen Verfassungsrang besitze, müsse hierbei insbesondere die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Die unbeabsichtigten Folgen des BtMG sowie deren erhebliche gesellschaftlichen Kosten müssten daher kritisch evaluiert werden, so Böllinger.

Prof. Dr. Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences legt dazu in seiner Stellungnahme eine Reihe erheblicher unerwünschter Neben- und Gegenwirkungen der Prohibition dar, diese seien u. a.: Duldung eines enormen Schwarzmarkts sowie der Organisierten Kriminalität, massive Glaubwürdigkeitsverluste in der Prävention durch die Einteilung in legale und illegale Drogen, Behandlungs- und Beratungs-Deformation, langjährige Verelendung vieler Drogenkonsumierender in der Illegalität sowie die hohen Kosten der Verwaltung der Drogenprohibition.

Der Berliner Substitutionsarzt Dr. Jörg Gölz wurde noch deutlicher in seiner Kritik am BtMG. Das bestehende Gesetz sowie die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) zerstörten den lebenslangen therapeutischen Prozess in der Substitutionsbehandlung. Die ärztlichen Möglichkeiten würden extrem eingeschränkt und es finde eine Kriminalisierung der Ärzte statt, so Dr. Gölz.

Der Bundesvorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, betonte, dass Verbote nachweislich nur zu einem geringen Teil abschreckend auf potenzielle Konsumierende wirkten und es bisher keinen wissenschaftlichen Beleg für eine generalpräventive Wirkung der Drogenprohibition gäbe.

Die von der SPD benannte Expertin Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin der Fachstelle Suchtprävention Berlin, führte aus, dass durch die bestehende Illegalisierung bestimmter Drogen eine Aufklärung über diese kaum möglich sei, diese wäre aber vor allem bei jüngeren Konsumentinnen und Konsumenten notwendig.

Selbst der von der Union eingeladene Experte Hans-Günter Meyer-Thompson von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin übte deutliche Kritik. Er betonte die Doppelmoral, die vor allem bei der Union vorherrsche. Er berichtete, dass er selbst in der Vergangenheit von einem Abgeordneten der Union unter vier Augen befragt wurde, welche Möglichkeiten es zur medizinischen Verwendung von Cannabis für einen Krebserkrankten in der Familie gebe. Dem Abgeordneten hätte er zum Glück helfen können. Die Unionsabgeordneten sollten endlich Mut beweisen gegenüber der Angst vor den Reaktionen in der Öffentlichkeit und die Fakten zur Kenntnis nehmen. Das Abstinenzdogma hätte sich in der Praxis nicht bewährt. Beispiele aus anderen Ländern wie Portugal, Spanien, Belgien und der Schweiz zeigten, dass eine andere, evidenzbasierte Drogenpolitik möglich sei. Neben den anwesenden Abgeordneten der LINKEN und von Bündnis90/Die Grünen applaudierten an dieser Stelle auch alle Abgeordneten der SPD. Es bleibt abzuwarten, wie sich die SPD in der kommenden Beratung über den Antrag im Bundestag verhält.

linksfraktion.de, 6. November 2014