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GroKo ist Mist

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

Sahra Wagenknecht meint: Wer sozialdemokratische Politik will, muss den Koalitionsvertrag ablehnen

 

 

 

Der Koalitionsvertrag ist Mist. Das weiß auch Sigmar Gabriel. Der SPD-Spitze ist er offenbar so peinlich, dass sie den SPD-Mitgliedern die Liste der zukünftigen Minister verwehrt. Denn ein neues Gruselkabinett der Agenda-Jungs könnte den vielen aufrechten SPD-Mitgliedern endgültig den Kragen platzen lassen. Eine Ablehnung durch die SPD-Basis in der Urabstimmung wäre dann nicht mehr ausgeschlossen. Das wäre ein kleiner Schritt für die SPD, aber ein großer Schritt für Deutschland. Sonst verkommen die Sozialdemokraten endgültig zum Merkel-Wahlverein.

Die SPD feiert den angeblichen Mindestlohn von 8,50 Euro: Aber niemand feiert mit. Denn bis 2017 bleiben niedrigere Tarifabschlüsse auf jeden Fall in Kraft. Und danach weiß niemand was es für Ausnahmen geben wird – etwa für Auszubildende, Saisonarbeiter und Langzeitarbeitslose. Und die CDU/CSU denkt schon wieder über Ausnahmen für den Osten nach. Frankreich hat bereits jetzt mit 9,43 Euro einen Mindestlohn, der höher ist als er in Deutschland in vier Jahren sein wird. Bei einer moderaten Inflation von gut zwei Prozent entsprechen 8,50 Euro nach heutiger Kaufkraft nur etwa 7,80 Euro.

Indes dürfen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter weiter zu Hungerlöhnen schuften. Nach neun Monaten sollen sie Stammbelegschaften gleich gestellt werden. Die Überlassungshöchstdauer wird auf 18 Monate begrenzt. Die Hälfte der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sind allerdings maximal drei Monate in einem Unternehmen beschäftigt. Abzocke bei Managergehälter wird nicht gestoppt, das überlassen Merkel und Gabriel den Aktionären. Bei der nächsten Bundestagswahl sollte die SPD plakatieren »Die AG entscheidet« statt »Das Wir entscheidet!«. Und in der Steuerpolitik böte sich an: »Das Wir bezahlt!« Denn die Superreichen werden mit keinem Cent höher belastet.

Die Große Koalition kürzt weiter die Renten: Wer 45 Beitragsjahre vorweisen kann, darf mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente. Das ist für heute Vierzigjährige fast so originell wie: Wer einen 6er im Lotto hat, bekommt ein Bügeleisen frei Haus. Unterm Strich: Die Rente erst ab 67 bleibt.

Bei der Krankenversicherung werden der Zusatzbeitrag von 0,9 Prozent sowie die Kopfpauschale abgeschafft. Der Zusatzbeitrag richtet sich zukünftig nach dem Einkommen. Die Arbeitgeberbeiträge bleiben jedoch bei 7,3 Prozent eingefroren. Der Zusatzbeitrag durfte zudem bisher maximal zwei Prozent des Einkommens betragen, der einkommensabhängige Zusatzbeitrag hat jedoch keinen Deckel. Die Beschäftigten werden daher künftig drauf zahlen.

Auch der Pflegenotstand bleibt: Der Beitrag der Pflegeversicherung soll spätestens zum 1.1.2015 um 0,3 Prozentpunkte und anschließend um weitere 0,2 Prozentpunkte steigen. Ein Drittel dieser Beiträge wird nicht in die direkte Verbesserung der Pflegesituation investiert, sondern fließt in einen kapitalgedeckten »Pflegevorsorgefonds« der Bundesbank. Das Risiko tragen die Beitragszahler. Der »Pflege-Bahr« (staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung) bleibt. Für Demenzkranke, pflegende Angehörige und Pflegekräfte gibt es keine Verbesserungen.

Dispozinsen werden nicht begrenzt oder gar die Enteignung von Kleinsparern durch Versicherungen gestoppt. Sollte die Europäische Zentralbank (EZB)demnächst gar die neusten Ideen aus den USA aufgreifen und angesichts der Kreditklemme negative Einlagezinsen verordnen, werden sich die Banken erst Recht an den Sparern vergreifen. Dann wird das Kopfkissen die einzig sichere Bank. Statt der ausnahmslosen Haftung von Eigentümern und Gläubigern der Banken, dürfen die Steuerzahler über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) direkt für Zombiebanken bluten (Bankenunion).

Die Große Koalition bleibt zudem eine Bedrohung für den Frieden: Es droht die Aufweichung des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen. Der vollständige Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fällt aus. Kampfdrohnen bleiben auf dem Einkaufszettel der Koalition, Rüstungsexporte gehen weiter und der Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland ist auch nicht vorgesehen.

Sigmar Gabriel meint, jedes SPD-Mitglied trage dieselbe Verantwortung wie der Parteivorsitzende. Da hat er Recht. Ich finde: Kein anständiger Sozialdemokrat sollte diesem Vertrag zustimmen.

 

neues deutschland, 2. Dezemer 2013