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Griff nach dem Netz

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Soll der Staat Stromleitungen übernehmen? Seit der Energieriese Eon angekündigt hat, Kabel und Masten zu veräußern, sucht die Politik nach einem geeigneten Käufer.

Von Oskar Lafontaine

Deutschland hat mit die höchsten Strompreise in Europa. Sie liegen um 50 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Deshalb ist die bisherige Energiepolitik zu korrigieren. Ein wichtiger Bestandteil einer ökologischen und sozial gerechten Versorgung mit Elektrizität ist die Trennung der Netze von den Stromerzeugern.

Denn die „Stromautobahnen“ sind der Flaschenhals in der Elektrizitätsversorgung. Sie stellen ein natürliches Monopol dar, denn es ist nicht vorstellbar, mehrere Netze parallel zu betreiben. In Deutschland wurde die Monopolmacht der Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall Europe und EnBW durch die Übertragung der einst mit öffentlichen Mitteln aufgebauten Netze an die Konzerne regelrecht zementiert.

Damit wurde und wird ein funktionierender Strommarkt unmöglich gemacht. Der Wettbewerb kann seine soziale Funktion nicht erfüllen: zu Preisen zu führen, die akzeptabel sind. Denn, wie der Ökonom Walter Eucken sagte, es geht nicht darum, wirtschaftliche Macht zu kontrollieren, sondern darum, wirtschaftliche Macht überhaupt zu verhindern. Das ist auf dem Strommarkt nicht gelungen. Wir haben in Deutschland Monopolunternehmen, die die Energiepolitik in den letzten Jahren weitgehend bestimmt haben und die teilweise über Lobbyisten die Gesetzgebung beeinflusst haben, was zu den negativen Folgen geführt hat, mit denen wir heute konfrontiert sind.

Ich wundere mich, dass die Bundesregierung Netzbetrieb und Stromerzeugung nicht trennen will. Das passt ordnungspolitisch wie die Faust aufs Auge. Die deutsche Regierung ist innerhalb der Europäischen Union ziemlich isoliert. Wenn sie an ihrer Position festhält, dann wird es nicht gelingen, Monopolpreise zu verhindern.

Die Stromkonzerne kassieren dabei doppelt: durch überhöhte Strompreise und durch unterlassene Investitionen in die Netze. Die finden praktisch nur statt, wenn Störungen drohen oder bereits Schäden entstanden sind - wie im November 2005 im Münsterland, als eine Viertelmillion Menschen aufgrund des Einknickens maroder Strommasten im Dunkeln saßen. 2006 wurden durch die Netzbetreiber 21 Milliarden Euro Netzentgelte eingenommen. Nur einen Bruchteil davon steckten die Besitzer der Übertragungsnetze wieder in die Infrastruktur: 0,9 Milliarden Euro im Jahr 2006 und im Jahr davor sogar nur 0,6 Milliarden.

Jetzt, da Eon und Co. um hohe Investitionen nicht mehr herumkommen - zirka zehn Milliarden Euro in den nächsten Jahren - und die Entflechtung durch Kartellverfahren droht, steht ein Netzverkauf auf der Tagesordnung. Das ist Heuschrecken-Mentalität.

Daraus ergibt sich die Frage, wem die Netze übertragen werden sollen. Dabei kann ich mich mit einem gewissen Vergnügen auf den Sozialdemokraten Hermann Scheer berufen. Denn er hat sich als ein Energiepolitiker ausgewiesen, der tatsächlich die Verbraucher und den Umweltschutz im Blick hat. Er fordert eine öffentliche Netzbetriebsgesellschaft unter gemeinsamer Trägerschaft des Bundes und der Länder, die Eigentümer aller Stromübertragungsnetze werden sollten. Stromnetze seien unverzichtbarer Bestandteil der öffentlichen Infrastruktur und gehörten zur Daseinsvorsorge ebenso wie Straßen und Schienen. Die Übernahme der Stromnetze durch die öffentliche Hand könnte Scheer zufolge über die Netznutzungsgebühren refinanziert werden. Eine öffentliche Netzgesellschaft sei zudem neutral gegenüber allen Stromproduzenten und könne behördlich zum Netzerhalt und -ausbau verpflichtet werden.

Scheer ist zuzustimmen. Es bringt nichts, den einen privaten Eigentümer durch einen anderen zu ersetzen. Auch dieser wird im Sinne haben, hohe Erträge und Renditen zu erwirtschaften. Damit wird er genauso preistreibend wie die bisherigen Netzeigentümer wirken.

Hinzu kommt noch, dass nur eine nicht profitorientierte öffentliche Gesellschaft die Netze für die Abnahme des schwankenden Stromangebots erneuerbarer Energien fit machen und halten kann. Wer mit Stromnetzen Gewinne machen will, muss im Interesse der Effizienz die kontinuierliche Einspeisung an möglichst wenigen Punkten anstreben - das heißt, den Strom aus Großkraftwerken abnehmen.

So macht ein privater Netzbetreiber zwangsläufig Energiepolitik nach dem Geschmack der großen Energiekonzerne: weitere Nutzung der Kernenergie und CO2-intensive Stromerzeugung in oligopolen Strukturen. Auf der Strecke bleiben erneuerbare Energien, energieeffiziente Kraft-Wärme-Kopplung und dezentrale Energieerzeugung auf der Ebene der Stadtwerke. Von Klimaschutz, neuer Beschäftigung und bezahlbarer Energie kann unter diesen Bedingungen keine Rede sein.

Von Oskar Lafontaine

Rheinischer Merkur, 13. März 2008