Zum Hauptinhalt springen

Gregor Gysi: Ostdeutsche als Krisenmanager bewährt

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Fraktionschef der Linken lobt Müntefering-Nachfolger - Mit Platzeck mehr Chancen für ein Bündnis

Die neue Fraktion der Linkspartei im Bundestag hat mit besonderem Interesse die Führungskrise bei den Sozialdemokraten beobachtet. Peter Koard fragte Fraktionschef Gregor Gysi, was sich mit dem Wechsel des Parteivorsitzes von Franz Müntefering zu Matthias Platzeck im Verhältnis zu den Linken verändern wird.

War Platzeck eine gute Wahl?
Auf jeden Fall ist es eine Verjüngung, und Matthias Platzeck kommt aus dem Osten. Ich glaube aber auch, dass er eher gute Charaktereigenschaft hat.

Sie sagten Osten. Bald haben beide großen Parteien einen ostdeutschen Vorsitzenden.
Es gibt offenbar eine neue Richtung: Immer wenn eine Partei in einer tiefen Krise ist, holt sie sich eine oder einen Vorsitzenden aus dem Osten, bei der CDU war es die Spendenaffäre und bei der SPD sind es die seit Jahren anhaltenden Wahlniederlagen, über die kaum gesprochen wurde. Und eine erstickte Diskussion schafft sich irgendwann Luft.

Was macht die Ostdeutschen so tauglich, als Krisenmanager zu agieren?
Wir haben uns 1989 doch in einer Krise ganz gut bewährt. Der wahre Grund scheint aber zu sein, dass die Ostdeutschen gelegentlich am wenigsten belastet sind. Bei der Spendenaffäre waren alle irgendwie belastet, nur Angela Merkel nicht - wegen ihrer ostdeutschen Herkunft. Bei der SPD sind alle in irgendwelche Ränkespiele verwickelt, nur Matthias Platzeck nicht.

Rechnen Sie mit einer Kursänderung in der Politik der SPD?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich in der SPD keine Debatte gegen die Agenda 2010 Bahn brechen wird. Die Frage wird sein, ob Platzeck sie ermöglichen wird. Die abgewählte Reformpolitik der SPD nur anders darzustellen, wie er es angedeutet hat, das reicht nicht aus.

Wird die SPD mit Platzeck koalitionsfähiger?
Das wird sich herausstellen. Es wird darüber Diskussionen in der SPD geben, die nicht mehr zu stoppen sind. Das braucht aber Zeit. Ich habe die Hoffnung, dass sich die SPD mit Platzeck als Vorsitzenden wieder sozialdemokratisiert. Der Wechsel hat wenigstens die Chance dazu eröffnet. Dann ist die Zusammenarbeit mit uns wesentlich leichter. Das geht aber nicht mit einer Bestätigung von Hartz IV oder der Agenda 2010. Zum anderen darf Platzeck nicht den Fehler von Angela Merkel machen und seine ostdeutsche Biografie verstecken, sondern muss offensiv mit seiner Herkunft umgehen.

Steigt die Akzeptanz der SPD im Osten?
Das liegt an Platzecks Politik. In der Vergangenheit hat er Hartz IV unterstützt, auch mit den 14 Euro weniger für die Ostdeutschen. Wenn er das weitermacht, wird sich wenig ändern.

War das Votum für Andrea Nahles ein Linksruck im SPD-Vorstand?
Für das Abstimmungsverhalten gab es viele Gründe. Der Vorstand wollte endlich wieder einmal ernst genommen werden und über die Ursachen der Wahlniederlage debattieren. Müntefering ist zwar sozialdemokratischer als Gerhard Schröder. Aber er hat alles mitgemacht. Das hatte Folgen.

Freie Presse, 4. November 2005