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Gregor Gysi am Rednerpult des Bundestages

Gregor Gysi ist außenpolitischer Sprecher der Linken

Im Wortlaut von Gregor Gysi, Märkische Oderzeitung,

Lange war es relativ still um Gregor Gysi geworden. Dass ist nun vorbei. Braungebrannt und gut gelaunt empfängt Gregor Gysi in seinem Arbeitszimmer im Berliner Parlamentsviertel. Der Ex-Partei und Ex-Fraktionschef ist in diesen Tagen ein gefragter Gesprächspartner. Denn er hat eine neue Funktion und kehrt damit auf die große politische Bühne zurück. Interview: André Bochow

 

Herr Gysi, in regelmäßigen Abständen unterhalten wir uns über Ihren Terminkalender, dessen Herr Sie werden wollten. Wie steht es damit?

Im Moment gut, weil alle Veranstaltungen abgesagt wurden. Nur die Rechtsanwaltskanzlei arbeitet und der Bundestag. Plötzlich habe ich Zeit.

Damit wird es schnell vorbei sein.

Das fürchte ich auch. Alle denken ja, man könne und müsse sämtliche ausgefallenen Veranstaltungen nachholen. Das geht natürlich nicht. Aber allein der Versuch wird mich wieder ins organisatorische Chaos stürzen.

Warum sind Sie außenpolitischer Sprecher der linken Bundestagsfraktion geworden? Sollte jemand mit extremen Positionen verhindert werden?

Mir ging es um etwas anderes. Ich übe vier Berufe aus: Rechtsanwalt, Moderator, Autor und Politiker. Aber im Bundestag hatte ich kaum eine Funktion. Das fand ich unbefriedigend und das habe ich vor Monaten dem Fraktionsvorstand auch mitgeteilt. Und als nun Stefan Liebich aufhörte, wurde ich gebeten, seine Funktion zu übernehmen. Da mich Außenpolitik interessiert, habe ich Ja gesagt.

Das war der einzige Grund?

Na ja, ich kann nun auch wieder öfter im Bundestag sprechen. Davor habe ich im Jahr nur noch einmal geredet. Das fand ich ein bisschen wenig. Es gab keinen in meiner Fraktion, der seltener als ich geredet hat.

Vielleicht waren Sie nicht oft genug anwesend?

Umgekehrt. Ich war öfter nicht da, weil es meiner Anwesenheit nicht bedurfte. Aber zugegeben, eine Zeit lang habe ich namentliche Abstimmungen verpasst. Die entsprechende Kritik habe ich mir zu Herzen genommen.

Wenn es um  Rot-Rot-Grün im Bund geht, kommt stets der Verweis auf die außenpolitischen Positionen der Linken. Wollen Sie die linke Außenpolitik kompatibler machen?

Ob es überhaupt die Möglichkeit einer solchen Koalition geben wird, ist völlig ungewiss. Sollte es eine Wechselstimmung und eine linke Mehrheit geben, dann müssen Kompromisse gemacht werden. Ohne die eigene politische Identität aufzugeben.

Also nicht raus aus der Nato?

Das wollten wir nie.

Einige in Ihrer Partei schon.

Ja, aber das ist eine Minderheit. Unsere Vision war, die Nato durch ein europäisches Bündnis für Sicherheit und Zusammenarbeit zu ersetzen, zu dem auch Russland gehören sollte. Weil die Regierungskoalition eines Landes so ein Bündnis nicht allein schaffen kann, würde es beim Status Quo bleiben.

Was ist mit den Militäreinsätzen?

Das ist allerdings ein Problem. Afghanistan war ein Fehler. Das bestreiten SPD und Grüne gar nicht mehr. Nur, sollten wir in Verantwortung kommen, könnten wir nicht einfach den Abzug beschließen, sondern müssten erst dafür sorgen, dass alle Afghanen, die der Bundeswehr geholfen haben, vor der Verfolgung der Taliban geschützt werden.

Und was haben Sie sich vorgenommen?

Ich möchte etwas dafür tun, dass unser Verhältnis zu Russland und China besser wird. Wir brauchen aus geostrategischen Gründen eine andere Außenpolitik als die USA. Und weil ich weiß, dass auch Macron verbesserte Beziehungen zu Russland will, möchte ich zuerst einen Besuch im französischen Außenministerium machen.

Die Linken als Vermittler?

Ich weiß nicht, ob die Linken das können. Aber ich vielleicht. Im Ernst: Die meisten Linken wollen ein besseres Verhältnis zu Russland. Man darf deswegen nicht unkritisch gegenüber der Kreml-Politik werden. Die Annexion der Krim war völkerrechtswidrig. Punkt. So wie es die Lostrennung des Kosovo von Serbien respektive Restjugoslawien war. In beiden Fällen wurden übrigens auch Verträge gebrochen.

Sie haben schwere Zeiten in Ihrer Fraktion mitgemacht. Ist die neue Fraktionschefin Amira Mohamed Ali die integrative Figur, die gebraucht wird?

Ja. Ich höre jetzt oft, dass auch diejenigen, die sie nicht gewählt haben, ihre Arbeit schätzen. Sie macht das ziemlich gut und das tut auch der Fraktion gut. Und ihr Ko-Vorsitzender, Dietmar Bartsch, ist sowieso eine integrative Figur.

Finden Sie es richtig, dass Ihre Parteivorsitzenden, Katja Kipping und Bernd Riexinger, offen lassen, ob sie nochmal kandidieren? Die parteiinternen Regeln sagen, dass nach acht Jahren Schluss sein soll.

Ich finde es jedenfalls richtig, dass die beiden jetzt keine Personaldebatte führen und auslösen. Wir mussten den Parteitag verschieben und können nur hoffen, dass er Ende Oktober, Anfang November stattfinden wird. Es hat jetzt keinen Sinn, monatelang die Führungsfrage zu diskutieren.

Sie stehen nicht wieder zur Verfügung?

Ganz bestimmt nicht. Es gibt Grenzen. Wobei: Konrad Adenauer wurde erst mit 73 Kanzler. Über den Posten würde ich vielleicht noch mal nachdenken (lacht).

Finden Sie es richtig, dass Ihre Parteiführung zu den eifrigsten Befürwortern restriktiver Maßnahmen in der Corona-Krise gehört?

Das Problem ist, dass weder in der Regierung noch in der Parteiführung der Linken Virologen sitzen. Nach welchen Kriterien sollen Politiker aber entscheiden, wenn die Virologen uneins sind?

Was hätten Sie denn gemacht?

Das kann ich Ihnen sagen. Ich hätte zunächst eine Notfallabwägung getroffen. Also: Wie viele Menschen sterben im schlimmsten Fall durch Covid 19 und wie viele, weil 90 Prozent der Operationen ausfallen? Außerdem hätte ich mich nicht nur auf einen Virologen verlassen, sondern ein Expertengremium gebildet, das sich auf Vorschläge einigen oder öffentlich erklären muss, warum es sich nicht einigen konnte.

Es geht darum, den Abwägungsprozess transparent zu machen?

Genau. Wenn ich etwas nicht weiß, darf ich nicht den Eindruck vermitteln, dass das Gegenteil der Fall ist. Entscheidungen müssen erklärt werden. Und noch etwas ist sehr wichtig: Alles, was in der Not beschlossen wurde, muss anschließend wieder rückgängig gemacht werden.

Auch Maßnahmen, die ohne Krise trotzdem vernünftig wären?

Alle. Denn es sind Notmaßnahmen. Anschließend kann eine demokratische Debatte darüber geführt werden, ob man das eine oder andere nicht dauerhaft haben will.

Haben Sie Zweifel, dass alle Notmaßnahmen rückgängig gemacht werden?

Als die RAF agierte, wurde die Strafprozessordnung vermeintlich nur vorübergehend geändert. Mehrfach. Fast alle Änderungen haben heute noch Bestand.

Noch einmal: Gerade die linke Parteiführung vermittelt den Eindruck, sie wolle bei den Einschränkungen die Regierung überholen.

In den Fragen der Corona-Einschränkungen gibt es doch in allen Parteien Vorsichtige, Unvorsichtige und Leute, die eher in der Mitte stehen. Die Linken in Berlin haben dort zum Beispiel die Ausgangssperre verhindert. Ich gehöre eher zu denen, die für Mäßigung bei Einschränkungen sind. Wir haben es nicht mit der Pest zu tun. Aber in einem sind wir Linken uns völlig einig. Sobald die Krise vorbei ist, müssen alle Grundrechte sofort wieder in Kraft gesetzt werden. Bodo Ramelow hat da einen nachvollziehbaren Weg eingeschlagen.

Wer legt fest, wann die Krise vorbei ist?

Gute Frage. Ich denke, das entscheidet weniger die Wissenschaft, sondern eher die Öffentlichkeit. Klar, wenn es einen Impfstoff oder ein sicheres Medikament gäbe, wäre die Krise beendet. Aber man kann bestimmte Maßnahmen nur dann aufrechterhalten, wenn der größte Teil der Bevölkerung bereit ist mitzumachen. Deswegen muss man immer wieder erklären, was warum nötig ist.

Die Linken haben die Privatisierungen im deutschen Gesundheitswesen kritisiert, das sich aber in der Krise bewährt hat. Haben sich die Linken geirrt?

Im Gegenteil! Sie kennen ja das Papier aus dem Jahr 2005, in dem der Bundestag darüber informiert wurde, dass im Pandemiefall Masken und Schutzanzüge fehlen würden. Geld für Prävention wollte damals keiner ausgeben. Stattdessen wurde gespart, Kliniken wurden privatisiert und geschlossen und der Katastrophenschutz vernachlässigt.

Sie hoffen, dass es nach der Krise nicht neoliberal zugehen wird. Wie kommen Sie darauf?

Weil die Wirtschaft auf den Staat angewiesen sein wird. Der Staat soll helfen. Aber wenn er es bei Adidas oder anderen großen Firmen tut, muss er auf Gewinnbeteiligung bestehen. Meinetwegen begrenzt auf zehn Jahre. Denn der Staat, das sind in diesem Fall die Steuerzahler. Sie haben ein Recht darauf, dass ihr Geld im Falle erfolgreicher Hilfe Zinsen abwirft. Mit denen man wiederum ökologische Nachhaltigkeit und soziale Leistungen finanzieren kann.

Zum Schluss noch vier Fragen mit der Bitte um kurze Antworten.

Ich gebe mir Mühe.

Das Einheitsdenkmal wird nun errichtet. Gut oder schlecht?

Ich hätte es auf jeden Fall in Leipzig gebaut und nicht in Berlin.

Trotz Corona hätte die Bundesregierung den 75. Jahrestag der Befreiung mit Blick auf Russland würdiger begehen können.

Ja. Weil man die außerordentlichen Leistungen der Menschen in der Sowjetun-ion – und ich rede hier nicht von Stalin – hätte würdigen müssen. Durch deutsche Schuld sind 27 Millionen Menschen dort ums Leben gekommen.

Die AfD spaltet sich und wird an Bedeutung verlieren. Ja oder nein?

Ich hoffe es.

Ich arbeite schon wieder viel zu viel, aber es geht mir gut dabei.

Das stimmt. Aber ich habe in der Corona-Krise festgestellt, weniger zu arbeiten, macht auch Spaß.

Märkische Oderzeitung,