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Ein Arbeiter schiebt Rinderhälften im Kühlhaus einer Fleischfabrik © iStock/asikkk

Gesundheitsschutz gilt für alle

Im Wortlaut von Susanne Ferschl, Der Freitag,

In Landwirtschaft und Fleischindustrie arbeiten osteuropäische Saison- und Werkvertragsbeschäftigte unter katastrophalen Bedingungen. Es braucht mehr Kontrollen. Gastbeitrag von Susanne Ferschl

 

Solange ab Mai Erdbeeren aus Deutschland zu kaufen sind und auch niemand auf deutschen Spargel und Schnitzel verzichten muss, werden keine Fragen gestellt. Doch seit der Corona-Pandemie sind auch diese Gewissheiten nicht mehr unumstößlich. Das Virus leuchtet die seit Jahren verheerenden Arbeits- und Unterbringungsbedingungen von osteuropäischen Arbeiterinnen und Arbeitern in deutschen Fleischfabriken und in der Landwirtschaft grell aus – es holt die unsichtbaren Menschen aus dem Schatten ins Licht. Denn das gängige Geschäftsmodell hierzulande, billig und auf Kosten von Werkvertrags- und Saisonarbeitern aus Europas Armenhäusern, Nahrungsmittel zu produzieren, wächst sich angesichts von Corona zur landesweiten Gesundheitsgefährdung aus. Aufgrund unzureichender Schutzmaßnahmen sind das nun die Infektionsherde des Virus.

Das System der Ausbeutung

 

Seit Jahren schuften osteuropäische Arbeitskräfte unter miesen Arbeitsbedingungen und zu schlechten Löhnen auf den Äckern, als Werkvertragsnehmer in der Fleischindustrie und in vielen anderen Branchen. Allein auf den Feldern sind es jährlich schätzungsweise 300.000 Arbeitskräfte. Die Missstände sind exemplarisch und reichen von der Umgehung des Mindestlohns – durch falsche Arbeitszeitaufzeichnungen, erhöhte Abzüge für Unterkünfte oder illegale Abzüge für Arbeitsmaterialien – bis hin zu schlechten hygienischen Bedingungen in der Unterbringung und überlangen Arbeitszeiten. Teilweise werden sogar die Pässe einbehalten. Die Initiative Faire Landwirtschaft spricht von „systemische[r] Ausbeutung migrantischer Saisonarbeitskräfte“. Bisher wurden diese Zustände schulterzuckend hingenommen.

Jetzt zeigt sich überdeutlich, wie sehr die aktuell verfasste Landwirtschaft und die Fleischindustrie auf diese Menschen angewiesen sind, die extrem flexibel und sehr billig harte Arbeit verrichten. Umso klarer sollte doch sein, dass nicht auch noch die Risiken der Corona-Pandemie auf diese Menschen abgeladen werden – etwa durch unzureichenden Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Die Bundesregierung jedoch hat offensichtlich vor allem die Lebensmittelversorgung im Blick – und weniger die Rechte der Arbeitskräfte: Im Hauruckverfahren setzte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) Anfang April – trotz geschlossener Grenzen – durch, dass Saisonarbeitskräfte einreisen dürfen. Da aber klar war, dass deutlich weniger kommen würden, wurden noch eilig Regelungen geschaffen, die eine Ausweitung der Höchstarbeitszeiten und Absenkung von Mindestruhezeiten in der Landwirtschaft ermöglichen. Damit nicht genug, wurde die sozialversicherungsfreie, kurzfristige Beschäftigung von drei auf fünf Monate ausgeweitet und die Zuverdienstgrenzen für Rentnerinnen und Rentner sowie für Bezieher von Kurzarbeitergeld angehoben. Alles Forderungen des Deutschen Bauernverbandes zur Sicherung des deutschen Spargels, die fast 1:1 in die Regierungspolitik übernommen wurden.

Wie wenig die Gesundheit der Saisonarbeiter für Frau Klöckner zählt, zeigt das „Konzeptpapier Saisonarbeiter im Hinblick auf den Gesundheitsschutz“, das Anfang April von den CDU-geführten Landwirtschafts- und Innenministerium herausgegeben wurde. Darin heißt es: „Das Kernziel der Bemühungen besteht neben der heimischen Erntesicherung darin, den Infektionsschutz der Bevölkerung sicherzustellen.“ Die Gesundheit der Erntehelferinnen und Erntehelfer ist offenbar nachrangig, denn die Vorgaben fallen entsprechend lasch aus. So soll Arbeiten und Wohnen „in gleichbleibenden, möglichst kleinen Gruppen von fünf bis zehn, max. ca. 20 Personen“ stattfinden – zu einer Zeit, als bundesweit flächendeckende Kontaktsperren galten.

Immer weniger Kontrollen im Betrieb

Zwei Wochen später kam das Bundesarbeitsministerium mit besonderen Corona-Arbeitsschutzstandards heraus, die auch im Bundeskabinett verabschiedet wurden. Die Vorgaben für die Landwirtschaft sind darin deutlich strenger geregelt und sehen „möglichst kleine, feste Teams (z.B. zwei bis drei Personen) vor“. Seither herrschen Unklarheiten und Rangeleien darüber, welche Vorgaben nun gelten solle.

Angesichts seit Jahren rückläufiger Arbeitsschutzkontrollen dürften die Vorgaben aber ohnehin weitgehend ins Leere laufen. Denn wo keine Prüfungen stattfinden, werden auch keine Verstöße festgestellt und steht der Gesundheitsschutz der Beschäftigten nur auf dem Papier. Seit 2008 sind die Arbeitsschutzkontrollen um die Hälfte zurückgegangen – obwohl die Missstände in der Fleischindustrie und auf den Feldern seit Jahren von Gewerkschaften und Beratungsstellen angeprangert werden.

Angesichts der Vorgänge war es kaum überraschend, dass sich das Landwirtschaftsministerium nicht zuständig sah, die einreisenden Saisonarbeitskräfte zentral über ihre Arbeitsrechte sowie die notwendige Gesundheitsschutzmaßnahmen zu informieren, wie es das gewerkschaftliche Projekt „Faire Mobilität“ forderte. Die Gewerkschafter übernahmen es daher selbst, die Saisonarbeitskräfte, die mit gecharterten Maschinen eigens eingeflogen wurden, am Flughafen mit dem nötigen Informationsmaterial und Kontakten zu den extra eingerichteten, muttersprachlichen Telefonhotlines zu versorgen.

Faire Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen

Diese Pandemie muss Anlass sein, den Arbeitsschutz und entsprechende Kontrollinfrastrukturen nachhaltig und flächendeckend zu stärken und auszubauen. Es braucht endlich eine faire Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung, sowie regelmäßige Kontrollen durch die zuständigen Kontrollbehörden und vor allem satte Strafen bei Verstößen der Arbeitgeber.

Die LINKE fordert neben besonderen pandemiebezogenen Arbeits- und Gesundheitsschutzmaß-nahmen, eine Rücknahme der Arbeitszeitausweitung und die Zahlung einer steuerfreien Erschwerniszulage durch die Arbeitgeber in Höhe von 25 Prozent des Bruttolohns

Jetzt ist die Chance, wenn selbst Wolfgang Schäuble mittlerweile Niedriglöhne in Frage stellt und feststellt: „Wir haben wahrscheinlich diese Art der Globalisierung übertrieben. Sie ist ja auch unfair. Erntehelfer aus Osteuropa waren bisher Leute, die Arbeiten machten, die wir nicht machen wollten, zu Löhnen, die wir nie akzeptiert hätten. Jetzt müssen sie uns zeigen, wie man Spargel überhaupt sticht.“

Der Freitag,