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Gerechter Handel statt Freihandel

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Heike Hänsel (3.v.l.), entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, spricht im Interview über das geplante Freihandelsabkommen namens TTIP zwischen EU und USA, seine Folgen für Wirtschaft und Demokratie sowie einen Handel, der nicht auf Kosten der Schwächeren organisiert wird


Freier Handel – das klingt doch ganz gut. Wieso geht die Linksfraktion trotzdem immer auf die Barrikaden, sobald die Europäische Union Verhandlungen über Freihandelsabkommen führt?

Heike Hänsel: DIE LINKE ist nicht gegen Handel. Aber statt Freihandel sind wir für gerechten Handel. Den Begriff Freihandel, der so gut klingt, hinterfragen wir: Um wessen Freiheit geht es da? Freihandel meint heute die Freiheit der Konzerne, die aus dem globalen Handel mit Waren und Gütern noch mehr Profit schlagen wollen. Es geht darum, Unternehmen von Regeln und Vorschriften zu befreien, ihnen freien Zugang zu Märkten und Rohstoffen in anderen Ländern zu verschaffen. Dies dient aber in erster Linie großen, transnationalen Konzernen. Diese Freiheit der Konzerne geht zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zulasten von Kleinbauern- und –bäuerinnen sowie kleinen und mittleren Unternehmen und auch zulasten der politischen Gestaltungsmöglichkeiten von Regierungen und Parlamenten.

Sie sind Entwicklungspolitikerin. Wie wirkt sich Freihandel auf die Entwicklungschancen in den Ländern des Südens aus?

Freihandelsabkommen schreiben die Reduzierung oder vollständige Abschaffung von Zöllen vor. Damit verbilligen sie Importe gegenüber den lokalen Anbietern. Das greift erheblich in die lokalen Märkte ein und kann zur Verdrängung und Existenzvernichtung lokaler Produzenten führen. Das haben wir in vielen Ländern bereits erlebt. In Kolumbien protestieren seit einigen Monaten Bauern und Milchproduzenten gegen die Auswirkungen der Freihandelsabkommen ihres Landes mit der EU und den USA. In Afrika, das ohnehin schon von billigen Agrarerzeugnissen aus der EU überschwemmt wird, fürchten viele lokale Produzenten um ihre Existenz, wenn die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs), im Kern ebenfalls Freihandelsabkommen, in diesem Jahr, wie von der EU geplant, abgeschlossen werden.

Was spricht gegen die Abschaffung der Zölle?

Importzölle sind sinnvoll und wichtig, um einheimische Wertschöpfungsketten aufzubauen und die lokale Landwirtschaft zu schützen. Ebenso wichtig sind Exportzölle. Auch sie will die EU verbieten, um günstiger Rohstoffe aus den Partnerländern beziehen zu können. Diese verlieren dadurch ein wichtiges Steuerungsinstrument. Viele Schwellenländer unterstützen den Aufbau ihrer Industrien gerade dadurch, dass sie durch die Verteuerung des Exports die Rohstoffe auf ihre eigenen Märkte lenken und so die industrielle Weiterverarbeitung entwickeln.

Gibt es noch andere Bereiche, in die Freihandelsabkommen eingreifen?

Die EU-Konzerne wollen vor allem auf die Dienstleistungsmärkte und auf den Markt der öffentlichen Beschaffung vordringen, also Zugang zu Aufträgen der öffentlichen Hand erlangen. Hier werden Billionen umgesetzt. Der freie Eintritt in Vergabeverfahren bedeutet aber, dass die öffentliche Hand wichtige wirtschaftspolitische Steuerungsmöglichkeiten verliert. Und die öffentliche Daseinsvorsorge wird auf einem globalen Markt feilgeboten. Das wiederum beeinträchtigt die Versorgungssicherheit in wichtigen Bereichen wie Wasser und Energie. In Deutschland haben wir bereits viele schlechte Erfahrungen damit gemacht.

Viele Freihandelsabkommen sehen auch die Deregulierung des Finanzdienstleistungssektors vor, damit können Banken und Finanzkonzernen aktuelle Regulierungsbestrebungen leicht unterlaufen, die im Zuge der Finanzmarktkrise politisch eingefordert wurden. Vor dem Hintergrund der enormen Belastungen der Steuerzahler im Zuge der Finanzmarktkrise finde ich das unverantwortlich.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP), das gegenwärtig verhandelt wird?

Dabei handelt es sich um ein Abkommen von erheblicher Dimension. Vor allem geht es darum – hier komme ich noch mal zum Stichwort "Freiheit" –, die Konzerne von Regeln zu befreien, für die Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzverbände hart gerungen haben. Das heißt dann "Harmonisierung" und "gegenseitige Anerkennung". Entscheidend ist, dass Freihandelsabkommen mit Investitionsschutzklauseln versehen werden, die es im Streitfall Konzernen ermöglichen gegen Staaten zu klagen, wenn sie sich im Wettbewerb benachteiligt, ihre Gewinne geschmälert oder ihre Investitionen gefährdet sehen, zum Beispiel durch höhere soziale und ökologische Standards. Es wird also ein völkerrechtlich bindender Vertrag geschlossen, der ein Parallelrecht für große Konzerne schafft. Staaten müssen sich dieser Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen. 

Aber gibt es das nicht heute auch schon? Und worin besteht beim TTIP der qualitative Unterschied?

Das geschieht bereits jetzt schon andauernd – zuletzt hatte ein US-Konzern in Kanada gegen ein Fracking-Moratorium geklagt, Vattenfall klagt gegen den deutschen Atomausstieg usw. Das soll unter Anwendung von Freihandelsabkommen zur Regel werden. Das können wir nicht zulassen, denn Demokratie wird damit zur Makulatur. ArbeitnehmerInnen, kleine Unternehmen etc. haben dagegen keine Möglichkeit gegen die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen und anderem zu klagen. Freihandel ist also insbesondere ein Angriff auf die Demokratie.

Betrifft das TTIP nur die EU und USA?

Nein, denn es geht darum, ein Ausmaß an Deregulierung zu etablieren, das dann auch in Verhandlungen mit anderen Partnern durchgesetzt und schließlich auf der Ebene der Welthandelsorganisation WTO verankert werden soll. Denn Drittländer werden von TTIP stark beeinträchtigt werden. Wenn diese größte Freihandelszone der Welt erst mal etabliert ist, wird sie viel internationalen Handel in ihren Bereich umlenken und damit erhebliche Wohlfahrtsverluste in Drittländern, darunter in vielen Ländern des Südens, hervorrufen. Diese Länder können sich dann gezwungen sehen, ebenfalls Freihandelsabkommen mit der EU abzuschließen. 

Was kann die Linksfraktion tun, um eine solche Entwicklung zu verhindern?

Der Einfluss der Parlamentarier ist generell begrenzt. Zwar müssen alle Abkommen am Ende vom Europäischen Parlament und den Parlamenten der Mitgliedstaaten, also auch vom Bundestag, ratifiziert werden. Doch wenn es soweit ist, ist es eigentlich schon zu spät. Denn dann liegt ja ein abgeschlossenes Abkommen vor. Und nach der Ratifizierung im EP treten die Handelsbestimmungen bereits in Kraft. Wir sind darauf angewiesen, dass sich in der Zivilgesellschaft Protest erhebt, den wir dann parlamentarisch verstärken können, um die Regierung unter Druck zu setzen.

Warum ist der Einfluss der Parlamentarier begrenzt?

Die Verhandlungen werden geheim geführt in Brüssel. Dadurch kann sich informelle Politik, zum Beispiel durch gezieltes Lobbying, durchsetzen. In allen beteiligten Gremien haben die Wirtschaftslobbyisten das Sagen. Sie führen die Feder bei der Formulierung des Verhandlungsmandats und bei der Interpretation von Verhandlungsergebnissen. Andere zivilgesellschaftliche Gruppen haben dagegen schwerlich Zugang zu den Verhandlungen, auch die Parlamente. Die Konzerne sitzen bei den Verhandlungen quasi mit am Tisch. Wir Abgeordnete werden nur im Nachhinein über Verhandlungsergebnisse informiert aber nicht im Voraus über die Verhandlungsagenda und Arbeitspapiere. So können wir auch keinen direkten Einfluss auf das Ergebnis der Verhandlungen nehmen.  

Was folgt für die Linksfraktion daraus?

Wir fordern: TTIP stoppen! Die Verhandlungen müssen sofort beendet, das Verhandlungsmandat zurückgenommen werden. Wir wollen nicht nur soziale und ökologische Standards verankern, sondern wir wenden uns gegen die Idee des "Freihandels". Wir fordern seit langem neue Handelsmandate, die nicht den Freihandel, sondern einen gerechten Handel befördern und die Entwicklungsinteressen der Bevölkerung, Wohlfahrt, Umwelt- und Klimaschutz, soziale Daseinsvorsorge in den Mittelpunkt stellt, statt Profitmaximierung um jeden Preis. Dasselbe gilt für die Verhandlungen mit Kanada, die – weitgehend unbeachtet von der kritischen Öffentlichkeit – schon wesentlich weiter fortgeschritten sind, als TTIP. Das Freihandelsabkommen mit Kanada kann, wenn es so wie von der EU geplant zustande kommt, TTIP teilweise vorwegnehmen.


linksfraktion.de, 26. März 2014