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Geplanter EU-Fiskalvertrag wird die Krise verschärfen

Im Wortlaut von Alexander Ulrich,

Von Alexander Ulrich, Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

 

Im Dezember einigten die Staats- und Regierungschefs der Eurozone und der Mehrheit der übrigen EU-Staaten sich darauf, zur Lösung der Eurokrise einen neuen Vertrag auszuhandeln, der möglichst alle EU-Mitgliedstaaten dauerhaft zu einer Politik der massiven Ausgabenkürzung zwingt. Damit hat sich die deutsche Bundesregierung mit ihrer Interpretation, die Eurokrise sei eine Staatsschuldenkrise, durchgesetzt: Eine Regulierung der Finanzmärkte, eine zumindest teilweise Abkopplung der Staatsfinanzierung von den Kapitalmärkten, die Vermeidung von Leistungsbilanz­ungleich­gewichten oder ähnliche Instrumente der Krisenbewältigung kommen in den Entwürfen des neuen Vertrags nicht einmal ansatzweise vor. Die falsche Analyse und die daraus folgenden Beschlüsse werden die Eurokrise somit nicht lösen, sondern weiter verschärfen. Die kollektive Kürzungspolitik würde die EU noch tiefer in die Rezession treiben, überdies würde der Vertrag den nationalen Parlamenten den Spielraum für eine aktive Konjunkturpolitik oder eine gestaltende Finanzpolitik entziehen. Dies wäre nicht nur wirtschaftspolitisch unsinnig, sondern auch unter Demokratiegesichtspunkten fatal. Wie Angela Merkel es so treffend formulierte: Die Budgethoheit der nationalen Parlamente gilt künftig nur mehr innerhalb der Regeln der Währungsunion. Ob dies mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist, fragt sich nicht nur ihr Parteikollege und Bundestagspräsident Norbert Lammert…

 

Was genau steht in dem neuen Fiskal-Vertrag?

Die Verhandlungen über den zwischenstaatlichen Vertrag sind bereits recht weit fortgeschritten, Mitte Januar liegt der dritte Entwurf vor. Ausgehandelt wird er von einer Arbeitsgruppe, die aus VertreterInnen der Regierungen aller Mitgliedstaaten sowie des Europäischen Parlaments besteht. In vielen Punkten besteht jedoch noch Uneinigkeit, was sich auch in teilweise vagen Formulierungen widerspiegelt.

Der Vertrag gliedert sich in drei Teile: Haushaltsdisziplin („Finanzpakt“), Wirtschaftspolitische Koordinierung und Konvergenz sowie Governance der Eurozone. Die kritischsten Punkte finden sich im ersten Teil, v.a. die Verpflichtung zur Einführung nationaler Schuldenbremsen. Innerhalb von einem Jahr nach Inkrafttreten des Vertrags müssen alle Staaten möglichst auf Verfassungsebene die Regel verankert haben, dass ihr strukturelles Defizit 0,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) nicht überschreitet. Tut es dies doch, müssen automatische Korrekturen erfolgen. Die ordnungsgemäße Verankerung der Schuldenbremse - und schlimmstenfalls auch ihre Einhaltung - soll der Europäische Gerichtshof überprüfen und bei Nicht-Einhaltung Geldbußen verhängen.

Die Haushalts“disziplin“ soll weiterhin durch eine Verschärfung bereits bestehender europäischer Verfahren gestärkt werden: Beim Stabilitäts- und Wachstumspakt werden die Sanktionen durch die Einführung einer umgekehrten qualifizierten Mehrheit automatisiert, d.h. sie treten in Kraft wenn nicht eine Mehrheit der Mitgliedstaaten widerspricht. Überdies müssen Mitgliedstaaten, deren Defizit über 3% liegt, „Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme“ auflegen - in Anlehnung an die Anpassungsprogramme für Länder unter dem Rettungsschirm, was faktisch bedeutet, dass die betroffenen Parlamente ihr demokratisches Haushaltsrecht verlieren. Schließlich müssen neben den Defiziten auch die Gesamtschulden abgebaut werden und zwar um einen festgelegten Prozentsatz pro Jahr. Für die meisten Länder der EU, in der infolge der Finanzkrise und Bankenrettung die öffentliche Verschuldung auf durchschnittlich 80% angewachsen ist, bedeutet dies, dass sie künftig Haushaltsüberschüsse erzielen müssen - also noch mehr Ausgaben- und Leistungskürzungen und noch mehr Privatisierung öffentlichen Eigentums. Haushaltsdisziplin à la Merkel (und Sarkozy) ist nichts anderes als die Zerstörung des europäischen Sozialmodells!

Bei den Vorgaben zur wirtschaftspolitischen Koordinierung belassen es die derzeitigen Entwürfe im Wesentlichen bei Absichtserklärungen. Sinnvolle wirtschaftspolitische Koordinierungsmaßnahmen wie z.B. ein außenwirtschaftlicher Stabilitätspakt oder eine Koordinierung der Steuerpolitik kommen gar nicht erst vor. Auch die Schaffung einer Art Wirtschaftsregierung - in Form einer vertraglichen Festschreibung von Euro-Gipfeln und die Schaffung eines Präsidenten der Eurogruppe - ist insofern problematisch, als dass auf diese Weise die Spaltung der EU vorangetrieben wird.

Dies leitet bereits dazu über, dass der Vertrag auch aus Integrations- und Demokratieerwägungen abzulehnen ist: Teile von Politikbereichen aus den bestehenden Verträgen herauszubrechen und in einen neuen, außerhalb des EU-Rechts stehenden Vertrag zu überführen, stellt einen bisher einmaligen Schritt europäischer Desintegration dar. Es ist zugleich ein eklatanter Verstoß gegen geltendes EU-Recht, weil es zentrale Organe der EU wie die Kommission und den EuGH einer anderen Rechtsordnung als der der EU-Verträge unterwerfen will. Damit wird die demokratische Legitimation dieser Organe und die Rechtsstaatlichkeit der EU insgesamt in Frage gestellt. Ob dies Bestand vor dem EuGH haben wird, ist mehr als fraglich.

Der Fiskal-Vertrag verstößt in Deutschland auch gegen den durch Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes geschützten unabänderlichen Kernbereich parlamentarischer Demokratie: Die Schuldenbremse wurde zwar mit verfassungsändernder Mehrheit in das deutsche Grundgesetz eingefügt. Mit dem geplanten völkerrechtlichen Pakt würden sie aber einer Aufhebung oder Änderung durch den deutschen Verfassungsgesetzgeber auf Dauer entzogen werden. Entsprechend wäre ein solcher Vorstoß wohl grundgesetzwidrig und würde auch dem „Lissabon-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts widersprechen.

Somit ist klar: Sollte der Vertrag wie vorgesehen bis Anfang 2013 in Kraft treten, wird dies die Krise weiter verschärfen, die Rezession beschleunigen und zu weiteren unsozialen Kürzungsprogrammen führen - und all dies bei deutlich eingeschränkten demokratischen Rechten, eine solche Politik zu verändern. Daher ist ein breit angelegter Widerstand, sowohl während der Verhandlungen des Vertrags, die bis Ende Januar oder spätestens Anfang März abgeschlossen sein sollen, sowie in der Phase der Ratifikation durch die nationalen Parlamente, zwingend.

 

www.linksfraktion.de, 18. Januar 2012