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Generation Chip? Einige Gegenvorschläge.

Kolumne von Katja Kipping,

Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales

Offensichtlich ist es Ziel der Bundesregierung, mit der Diskussion um die Chipkarte von der eigenständigen Bedarfsermittlung für Kinder abzulenken. Zudem besteht die Gefahr, dass die Kinder- und Jugendhilfe sowie der Bildungsbereich weiter privatisiert werden soll (denn wer entscheidet, bei wem die Karten eingelöst werden können?). Die Umsetzung des Urteils auf die Einführung von Chipkarten für Sachleistungen zu reduzieren spricht für eine enorme Ignoranz der Bundesregierung gegenüber dem Sozialstaatsgebot und spielt zudem latent mit Ressentiments gegenüber Erwerbslosen. Sie ist eine billige Lösung für ein billiges Vorurteil. Es gibt wahrlich bessere Wege, um Kindern und Jugendlichen das angedeihen zu lassen, was ihr Recht ist: gute Bildung.

Da wäre zum einen das längere gemeinsame Lernen. Nun ist in Hamburg gerade ein Volksentscheid dazu in die Hosen gegangen ist. Ich finde das bitter, vor allen Dingen, wenn man sich die Beteiligung an dem Entscheid ansieht: jene, deren Kinder am meisten vom längeren gemeinsamen Lernen profitiert hätten, sind in großer Mehrzahl der Abstimmung ferngeblieben. Die Hamburger Eliteeltern haben das Ganze unter sich ausgemacht. Das ändert jedoch nichts an dem wichtigen Anliegen. Kinder haben ganz unterschiedliche Stärken und Schwächen und – dies ist der erste Ansatz – können dem entsprechend auch voneinander profitieren. Nicht nur was das Lernen an sich betrifft, sondern auch sozial.

Wichtig ist weiterhin das wohnortnahe Lernen. Freilich – kommen Kindern aus ganz verschiedenen Stadtgebieten, lässt sich das, was im Rahmen der Schule an sozialer Bindung aufgebaut wird, in der Freizeit schwerlich gemeinsam fortsetzen. Gemeinsames Spielen und Sport treiben sind dann ebenso schwer zu realisieren wie Lernpatenschaften.

Wir streiten als LINKE konsequent für die Ganztagsschule. Dafür müssen wir uns oftmals geharnischte Kritik von konservativer Seite anhören, inklusive des Vorwurfes, keine Achtung vor der ach so heiligen Familie zu haben. Abgesehen davon, dass es die ach so heilige Familie wohl so nie gab, darf auch getrost bezweifelt werden, dass die meisten Eltern tatsächlich etwas dagegen hätten, wenn ihren Kinder etwas länger als bis zum Mittag professionellen Bildungs- und Freizeitangebote zugänglich wären. Jedenfalls würde es die Kinder zumindest dem medial vermittelten Verwertungsdruck der Wirtschaft entziehen, welche die leicht beeinflussbare Psyche der Kinder längst als geniales Marketingziel erkannt haben und sie entsprechend gnadenlos ausnutzen.

Wer sich ernsthaft für gute Bildung einsetzen möchte, der muss sich dem Problem annehmen, dass immer mehr Teile des Bildungsbereiches schleichend privatisiert werden und von den Eltern aus eigener Tasche finanziert werden müssen. Gäbe es wieder die Lern- und Lehrmittelfreiheit, gäbe es ein kostenfreies, gesundes Schulessen für alle oder mehr schulische individuelle Fördermaßnahmen, so würde sich das Problem des Schulanteils in den Hartz-IV-Regelsätzen gar nicht so stellen. Hinzu kommt: Von einem solchen Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen würden alle etwas haben, auch die Gering- und Normalverdiener, und der nach unten ausgrenzenden Neiddebatte wäre der Boden entzogen. Gute öffentliche Dienstleistungen sind daher auch hier das Gebot der Stunde.


Dies sind nur einige Dinge, über die es sich gewiss nachzudenken lohnt, statt über die technischen und organisatorischen Feinheiten bei der Einführung eines neuartigen Chipkartensystems zu grübeln.