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Geheimdienste waren sehr wohl am Trio dran

Nachricht,

Erste Sitzungen des NSU-Ausschusses nach der Sommerpause

Von Gerd Wiegel
 

Mit zwei Sitzungstagen und einer Gesamtlänge von 27 Stunden hat der NSU-Untersuchungsausschuss seine Arbeit nach der Sommerpause wieder aufgenommen. Und so wie es schon schlechter Brauch vor dem Sommer war, setzen Regierung und Geheimdienste die Serie von Pannen und Ungeheuerlichkeiten im Zusammenhang mit der Aufklärung der NSU-Mordserie fort. Am 11.9., vor Beginn der Zeugenvernehmung eines Vertreters des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), wurde bekannt, dass der MAD 1995 versucht hat, Uwe Mundlos als Informanten zu gewinnen und es auch eine Akte über diesen Vorgang gibt. Dem Ausschuss hatte der MAD diese Akte jedoch nicht geliefert, obwohl die politische Spitze des Hauses seit März 2012 über den Vorgang informiert war. In der Sommerpause hatten viele Abgeordnete bei der Sichtung von Akten des MAD in der Außenstelle des Verfassungsschutzes in Treptow genau nach einer solchen Akte zu Mundlos gefragt, da dieser ja zwischen 1994 und 1995 Wehrdienst geleistet hatte. Antwort: es gibt keine Akte. Dienstag dann die „neue“ Erkenntnis: der MAD hat sogar versucht, Mundlos als Informanten zu gewinnen. Ganz offensichtlich begreifen die Dienste in ihrem Geheimhaltungswahn nicht, dass jeder neue Vorfall ein (hoffentlich) weiterer Sargnagel für sie ist.

Der nächste dieser Sargnägel ließ nicht lange auf sich warten. In der Sitzung am 13.9. platze die nächste Bombe. Der Ausschuss wurde informiert, dass das LKA Berlin über zehn Jahre einen Informanten, Thomas S., aus der Naziszene geführt habe, der 2002 den Behörden einen Hinweis zum Aufenthalt des Trios gab. Thomas S. war in den neunziger Jahren mit Beate Zschäpe liiert und soll dem Trio Sprengstoff geliefert haben. Unklar blieb, ob das LKA Berlin dieser Info damals nachgegangen ist bzw. sie an Thüringen weitergegeben hat. Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt wurden zu diesem Zeitpunkt noch mit Haftbefehl gesucht! Wie gegenüber allen Bundesländern hat der Untersuchungsausschuss auch gegenüber Berlin einen Beweisbeschluss, der das Land verpflichtet, alle Informationen zum Trio und seinem Umfeld dem Ausschuss zur Verfügung zu stellen. Nichts dergleichen ist von Berlin geschehen. Man habe nichts in den Akten gefunden hieß es bis zum 13.9. Fast schon wie eine Farce klang da der ebenfalls am 13.9. veröffentlichte Bericht des stern, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe die Akte zu Thomas S. gelöscht – allerdings habe der Ausschuss zuvor eine Zusammenstellung erhalten.

Was sich von Seiten der Inlandsgeheimdienste an Vertuschung, Chaos, Verschleierung und Lügen bezüglich der Akten und der V-Leute offenbart, hätte man in dieser Dichte kaum für möglich gehalten. Seit Juni bietet jede Sitzung des Ausschusses mehr als genug Argumente, dem Treiben der unkontrollierbaren Dienste endlich ein Ende zu bereiten.

Zeugen zu Hessen und Baden-Württemberg

Natürlich gab es auch Zeugenvernehmungen an den beiden Sitzungstagen des Ausschusses, die jedoch durch die Ereignisse fast in den Hintergrund gerückt wurden. Zu unrecht. Denn mit Andreas T., dem Verfassungsschützer aus Hessen der beim Mord an Halit Yozgat 2006 im Internetcafe in Kassel anwesend war und eine Zeit lang als Hauptverdächtiger galt, war eine schillernde Figur geladen. Sicher scheint, dass T. mit dem Mord nichts zu tun hat. Sein Verhalten und seine Aussagen blieben jedoch fragwürdig. Ein Verfassungsschützer der sich nach einem Mord nicht als Zeuge meldet, der daheim eine Waffensammlung samt Baseballschläger und Messern besitzt, in seiner Jugend Abschriften aus „Mein Kampf“ anfertigt und sie bis heute verwahrt ist kein Argument für Vertrauen in die Dienste. Das galt auch für seinen Vorgesetzten, den ehemaligen Präsidenten des LfV Hessen, Lutz Irrgang. Die Ermittlungen gegen T. durch die Sonderkommission in Hessen wurden von Irrgang massiv behindert. Quellenschutz ist wichtiger als die Aufklärung eines Mordes, das war und ist das Credo von Irrgang. Es handele sich doch ‚nur um ein Tötungsdelikt‘, dafür könne man nicht seine Quellen preisgeben, so las es sich in den Mails des LfV, die in den Akten zu finden waren. Irrgang konnte an diesen Aussagen nichts Kritikwürdiges finden. Unterstützt wurde er darin vom damaligen Innenminister und heutigen Ministerpräsidenten Bouffier, der am 28.9. im Ausschuss als Zeuge vernommen wird.

Am 13.9. wurden Zeugen zum zehnten Mord des NSU an der Polizistin Michele Kiesewetter und zum Mordversuch an ihrem Kollegen gehört. Der Leiter der SOKO Parkplatz und der leitende Staatsanwalt wurden zu den Ermittlungen in Heilbronn befragt. Die extrem rechte Motivation dieser Tat lag sicherlich sehr viel weniger offen zu Tage als bei den anderen Morden der Serie. Dennoch wurden, so ergab die Befragung, auch hier Ermittlungen in Richtung einer politischen Motivation sehr schnell ausgeschlossen, wohingegen gegen Sinti- und Romafamilien, die in der Nähe des Tatort anwesend waren, unverhältnismäßig lange ermittelt wurde. Keine Anhaltspunkte konnten für einen gezielten Mord an Frau Kiesewetter gefunden werden, vielmehr scheint es den Nazis um PolizistInnen generell gegangen zu sein. Jedoch offenbarte auch hier der Blick auf die Sicherheitsbehörden Ungeheuerlichkeiten: z.B. Polizisten aus Baden-Württemberg die im rassistischen Ku Klux Klan organisiert waren, dafür jedoch nur eine leichte Rüge erhielten. Überhaupt, so musste es auch der frühere Leiter des LfV Ba-Wü eigenstehen, sei das Thema des militanten Rechtsextremismus auch im Ländle bis zur Entdeckung des NSU sträflich unterschätz worden. Mögliche Ankerpunkte des Trios, das sich nachweislich häufiger in Ba-Wü aufhielt, müssen durch die laufenden Ermittlungen geklärt werden und konnten in den Zeugenbefragungen nicht vertieft werden.

Der PUA setzt seine Arbeit am 27. und 28. September fort. Zeugen vom LfV NRW, zur Spur der Ceska-Waffe mit der neun Morde verübt wurden und der Hessische Ministerpräsident Bouffier sind geladen.