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Gefährdete Chancengleichheit

Im Wortlaut,

Eine höhere Erbschaftsteuer gefährdet nicht die Existenz von Firmen. Sie sorgt vielmehr für soziale Gerechtigkeit.

Foto: MdF/J. Bergmann

 

 

Von Daniela Trochowski, Staatssekretärin im Ministerium der Finanzen Brandenburg

 

Finanzminister Schäuble hat bereits vor Monaten in den Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf für eine Neuregelung der Erbschaftsteuer für Unternehmensvermögen eingebracht. Darin schränkt er die steuerlichen Befreiungsregelungen für Betriebsvermögen „minimalinvasiv“ ein. Derzeit wird vererbtes Betriebsvermögen aufgrund großzügiger Verschonungsregeln zu 85 beziehungsweise gar zu 100 Prozent nicht besteuert.

Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Regelungen schon 2014 beanstandet. Es kritisierte nicht ihre Existenz an sich. Vielmehr stellt das Ausmaß der Befreiung, das dazu führt, dass Unternehmenserben faktisch keine Erbschaftsteuer zahlen, aus Sicht des Gerichts einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes dar. Damit hat das Verfassungsgericht bereits zum wiederholten Mal die Privilegien für Unternehmenserben und –erbinnen „kassiert“. Die Frist für eine Reform läuft im Juni 2016 ab.

Bemerkenswert ist an dem Urteil vor allem, dass drei der acht Richter des Ersten Senats eine „Abweichende Meinung“ zum Urteil formuliert haben. Sie werfen das bekannte Problem der massiv gewachsenen Ungleichverteilung der Vermögen auf und monieren, dass gerade die Einkommen aus Unternehmenstätigkeit und Vermögen im Vergleich zu den Arbeitnehmerentgelten massiv gestiegen sind. Die Erbschaftsteuer stellt für die Richter ein sozialstaatliches Instrument dar, um zu verhindern, dass sich Reichtum über die Generationen in den Händen weniger konzentriert und allein aufgrund der Abstammung – unabhängig von der „Leistung“ des Einzelnen – unverhältnismäßig anwächst.

Die Erbschaftsteuer also ein Mittel zur Herstellung sozialer Chancengleichheit? Diese Debatte ist in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren verstärkt aus dem Blickfeld geraten. Das Recht auf (steuer)unbelastetes Erben scheint sakrosankt, die Erbschaftsteuer ist dadurch verteilungspolitisch und fiskalisch zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Und so stockt denn auch die Debatte im Bundestag, da die Finanzpolitiker der Regierungsfraktionen bei diesem Thema offenkundig an unterschiedlichen Strängen ziehen.

In der bundesdeutschen Gesellschaft ist indes kaum eine Steuer – insbesondere im Bereich der Besteuerung von Unternehmenserben – derart emotional belegt. So wird durch die Verbände immer wieder vorgebracht, dass die Erbschaftsteuer die Fortführung der ererbten Unternehmen und damit Tausende Arbeitsplätze bedrohe. Die Realität spricht jedoch eine andere Sprache: Die Zahl der Erstfestsetzungen, der steuerlich aufgegriffenen Fälle, an den Sterbefallanzeigen betrug in 2014 gerade zwölf Prozent. Das heißt, dass 88 Prozent der Erbfälle durch die Finanzämter gar nicht erst aufgegriffen werden. Ursache hierfür sind laut Verfassungsgericht die hohen Freibeträge.

Im gleichen Jahr mussten auf das insgesamt ererbte und geschenkte Vermögen in Höhe von rund 109 Milliarden Euro gerade fünf Prozent Steuern gezahlt werden. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Lohnsteuer betrug 16 Prozent. Noch etwas spricht gegen die These, dass die Erbschaftsteuerbelastung Firmen real gefährdet: 2014 wurden bei den Finanzbehörden gerade drei Stundungen beantragt. Unwesentlich höher lag diese Zahl in der Vorjahren. Wenn man davon ausgeht, dass jener Stundungen beantragt, der sein Unternehmen in Gefahr sieht, scheint es sich also um einen „Phantomschmerz“ zu handeln.

Derweil kann die tatsächliche Höhe des vererbten Vermögens nur geschätzt werden. Der steuerliche Wert der Erbschaften und Schenkungen hat sich allerdings in den Jahren zwischen 2007 und 2012 nach Statistiken des Bundesfinanzministeriums von rund 33 Milliarden Euro auf mehr als 74 verdoppelt. Demgegenüber blieb das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer konstant bei rund 4,5 Milliarden Euro. Damit erreichte sie nicht einmal ein Prozent des Gesamtsteueraufkommens. Einen hohen Anteil am geringen Aufkommen haben zweifelsohne die Verschonungsregelungen für Unternehmenserben. Diese Begünstigungen hat das DIW allein für das Jahr 2014 auf 66 Milliarden Euro beziffert und daraus Steuermindereinnahmen in Höhe von knapp 18 Milliarden Euro ermittelt. Diesem Fakt pflichten inzwischen auch die Bundesstatistiker bei.

Gleichzeitig ist die Vermögenskonzentration in den vergangenen Jahren massiv angestiegen. Eine wesentliche Ursache dieser Entwicklung dürfte in der unzureichenden Erbschaftsbesteuerung liegen. Diese befördert die in der Minderheitenmeinung der Verfassungsrichter monierte Ungleichheit. Nachdenklich stimmt in diesem Zusammenhang eine Studie der Bank UBS: In der Bundesrepublik Deutschland besitzen danach 19 000 Menschen ein Vermögen von 2,4 Billionen Euro. 28 Prozent dieser Multimillionäre besitzen ihr Vermögen allein aufgrund von Erbschaften, weitere 31 Prozent aufgrund einer Mischung aus ererbten und selbst erwirtschafteten Vermögen!

Läge es vor diesem Hintergrund nicht nahe, durch eine wirkliche Reform der Erbschaftsteuer diese sozialen Ungleichheiten aufzubrechen und für gleiche Chancen am Start zu sorgen? Der Vorteil läge darin, dass Erben großer Vermögen mindestens einmal – bei Vermögenszugang – an die Allgemeinheit abgeben müssten. Wenn man zudem bedenkt, dass es sich dabei um Vermögen handelt, deren Entstehung nicht auf der persönlichen Leistung des Erben beruht, ist diese Steuerbelastung sogar ein Gebot dieser Gesellschaft, die doch auf Konkurrenz und individuelle Leistung setzt.

 

Frankfurter Rundschau, 20. Januar 2016