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»Gabriel hat sich verzockt«

Im Wortlaut von Gesine Lötzsch,

Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, analysiert die Vorgänge vor und bei der Wahl des Bundespräsidenten am 30. Juni und antwortet mit sachlichen Argumenten auf die aggressive Legendenbildung bei SPD und Grünen. "In NRW wird sich zeigen, ob SPD und Grüne aus der gestrigen Niederlage etwas gelernt haben", so Lötzsch.

Wer sind die Gewinner des gestrigen Tages?

Gesine Lötzsch: Luc Jochimsen hat mit einem großartigen Ergebnis überzeugt. Sie hat sogar mehr Stimmen bekommen, als wir Wahlfrauen und Wahlmänner haben. Das zeigt, dass unsere Kandidatin auch aus den anderen Lagern unterstützt wurde. Ich hatte bereits vor der Wahl meine Erwartung geäußert, dass Sozialdemokraten und Grüne, die gegen den Afghanistan-Krieg und gegen Hartz IV sind, Luc wählen müssten. Denn die beiden anderen Kandidaten unterstützen den Krieg und den Sozialabbau in unserem Land. Gewonnen hat auch unsere Partei. Es ist Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin nicht gelungen, einen Keil in unsere Delegation zu treiben.

Wer sind die Verlierer des gestrigen Tages?

Es gibt viele Verlierer. Die Kanzlerin und der Außenminister wurden von ihren eigenen Leuten abgestraft. Die Regierung konnte erst im dritten Wahlgang ihren Kandidaten Wulff in das Amt wählen. Damit sind die Regierung und der Bundespräsident beschädigt. Es ist nicht gut für die Demokratie, wenn die Wahl des Bundespräsidenten genutzt wird, um Denkzettel zu verteilen. Aber auch SPD und Grüne gehören zu den Verlierern. Sie haben der Koalition mit Gauck ein konservatives Angebot gemacht und hatten die Hoffnung, dass sie so die Kanzlerin in Bedrängnis bringen oder sogar stürzen könnten. Gabriel hat sich verzockt. Als er merkte, dass die Kanzlerin ihm die kalte Schulter zeigte, weil das Angebot wohl doch nicht verlockend genug war, wollte er plötzlich unsere Stimmen haben. Doch wir haben immer gesagt, dass Joachim Gauck für uns kein wählbarer Kandidat ist. Einen Plan B hatte Sigmar Gabriel nicht.

Hätte DIE LINKE nicht über ihren Schatten springen können, um Wulff zu verhindern?

Ich erinnere an die Wahlniederlage der PDS im Jahre 2002. Unsere Wahlkampfleitung hatte damals das Motto ausgegeben: Stoiber verhindern! Das Ergebnis war, dass linke Wähler die SPD gewählt haben und wir als Fraktion aus dem Bundestag flogen. Wir hatten uns überflüssig gemacht. Das war für die PDS der Supergau. Dann kam Schröder und führte wieder Krieg von deutschem Boden aus und begann mit der Agenda 2010 eine bis dahin unbekannte Umverteilung von unten nach oben. Wir haben Stoiber verhindert und Schröder bekommen. Unsere Strategie war damals offensichtlich falsch. Diesen Fehler haben wir diesmal nicht wiederholt. Wir wählen keinen Kandidaten, der in Kernfragen grundsätzlich andere Auffassungen vertritt als wir. Wir verraten doch nicht unsere Grundüberzeugung, um einen konservativen Politiker durch einen anderen konservativen Politiker zu ersetzen.

Hätten Sie nicht mit der Wahl von Joachim Gauck ein Zeichen setzen, dass Sie mit der Geschichte der SED gebrochen haben?

Joachim Gauck kann uns keine Absolution erteilen. Wir werden uns nie von unserer Geschichte trennen können. Das wollen wir auch gar nicht. DIE LINKE hat ein sehr kritisches Verhältnis zu ihrer Geschichte. Wir unterscheiden uns da von CDU und FDP, die ihre ostdeutsche Geschichte komplett ausgeblendet haben.

Hat DIE LINKE damit die Chancen für Rot-Rot-Grün auf Bundesebene verspielt?

Ganz im Gegenteil. Joachim Gauck hat sich ganz klar gegen eine solche Koalition ausgesprochen. Man stelle sich vor, wir hätten ihn gewählt. Dann hätte er aus dem Schloss Bellevue zusammen mit der Springer-Presse gegen eine solche Koalition gewettert. Dann hätten wir keine Chance gehabt. Hinzu kommt noch, dass SPD und Grüne jetzt hoffentlich verstanden haben, dass wenn wir nein sagen, auch nein meinen. Ich bin mir sicher, dass wir einen gemeinsamen Kandidaten gefunden hätten. Doch das war von SPD und Grünen nicht gewollt. Sie haben uns einen Kandidaten vorgesetzt, bei dem sie vorher wussten, dass er für uns nicht wählbar ist. Das SPD-Grüne-Motto ‚Friss oder stirb’ hat sich offensichtlich nicht bewährt. DIE LINKE ist sofort bereit, mit SPD und Grünen einen neuen Anlauf zu wagen. Voraussetzung ist, dass wir auf Augenhöhe verhandeln. In NRW wird sich zeigen, ob SPD und Grüne aus der gestrigen Niederlage etwas gelernt haben.

linksfraktion.de, 1. Juli 2010