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Fünf Jahre Mindestlohngesetz, kein Grund zum feiern

Im Wortlaut von Matthias W. Birkwald,

Eine Vollzeit arbeitende Friseurin verdiente im Osten 2017 rund 1.447 Euro brutto. Das sind rund 100 Euro weniger, als eine Friseurin im Westen durchschnittlich erhält. Würden die beiden Friseurinnen heute nach 45 Jahren Arbeit in Rente gehen: im Osten gäbe es eine monatliche Rente von 728,52 Euro brutto und 747,05 Euro im Westen. Beide müssten - abhängig von den Mieten vor Ort -  wohl zum Sozialamt gehen, um ihre Rente mit der „Grundsicherung im Alter“ aufbessern. Diese entspricht der Sozialhilfe.

Jeder ist seines Glückes Schmied? Wer fleißig ist und arbeitet wird aufsteigen? Die Realität sieht für Viele anders aus: Nach 45 Jahren Vollzeit-Arbeit reicht die Rente nicht zum Leben.

Die Ursache sind der zu niedrige gesetzliche Mindestlohn und das zu niedrige Rentenniveau. Mit aktuell 48,16 Prozent ist es nicht mehr armutsfest. 

Vor fünf Jahren beschloss der Deutsche Bundestag das erste Mindestlohngesetz. Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag forderte damals, den Mindestlohn in Höhe von zehn Euro einzuführen und die Lücken und Kontrolldefizite im Gesetz zu beseitigen. Denn: 8,50 Euro reichen nicht zum (Über-)Leben und vor allem nicht für ein würdevolles Leben im Alter ohne Sozialhilfe. 

Nach zwei Nullrunden und zwei Tippelschrittchen sind wir im Jahr 2019 bei 9,19 Euro brutto angekommen. Im kommenden Jahr soll der gesetzliche Mindestlohn auf 9,35 Euro ansteigen. 

Nicht genug für eine armutsfeste Rente. Wie hoch der gesetzliche Mindestlohn sein müsste, damit ein Beschäftigter in Vollzeit nach 45 Jahren keine Grundsicherung im Alter mehr beantragen muss, lasse ich seit der Einführung des Mindestlohns von der Bundesregierung ausrechnen. 

Bei der Berechnung gibt es viele kleine Stellschrauben, die das Ergebnis verändern: Die wöchentliche Arbeitszeit, die Sozialversicherungsbeiträge und die Höhe der Grundsicherung im Alter („Bruttobedarf“). Die Antwort bleibt gleich: 9,19 Euro reichen nicht aus. Um nach 45 Jahren Vollzeit-Arbeit nicht aufstocken zu müssen, wäre aktuell ein Mindestlohn in Höhe von 12,80 Euro nötig.

DIE LINKE fordert die sofortige Erhöhung des Mindestlohns auf mindestens 12 Euro und eine Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) hat ausgerechnet: Elf Millionen würden von einem Mindestlohn in Höhe von 12 Euro profitieren. Das sind ein knappes Drittel aller abhängig Beschäftigten.

Unsere beiden Friseurinnen müssten nicht mit 728,52 oder 747,05 Euro ihren Lebensabend ertragen, sondern immerhin 1.010,77 Euro brutto Rente im Monat. Diese 250 Euro mehr im Monat reichen in vielen Großstädten aber immer noch nur mit Wohngeld zum Leben und liegen unterhalb der europäischen Armutsschwelle. Ergänzt werden müsste der höhere Mindestlohn deshalb um eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente. Mit der würde das Einkommen im Alter und bei Erwerbsminderung auf 1050 Euro netto monatlich angehoben.