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Friedlicher Widerstand gegen bewaffnete Besatzung

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"Wir haben uns bewusst für den gewaltfreien Widerstand entschieden. Denn auch wenn Menschen unter Besatzung das Recht haben, mit allen Mitteln gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen, ist der gewaltlose Widerstand der effektivste", sagt Saeed Amireh aus dem palästinensischen Dorf Ni`lin zu Beginn seines Vortrags. "Wir haben uns auch dafür entschieden, uns nicht von irgendeiner Partei vereinnahmen zu lassen". Die Fraktion DIE LINKE hatte den 21jährigen eingeladen.

Saeeds Vortrag stellt klar: Trotzdem sich das ganze Dorf nach wie vor nicht einschüchtern lässt, die israelische Besatzungsmacht unterdrückt auch friedlichen Widerstand mit brutaler Gewalt.  Krankenwagen, internationale Aktivisten und die Medien werden von der Armee am Betreten des Dorfes gehindert.

Die Auseinandersetzungen in seinem Dorf setzten vor Jahren ein, als die Armee und Siedler damit begannen, das Land um Ni’lin zu konfiszieren und es mit der Mauer, Elektrozäunen und Stacheldraht als geschlossenes Militärgebiet abzusperren. Nach vier Jahren ohne Bewirtschaftung fällt das Land an den israelischen Staat, der sich zur Legitimation dieses Landraubs auf osmanisches Recht beruft. "Ihr müsst wissen, dass wir als Palästinenser unter Kriegsrecht stehen, während für die Siedler das normale israelische Recht gilt", erklärt Saeed die alltäglichen doppelten Standards. "Ein anderes Beispiel dafür ist, dass unter den bislang 360 Festgenommenen sehr viele Kinder sind, weil wir für Israel als Erwachsene gelten, sobald wir zwölf Jahre alt werden."

Der populäre Widerstand Ni’lins gegen den Landraub habe begonnen, berichtet Saeed, als ganze Familien aus ihren Häusern auf die Felder zogen, um sie nicht zu verlieren. Israel habe mit Soldaten und Bulldozern reagiert, unter die die Menschen sich legten, um sie aufzuhalten. Daraufhin seien gegen die Bewohner Ausgangssperren über vier Tage verhängt worden – ohne Ankündigung, so dass niemand genug Lebensmittel im Haus hatte. Obendrein hätten die Soldaten auch die Wassertanks auf den Dächern zerschossen, so dass auch kein Wasser mehr da gewesen sei. Die Dorfbewohner hätten die Ausgangssperre kollektiv gebrochen. Das war der Anlass für die israelische Armee, so Saeed, innerhalb eines Jahres fünf Menschen zu erschießen.

Unter ihnen war der zehnjährige Ahmed Moussa, dessen Mörder kürzlich von israelischen Gerichten freigesprochen wurde. "Die Armee benutzt Munition vom Kaliber 0.22, die sogar nach israelischem Recht verboten ist. Diese Munition explodiert im Körper und soll dazu führen, dass die Menschen langzeitig geschädigt werden, damit sie nicht mehr auf Demonstrationen gehen können", glaubt Saeed. Die Armee nehme oft ganze Familien als Geiseln: "Die Scharfschützen besetzen unsere Häuser und verschanzen sich dort", sagte Amireh. Sehr oft würden auch drei Kilogramm schwere Tränengasgranaten verschossen, die durch Häuserwände dringen können. Auch diese Munition habe Opfer gefordert. Auf den Kopf von Saeeds Vater, einen der wichtigsten Organisatoren des Widerstandskommittees, wurde eine solche Granate geschossen. Er habe Glück gehabt und den Kopf im letzten Moment zur Seite gewandt, aber andere seien getroffen worden.

Auch die Demonstrationen und Aktionen, die überall in der Westbank in Solidarität mit den Menschen in Gaza stattfinden, würden mit Gewalt niedergeschlagen. Erst gestern sei ein Freund Saeeds, der 28jährige Rushdi Tamimi, gestorben, weil israelische Soldaten ihm erst ins Bein geschossen und dann verhinderten hätten, dass ihm geholfen wird. Er starb vergangene Nacht an seinen inneren Blutungen, erzählt Saeed unter Tränen am Ende seines Vortrags. Die Menschen seines Dorfes würden sich nicht einschüchtern lassen, aber: "Die Situation wird seit Jahren immer schlimmer. Wir verlieren Zeit! Wir werden weiter kämpfen, aber wir brauchen Eure Hilfe“, so lautet Saeeds Appell an die anwesenden Abgeordneten Niema Movassat, Inge Höger und Christine Buchholz und die Partei DIE LINKE.  

linksfraktion.de, 21. November 2012