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Sahra Wagenknecht im Interview © APA/Georg HochmuthFoto: APA/Georg Hochmuth

»Friedlichen Protest nicht durch Krawalle diskreditieren!«

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht, Die Welt,

Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken, hofft auf friedliche Demonstrationen. Gewaltsame Aktionen erwiesen dem Anliegen einen Bärendienst. Kritik am G-20-Gipfel formuliert sie ebenso eindeutig.

Interview: Jörn Lauterbach

DIE WELT: Die Regierungschefs, die sich Anfang Juli in Hamburg treffen werden, sprechen unter anderem über Frauenrechte und über dringend notwendige Hilfen für Afrika. Was daran finden Sie falsch?

Sahra Wagenknecht: Es ist ein Problem, wenn 20 Staaten meinen, die Geschicke der Welt unter sich ausmachen zu können, und 174 Länder sitzen nicht am Tisch. Ursprünglich war zur Beratung globaler Probleme die UNO gegründet worden. Sie sollte wieder gestärkt werden. Meine Hauptkritik aber betrifft die konkrete Politik dieser G 20, die die Probleme dieser Welt verschärft, statt sie zu lindern. Viele G-20-Staaten rüsten derzeit auf, während die UNO davor warnt, dass 23 Millionen Menschen in Nahost und Afrika akut vom Hungertod bedroht sind. Das Leben dieser Menschen ließe sich mit einem Bruchteil des Geldes retten, das wir derzeit für Waffen und Krieg verschleudern.

 

DIE WELT: Über diese Hilfen soll doch aber gerade bei dem Gipfel gesprochen werden.

Wagenknecht: Ich bezweifele, dass wesentliche Impulse herauskommen. Dafür müsste man Politik im Interesse der Entwicklungsländer machen und nicht im Interesse europäischer und amerikanischer Konzerne. Wenn Frau Merkel durch Afrika reist und unverändert Druck ausübt, dass arme Länder ihre Zölle absenken, ist das unverantwortlich. Denn im Ergebnis würden dann lokale Anbieter noch ungeschützter durch subventionierte EU-Agrarexporte vom Markt verdrängt.

 

DIE WELT: Summiert repräsentieren die G-20-Länder aber doch immerhin zwei Drittel der Weltbevölkerung.

Wagenknecht: Ja, aber vor allem die wohlhabenderen Nationen. Aus Afrika ist zum Beispiel nur Südafrika vertreten. Es ist doch absurd, über das Schicksal Afrikas zu beraten, ohne die betroffenen Länder. Regierungschefs wie Trump, Putin oder Merkel haben doch auch nicht ernsthaft den Willen, die globalen Probleme zu lösen.

 

DIE WELT: Reihen Sie die Bundeskanzlerin bewusst einfach so in diese Namen ein?

Wagenknecht: Selbstverständlich ist Frau Merkel kein Macho wie Putin und auch nicht so unberechenbar wie Trump. Aber auch ihre Agenda wird von den Wünschen der Konzernlobbyisten bestimmt. Sie spricht zwar oft davon, Fluchtursachen zu bekämpfen – aber dann müsste sie doch endlich anfangen, gegenüber Afrika eine andere Handelspolitik durchzusetzen. Oder einen sofortigen Stopp von Waffenexporten in Kriegs- und Krisengebiete fordern. Oder für Regeln kämpfen, die globale Rohstoffkonzerne daran hindern, gnadenlos arme Länder auszuplündern.

 

DIE WELT: In Hamburg wird es 27 Demonstrationen rund um den Gipfel geben. Wofür steht das aus Ihrer Sicht?

Wagenknecht: Friedlicher Protest ist ein Zeichen dafür, dass immer mehr Menschen wachsende Ungleichheit, Hunger und Kriege nicht mehr als alternativlos hinnehmen wollen. Sie streiten für eine Welt, in der niemand mehr aus Perspektivlosigkeit seine Heimat verlassen muss. Ich hoffe sehr, dass der friedliche Protest nicht durch Krawalle und Ausschreitungen überschattet und diskreditiert wird. Jeder, der sich an gewaltsamen Aktionen beteiligt, muss wissen, dass er damit dem Anliegen der Proteste einen Bärendienst erweist.

 

DIE WELT: Ein Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, Jan van Aken, hat selbst eine Demonstration angemeldet, die sogar die größte während der Gipfeltage werden könnte. Ist das mit Blick auf das Gewaltpotenzial zu verantworten?

Wagenknecht: Wir rufen ausdrücklich zu gewaltfreiem Protest auf. Ich hoffe sehr, dass sich alle Teilnehmer bei der von van Aken angemeldeten Demonstration daran halten.

 

DIE WELT: Sie sprachen eben die steigenden Rüstungsetats an, das gilt ja auch für Deutschland. Und sie warnten bei einer Rede im Bundestag mit Blick auf die aktuelle Lage in Syrien vor einem Szenario, das bis hin zu einem dritten Weltkrieg führen könnte. Haben Sie da nicht etwas übertrieben?

Wagenknecht: Ich sehe mit großer Sorge, wie die Lage in Syrien eskaliert. Eine direkte militärische Konfrontation zwischen den USA und Russland ist möglich. Das wäre dann der große Krieg, der insbesondere für Europa verheerende Folgen haben könnte. Die Bundesregierung sollte deshalb alles dafür tun, dass wir uns nicht von Trump in einen solchen Krieg hineinziehen lassen. Auch deshalb sollten wir unsere Soldaten jetzt nicht nach Jordanien verlegen, sondern nach Hause zurückholen. Wenn wir in Syrien keine Kriegspartei mehr sind, sinkt auch das Risiko von Terroranschlägen in Deutschland.

Die Welt,