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Frieden statt NATO

Nachricht,

Internationale NATO-Anhörung der Linksfraktion am 4. Juli 2016

Frieden statt  NATO: Abgeordnete mit Gästen

 

Die NATO ist ein Fossil aus dem Kalten Krieg und sollte sich auflösen. Sie steht einer friedlichen Entwicklung in Europa entgegen. Ihr Drang nach Osten, ihre Konfrontation mit Russland, die Interessen ihrer Rüstungsindustrie – das alles macht die NATO nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich. Die Linksfraktion fordert deshalb ihre Auflösung und zunächst – auf dem Weg dorthin – den Austritt Deutschlands aus ihren Militärstrukturen. Mit dieser Forderung geht die Linksfraktion in dieser Woche in die Bundestagsdebatte über den anstehenden NATO-Gipfel in Warschau.

„Dass im Bundestag der Austritt Deutschlands aus den NATO-Militärstrukturen gefordert und diskutiert wird, ist ein historischer Vorgang“, so Wolfgang Gehrcke auf der Internationalen NATO-Anhörung der Linksfraktion am Montag. Gehrcke, Leiter des Arbeitskreises Außenpolitik der Linksfraktion, und Alexander Neu, Obmann der Fraktion im Verteidigungsausschuss, hatten Expertinnen und Experten aus sieben Ländern zur Anhörung eingeladen, um Erfahrungen im Kampf gegen NATO und NATO-Politik auszutauschen.

»Zeit der verpassten Chancen«

Das NATO-Manöver Anakonda in Polen, Truppenstationierung im Baltikum, Aufbau einer NATO-Schwarzmeerflotte, Raketenabwehrschirm – die NATO rückt Russland immer näher. Darauf wies Kate Hudson, Vorsitzende der Campaign for Nuclear Disarmament in Großbritannien, zum Beginn der Veranstaltung hin – sie war der Anhörung aus London zugeschaltet.  Damit spitze sich eine Entwicklung zu, die schon seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des östlichen Verteidigungsbündnisses Warschauer Pakt im Gange ist: Statt sich ebenso aufzulösen wie der Warschauer Pakt, hat sich die NATO seither um viele neue Mitglieder in Richtung Osten erweitert – unter Bruch eines Versprechens im Jahr 1990, genau dies nicht zu tun. Hinzu kam seit 1999 die Doktrin des humanitären Interventionismus, in deren Namen  die NATO ihren ersten Krieg führte – den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Von einer Zeit der verpassten Chancen sprach auf der Anhörung Wolfgang Gehrcke mit Blick auf die Hoffnungen der Wendezeit.

Dass die aktuelle Zuspitzung der NATO-Politik gegenüber Russland in der deutschen Öffentlichkeit zunehmend auf Kritik stößt, dass die Mehrheit der Deutschen beispielsweise die Stationierung von Bundeswehrsoldaten im Baltikum ablehnen, dass selbst der Bundesaußenminister Steinmeier von „Säbelrasseln“ sprach und, genau wie der ehemalige Staatssekretär und heutige Ausrichter der Münchner „Sicherheitskonferenz“, Wolfgang Ischinger, zu Mäßigung aufrief: Dies sind ermutigende Signale für die Friedensbewegung und für alle, die für eine neue Entspannungspolitik in Europa eintreten.  

Auf der anderen Seite stehen die Ankündigungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Demnach sind für die nächsten Jahre gewaltige Aufwüchse im deutschen Rüstungsetat zu erwarten, um das von der NATO festgelegte Finanzierungsziel von 2 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erfüllen und sich auf den Rüstungsetat der USA zuzubewegen. Für die Europäische Union (EU) sollen Aufrüstungsziele festgelegt und jährlich überprüft werden, berichtete Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI). Die sogenannte „Schrotthaufen“-Debatte sollte die Bereitschaft zu mehr Rüstungsausgaben in der Bevölkerung herstellen. Dem hielt Wagner entgegen: „Die Bundeswehr ist nicht chronisch unterfinanziert. In der mittelfristigen Haushaltsplanung ist ein Aufwuchs auf über 39 Milliarden Euro jährlich eingeplant.“ Die Auftragslage der deutschen Rüstungsindustrie liegt der Bundesregierung am Herzen. Das sieht man auch an der Verdoppelung der deutschen Rüstungsexporte im vergangenen Jahr.

NATO mit politischem Kampfauftrag

Dass die NATO nie das reine Verteidigungsbündnis war, als das sie sich dargestellt hatte, machten der zypriotische Abgeordnete Aristos Damianou und der türkische Journalist Fatih Polat deutlich: Der Rückblick auf die Putsche in Zypern 1974 und in der Türkei 1980 legte die Verstrickung der NATO offen, die in Mitgliedstaaten und Anrainern geheimdienstliche Wühlarbeit bis hin zu Terrorismus (Gladio in Italien) betrieb. Die Schriftstellerin Daniela Dahn erinnerte daran, dass die NATO von Beginn an einen politischen Kampfauftrag hatte: die Niederlage des Kommunismus herbeizuführen – mit allen Mitteln und mit allen Partnern, die sich dafür anboten. Die NATO ist eine Gefahr nicht nur für Frieden und Sicherheit, sondern auch für die Demokratie, stellte deshalb Sevim Dağdelen, Sprecherin der Linksfraktion für internationale Beziehungen, fest.

Nach der Wende wurde der politische Auftrag noch expliziter. Die NATO versteht sich nun als „größte Menschenrechtsorganisation“, so zitierte Alexander Neu den ehemaligen NATO-Generalsekretär Rasmussen. Dass Menschenrechte dabei instrumentalisiert wurden und werden, um geostrategische Interessen durchzusetzen, und wie dabei die Öffentlichkeit immer wieder hinters Licht geführt wurde – auch das gehört zur Bilanz der NATO. Dahn erinnerte in diesem Zusammenhang an den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, der mit groben Lügen vorbereitet wurde.

Ist die NATO in der Offensive oder in der Defensive? Einerseits will sie sich in Warschau erneut erweitern – um Montenegro. Österreich, Schweden, Finnland sind weitere Länder, die auf der Liste möglicher künftiger Mitglieder stehen. Andererseits schwindet die Zustimmung der Bevölkerungen. In Montenegro haben sich in einer Umfrage über 55 Prozent der Bevölkerung gegen den Beitritt ausgesprochen. Ein Referendum wird es jedoch nicht geben. Die politische Elite befürwortet den Beitritt und wird ihn am Willen der Bevölkerung vorbei vollziehen. Die Bevölkerung Österreichs hält an ihrer Neutralität fest. Sie hat massive Vorbehalte gegen die NATO, so der österreichische Friedensforscher Thomas Roithner.

Welche Wege müssen LINKE und Friedenspolitik gehen, um die NATO tatsächlich, wie es der Antrag der Linksfraktion formuliert, zu überwinden und durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands zu ersetzen? Welche dicken Bretter da zu bohren sind, weiß niemand besser als Costas Isychos, der 2015 für ein halbes Jahr stellvertretender Verteidigungsminister Griechenlands war. Wenn er NATO-Basen in Griechenland besuchen wollte, musste der sich die Erlaubnis dafür bei den USA einholen, berichtete er auf der Anhörung. „Wir haben keine Hoheit über unser eigenes Territorium.“ Die NATO ist nicht nur in Griechenland präsent, sondern seit einiger Zeit auch um Griechenland herum: In der Ägäis soll sie den Einsatz gegen sogenannte Schlepper unterstützen. „Die NATO ist in die Ägäis gekommen, um zu bleiben“, so Isychos. Die Regierung eines kleinen Mitgliedsstaates kann in der NATO nichts ausrichten. „Das Veto muss von der Bevölkerung kommen!“

Frankreich hatte zeitweise den Austritt aus den militärischen Strukturen der NATO vollzogen. Ein Vorbild für Deutschland? Ja, meinte der französische Friedensaktivist Alain Rouy, auch wenn Frankreich unter dem konservativen Präsidenten Sarkozy im Jahr 2007 wieder in die NATO-Militärstrukturen zurückgekehrt ist. Der Austritt, der unter Präsident de Gaulle im Jahr 1966 vollzogen worden war, war in der Bevölkerung äußerst populär.

Umwandlung der EU zum Militärbündnis verhindern

Heike Hänsel, die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, stellte DIE LINKE als Fraktion der Russland-Versteher vor – als einzige Fraktion im Bundestag, die ihre außenpolitischen Vorstellungen jenseits der NATO-Logik entwickelt: Den Austritt Deutschlands aus den militärischen Strukturen der NATO beschrieb sie als einen entscheidenden friedenspolitischen Schritt. Zusätzlich sprach sie sich für massive Abrüstung bis hin zu einer strukturellen Nichtangriffsfähigkeit aus. Die Umwandlung der EU zu einem Militärbündnis müsse verhindert werden. Wenn wir von einer Alternative zur NATO sprechen, lohnt sich der Blick auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die einen breiten Sicherheitsbegriff entwickelt hat, der Menschenrechte und soziale Sicherheit mit einschließt.

Alexander Rahr, Osteuropa-Historiker und Mitglied des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs, forderte dazu auf, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, um Feindbildern entgegenzutreten.  Hänsel plädierte deshalb für die Stärkung der Zivilgesellschaften. Instrumente der Verständigung zwischen den Menschen sind vorhanden, wenn auch teilweise verkümmert, und müssen ausgebaut werden – auf allen Ebenen, insbesondere in beziehungsweise zwischen den Kommunen. Denn gegenseitiges Kennenlernen macht immun gegen Feindbilder.

Alexander King, Thomas Kachel

linksfraktion.de, 6. Juli 2016