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„Frieden ist nur möglich, wenn die Zivilgesellschaft an dem Prozess beteiligt wird“

Nachricht von Heike Hänsel,

Abendveranstaltung der Fraktion DIE LINKE am 29. November 2012: „Land und gerechter Frieden – der kolumbianische Weg aus dem Krieg?“

Seit Oktober 2012 finden in Oslo (Norwegen) und Havanna (Kuba) Friedensgespräche zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung zur Beilegung des seit 50 Jahre andauernden internen bewaffneten Konflikts statt. Bis zu 300.000 Opfer fielen der Gewalt bisher zum Opfer, fünf Millionen Menschen wurden von ihrem Land vertrieben und leben als Binnenflüchtlinge in prekären Lebenssituationen – kaum eine Familie, die nicht Opfer zu beklagen hat und unter dem Konflikt leidet.

Um Einschätzungen zur politischen Situation und zu den Friedensverhandlungen in Kolumbien zu bekommen, hat die Fraktion DIE LINKE vier Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft aus dem von Krieg gebeutelten Land eingeladen.

Damit hat die Linksfraktion auch den Anspruch der kolumbianischen Zivilgesellschaft aufgegriffen, an dem Friedensprozess beteiligt zu werden. Denn Frieden heißt mehr als Waffenstillstand. „Der Frieden wird nicht verordnet, sondern muss mit der Zivilgesellschaft gebaut werden“, so Aidee Moreno, die Direktorin für Menschenrechte bei der Landarbeitergewerkschaft FENSUAGRO. Sie sprach eindringlich aus Sicht der Betroffenen über die Landfrage als Schlüssel für den Frieden. Viele ihrer Mitstreiter aus indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden wurden von Militär, Paramilitärs und Polizei ermordet und von ihrem Land vertrieben. Ihr Ehemann, ein Bruder und ihre Mutter wurden wegen ihrer gewerkschaftlichen und politischen Aktivitäten ermordet. Moreno kritisierte das Opfer- und Landgesetz sowie das Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden, die angeblich für die Opfer Fortschritte bringen sollten. „Diese Gesetze wurden ohne die Opfer gemacht und entschädigen sie nicht, sondern tragen zur Amnestie der Täter bei“, so Moreno. Was fehle, sei ein Prozess der Wahrheitsfindung, der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Versöhnung aus Sicht der Opfer.

Unterdessen nehme die paramilitärische Gewalt trotz des Friedensprozesses weiter zu, der Landraub gehe mit ungeminderter Geschwindigkeit weiter, die Zivilbevölkerung werde bedroht, um die Landrückgabe zu verhindern. Militärs bedrohten und beschatteten Menschen, multinationale Unternehmen nähmen das Land für die Rohstoffausbeutung an sich, Bergbau und Erdölförderung verschmutzten die Umwelt. Moreno sprach auch das Freihandelsabkommen der EU mit Kolumbien an, das in diesen Tagen im Europäischen Parlament und im nächsten Jahr auch im Bundestag ratifiziert werden soll. Moreno ist überzeugt, dass es weiterer Verdrängung Vorschub leisten wird.

Auch Alejandro Mantilla Quijano, Philosoph an der Universidad Javeriana in Bogota (Kolumbien) und Leiter nicht Leiter der Korporation für Bildung und Entwicklung des Nationalen Gewerkschaftsinstituts, zielte in seinem Vortrag auf die Landfrage als zentrale Konfliktursache ab. In Lateinamerika ist die Konzentration des Landbesitzes die höchste weltweit. Ein Prozent der Landbesitzer besitzen mehr als die Hälfte des Landes. Diese Konzentration wurde durch Gewalt erzielt. „Rosa Luxemburg sagte schon, dass Rendite und Reichtum durch Gewalt und Enteignung erreicht werden. Paramilitärs einzuschalten, ist einfacher, als Land legal zu erwerben“, erklärt der Dozent. Den sozialen Kern des Konflikts, Land und Gerechtigkeit, hob auch Raul Zelik, Schriftsteller und Professor für Politik an der Nationaluniversität Kolumbiens, hervor. Aber, so Zelik, gerade die sozialen Reformen stünden gar nicht auf der Agenda der Friedensverhandlungen. Realistisch sei lediglich, dass der soziale Konflikt entmilitarisiert werde, der Klassenkampf aber weitergehe.

Das grundlegende Problem des Friedensprozesses sei, dass weder die Regierung noch die FARC die Bevölkerung repräsentierten. Indigene, Studierende und soziale Bewegungen sind die wichtigen Stimmen in Kolumbien, so Zelik. Die Frage sei, wie diese anderen Stimmen in den Prozess einbezogen werden können.

Yezid Arteta Dávila war Mitglied der FARC und saß 1996 und 2006 im Gefängnis. Im Juli 2006 schwor er öffentlich dem bewaffneten Kampf als Mittel für politische Veränderungen ab und lebt seitdem im Ausland, wo er sich für die politische Lösung des Konfliktes in Kolumbien einsetzt. Er stellte dar, welche Vorbedingungen zur Aufnahme von Friedensverhandlungen geführt haben: Sowohl die FARC als auch die Zivilgesellschaft haben trotz der starken Repression des Staates ihren Widerstand beibehalten. Alle Seiten hätten schließlich eingesehen, dass auf dem Höhepunkt der militärischen Auseinandersetzung langfristig kein Sieg davongetragen werden kann.

Es bestünde allerdings angesichts des Drucks der extrem rechten Kräfte die Gefahr, dass der Friedensprozess scheitert. Arteta erinnerte an die drei vorhergegangenen Friedensprozesse, insbesondere an die 80er Jahre, als der Versuch, die Guerilla in das zivile politische Leben zu integrieren, in einem Blutbad endete. Damals wurden 5000 Mitglieder der linken Partei Union Patriotica von rechten Kräften ermordet.

Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, versicherte den kolumbianischen Gästen ihre Unterstützung und Solidarität. DIE LINKE wird weiter gegen die Freihandelspolitik der EU und zivil-militärische Strukturen unter dem Deckmantel der Entwicklungszusammenarbeit kämpfen. „Die Kolumbianerinnen und Kolumbianer brauchen Gerechtigkeit, um zu einem dauerhaften Frieden zu kommen. Wir werden den Prozess von hier aus unterstützen.“

linksfraktion.de, 21. Dezember 2012