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Fluchtursachen in Syrien bekämpfen, nicht Flüchtlinge!

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

 

Von Stefan Liebich, für DIE LINKE Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages

Am vergangenen Wochenende veröffentlichte eine Sonntagszeitung kurze Statements von einhundert mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten zum Umgang mit Flüchtlingen. Einer, der sich dabei etwas weitschauender äußerte, war der frühere Magdeburger Handballnationalspieler Stefan Kretzschmar. Er sagte: "Wir Deutschen sind ohne jeden Zweifel verpflichtet, Flüchtlingen zu helfen. Wenn Deutschland es als reichstes Land in Europa nicht schafft, wer sonst? Nach der Erstversorgung ist aber unsere Politik gefragt…"

Das gilt insbesondere für Syrien. In dem Bürgerkriegsland sind mittlerweile mehr als die Hälfte der 21 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner auf der Flucht. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zählt bereits über 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Weitere zwei Millionen Menschen haben sich jeweils in die Nachbarländer Libanon und Türkei geflüchtet, eine weitere Million Menschen nach Jordanien. Und ein Ende der Tragödie ist nicht in Sicht. Der ganze Nahe Osten erscheint als ein einziger Brandherd. Staaten wie Syrien, der Libanon oder Irak stehen vor ihrem Scheitern. Andere, wie Libyen oder Jemen, sind es bereits - mit ungeahnten internationalen Konsequenzen. Und der israelisch-palästinensische Konflikt ist von einer Lösung weiter entfernt als je zuvor. Ob die aktuelle politische Geografie, die von den ehemaligen Kolonialmächten dereinst geprägt wurde, noch eine Zukunft hat, ist offen.

Nach dem, was sich die verschieden Bevölkerungs- und Religionsgruppen angetan haben und noch immer antun, ist ein Zurück zu einem Syrien, wie es vor dem Krieg war, eine Illusion. Föderative Strukturen können - wenn sie vor Ort gewollt sind - eine Lösung sein. Eine umfassende kulturelle Autonomie, die sich durch starken gegenseitigen Respekt auszeichnet, könnte ein neuer Ausgangspunkt für eine mittel- bis langfristige Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse sein. Doch selbst die Konturen des Wegs dorthin erscheinen nur sehr verschwommen.

Fakt ist, dass es für eine solche Lösung einer breiten internationalen Kooperation bedarf. Nicht nur die arabischen Staaten, sondern auch die Türkei, der Iran und Israel, müssen sich an dieser Zukunftsgestaltung im Einvernehmen beteiligen. Das zu organisieren, ist auch die gemeinsame Verantwortung der USA, der EU und selbstverständlich Russlands. Kleinster gemeinsamer Nenner könnte zunächst der Kampf gegen den "Islamischen Staat" sein, ein Terrorregime, das versucht, mit ungeheurer Brutalität sein System in weiten Teilen Syriens, des Iraks und darüber hinaus zu etablieren.

Nach der Einigung im Atomstreit mit dem Iran, die nur möglich war, weil die USA, die EU, China und Russland an einem Strang gezogen haben, steht die Frage im Raum, ob der hier gezeigte Wille zur Kooperation eben nicht auch auf andere Konflikte in der Region zu übertragen wäre. Russlands Sorge, dass ein spontaner Zusammenbruch des gegenwärtigen Regimes in Syrien eine weitere, für alle Nachbarländer gefährliche Destabilisierung des Nahen Ostens zur Folge haben könnte, ist nachvollziehbar. Auf der anderen Seite halte ich es für einen Fehler, die Zukunft Syriens an Assad zu binden.

Ein wichtiger Beitrag für den Frieden im Nahen Osten - Voraussetzung dafür, dass alle Flüchtlinge, die dies wollen, in ihre Heimat zurückkehren können - ist der Verzicht auf jegliche Waffenexporte in die Region durch die USA, Russland, die EU und damit auch durch Deutschland. Gebraucht werden eine nicht von Eigennutz geprägte wirtschaftliche Unterstützung und Diplomatie. Oder wie es der eingangs zitierte Handballspieler Stefan Kretzschmar auch sagte: Die Politik „muss sich vor Ort für Frieden einsetzen, Waffenlieferungen stoppen und humanitäre Hilfsprojekte starten”.