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Falscher Traum von der Leitwährung

Im Wortlaut von Alexander Ulrich,

Ohne eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik kann der Euro die Rolle eines globalen Währungsankers nicht ausfüllen

Eine Debatte über die europäische Währungspolitik ist überfällig. Insofern ist es gut, dass der stellvertretende FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle die Diskussion kürzlich an dieser Stelle eröffnet hat (FTD vom 11. August). Brüderles Forderung nach einer Leitwährungsstrategie für Europa ist aber falsch und ignoriert die gewaltige Hindernisse, gerade in Deutschland. Die Euro-Zone verweigert bislang Verantwortung für die Weltwirtschaft und die globale Währungsordnung. Sie missachtet selbst die Ungleichgewichte vor der eigenen Haustür.

Eine Wechselkurspolitik erfordert institutionelle Reformen der Euro-Zone. Bislang leugnet die Europäische Zentralbank (EZB) jeglichen Einfluss der Wechselkurse auf ihre geldpolitische Strategie. Würde die EZB diesen Zusammenhang bejahen, könnte sie nicht mehr schlüssig begründen, weshalb sie noch zu Beginn der Wirtschaftskrise im vergangenen Sommer bei fallendem Dollar-Kurs Zinssenkungen vermied.

Erforderlich ist daher eine demokratische Kontrolle der Zentralbank. Der häufig genannte Einwand, dies öffne der Inflation Tür und Tor, ist unbegründet. Die Preisentwicklung der vergangenen Jahre auf den Immobilien-, Rohstoff- und Lebensmittelmärkten lässt sich durch eine Zentralbank nicht beeinflussen. Im Gegenteil: Höhere Zinsen hätten Finanz- und Vermögensanlagen gegenüber Investitionen in die Realwirtschaft gefördert. Japan etwa war trotz einer Niedrigzinspolitik von keiner vergleichbaren Immobilienblase betroffen. Tatsächlich lassen sich Vermögensblasen nur durch die Regulierung der Finanzmärkte bekämpfen. Die Zentralbank hingegen muss Wachstum und Lohnentwicklung unterstützen, damit der Finanzsektor wieder seiner Aufgabe gerecht wird: der Finanzierung von Investitionen in die Realwirtschaft statt der Spekulation.

Für die Wechselkurspolitik ist gemäß den europäischen Verträgen der Ministerrat für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin) zuständig. Doch ausgerechnet die erforderliche stärkere Koordination der Wirtschaftspolitik der Euro-Zone scheitert regelmäßig an Deutschland. Hintergrund der deutschen Ablehnung aller Schritte in Richtung einer europäischen Wirtschaftsregierung ist, dass die Bundesregierung dann gezwungen wäre, durch konjunkturelle Maßnahmen das Wachstum und die Lohnpolitik zu unterstützen. Denn die sinkenden Reallöhne in Deutschland erschweren eine einheitliche Geldpolitik in Europa und führen dazu, dass Deutschland auf Kosten seiner Nachbarn lebt.

Die unterschiedliche Lohn- und Preisentwicklung in den einzelnen Euro-Staaten führt zu unterschiedlichen Realzinsen. Der Zinsvorteil der Länder mit höheren Inflationsraten existiert jedoch nur kurzfristig. Der Wettbewerbsnachteil wird selbst im Falle einer Annäherung der Preisentwicklung mitgeschleppt. Wenn Deutschland weiter eine Politik der Lohnzurückhaltung verfolgt, müssen spanische oder irische Arbeitnehmer Lohnabschlüsse weit unter der Produktivitätsentwicklung hinnehmen - oder Berlin muss diese Länder nach dem Vorbild der innerdeutschen Währungsunion mithilfe von Strukturfördermitteln finanzieren. Die Rechnung zahlen wieder die Arbeitnehmer mit einer überdurchschnittlichen Steuerbelastung.

Der Merkantilismus der Bundesregierung untergräbt auch ein niedriges Zinsniveau der EU-Partner und gefährdet damit das gesamte Projekt der Wirtschafts- und Währungsunion. Dies hat unabsehbare politische Konsequenzen: Länder wie Spanien mit einer moderaten öffentlichen Verschuldung mussten im Verlauf der Krise kräftige Zinsaufschläge auf Staatsanleihen hinnehmen, da ihre Leistungsbilanz durch die deutschen Exporte getrübt wurde und sich die Bundesregierung gegen die Auflage europäischer Staatsanleihen (Euro-Bonds) sperrte.

Ein Währungsraum ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik taugt daher kaum zum globalen Währungsanker. Eine Leitwährungspolitik würde auch voraussetzen, dass die EZB die Rolle als „lender of last resort“ akzeptiert und die Wirtschaft nach dem Vorbild der USA stimuliert. Dies wäre aber mit der auf den Export ausgerichteten Strategie der Bundesregierung nicht vereinbar.

Ein Kurswechsel ist zwingend geboten: Das deutsche Lohndumping ist nicht nur wachstumsfeindlich, sondern auch eine wichtige Ursache der globalen Ungleichgewichte. Wenn Arbeitnehmer kein Geld in die Geschäfte bringen, werden Unternehmen nicht investieren und Banken das Kapital ins Kasino tragen. Für die fehlende Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen haften dann die amerikanischen Verbraucher mit Konsumentenkrediten.

Die Verringerung der globalen Ungleichgewichte lässt sich indes mit einer Leitwährungspolitik nicht erreichen. Das Dollarprivileg würde nur auf die Euro-Zone übergehen. Eine neue globale Währungsordnung erfordert daher eine unabhängige Reservewährung nach dem Vorbild der International Clearing Union (ICU) von John Maynard Keynes oder die von China und Russland angeregte Ausweitung der Sonderziehungsrechte als künstliche Währung. Und Länder mit Exportüberschüssen müssen ihren Beitrag zum Abbau der globalen Ungleichgewichte leisten.

Ein erster Schritt wären Wechselkurszielzonen, die eine kontrollierte, aber flexible Anpassung der Wechselkurse zwischen den wichtigsten Währungen ermöglichen. Der Kapitalverkehr muss darüber hinaus entsprechend der erfolgreichen Praxis in Schwellenländern wie Chile oder China stärker reguliert werden. Ohne Kapitalverkehrskontrollen entscheiden Finanzinvestoren über die Währungspolitik, nicht Zentralbanken oder Finanzminister.

Von Jürgen Klute und Alexander Ulrich

Financial Times Deutschland, 20. August 2009