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»Europäisierung der Afrika-Politik«

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Der Machtkampf in der EU wird bereits in der Sahara ausgetragen

Von Sevim Dagdelen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE




Als Verteidigungsminister de Maizière am 17. März die senegalesische Hauptstadt Dakar besucht hatte, war Frankreich im Norden Malis bereits seit über zwei Monaten dabei, mit Drohnen, Kampfjets und Fremdenlegionären „Terroristen“ zu bekämpfen – das heißt: mutmaßliche Terroristen zu hunderten zu töten und in unbekannter Zahl in die Wüste zu treiben. Auch die Bundeswehr war bereits seit fast einem Monat an diesem Krieg beteiligt. Die Transall-Transporter, die am 20. Februar mit Besatzung nach Mali verlegt wurden, hatten bereits über 500 Flugstunden hinter sich, angeblich 700 Soldaten für die AFISMA-Truppe aus den Nachbarstaaten eingeflogen und 420 Tonnen Material für den Kampfeinsatz transportiert. Deutsche Tankflugzeuge vom Typ Luftwaffen-Airbus waren zu diesem Zeitpunkt bereits 56 Stunden zur Betankung der französischen Kampfjets in der Luft und leisteten damit unmittelbare Beihilfe zur Bombardierung von Bodenzielen in Mali. Interessant in diesem Zusammenhang: Am selben Tag, als de Maizière in Dakar ankam, wurde in Deutschland bekannt, dass die Bundeswehr in Afghanistan seit dem Jahr 2009 Drohnenangriffe gegen Aufständische anfordert und damit auch dort unmittelbar in die Praxis vermeintlich gezielter Tötungen aus der Luft beteiligt ist.

Das Mandat für den Einsatz der Bundeswehr in Mali und damit eigentlich in ganz Westafrika wurde jedoch erst am 28. Februar im Bundestag verabschiedet, als die Transalls längst im Einsatz waren und knapp 100 Bundeswehrsoldaten bereits jenen Luftwaffenstützpunkt in Senegal aufgebaut hatten, den der Verteidigungsminister gut zwei Wochen später besuchte. Voraussetzung für diese schnelle und reibungslose Stationierung war die bereits seit Jahrzehnten andauernde Militärkooperation zwischen Deutschland und dem Senegal, in deren Rahmen die senegalesische Armee kostenlos Militärmaterial erhält. Eine Beratergruppe der Bundeswehr ist fast durchgehend vor Ort. Eine vergleichbare Zusammenarbeit bestand ebenfalls seit Jahren mit Mali und wurde 2012 unmittelbar vor Beginn der aktuellen Krise um weitere vier Jahre verlängert. Die Bundeswehr war damit am Aufbau jener Armee beteiligt, die mit ihrem Putsch im März des vergangenen Jahres die aktuelle Krise mit ausgelöst hat. Dieser Armee werden im Zusammenhang mit dem französischen Vormarsch schwere Verbrechen gegen Teile der Zivilbevölkerung vorgeworfen werden, die wegen ihrer Hautfarbe der Kollaboration mit den „Terroristen“ verdächtigt werden.

Deutsches Einsatzgebiet = ein Drittel Afrikas

Nun soll auch diese Ausbildungshilfe in einen europäischen Militäreinsatz überführt und beträchtlich ausgeweitet werden. Ebenfalls am 28. Februar segneten die Regierungsfraktionen im Bundestag mit fast einhelliger Unterstützung der Oppositionsparteien SPD und Bündnis90/Die Grünen hierfür die Entsendung von 180 Bundeswehrsoldaten ab – nicht nur zur Ausbildung, sondern auch mit den Zielsetzungen Aufklärung, Logistik zur sanitätsdienstlichen Versorgung und „Schutz“. Die malischen Soldaten sollen von dem insgesamt etwa 500 Soldaten umfassenden Einsatz „EUTM Mali“ für den Einsatz „fit gemacht“, im Einsatz koordiniert und im Falle der Verwundung wieder aufgepäppelt werden. Gemeinsam mit den 150 Bundeswehrkräften für Lufttransport und Luftbetankung werden also rund 330 Soldaten der Bundeswehr am Krieg in Mali beteiligt sein – und über Mali hinaus, denn das Mandat umfasst alle „Truppenstellerstaaten der AFISMA sowie etwaigen Transit- und Anrainerstaaten“. Das so umrissene Gebiet beschreibt ein gutes Drittel des afrikanischen Kontinents. Bemerkenswert an den Mandaten ist im Übrigen, dass sie von ihrer Formulierung her primär auf die Unterstützung des AFISMA-Einsatzes, formal geführt von der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, ausgerichtet sind, obwohl sie in der Praxis – erinnert sei nur an die Luftbetankung – ganz konkret die französische Intervention unterstützen. Damit kommt zum Ausdruck, das die Bundesregierung der zutreffenden Überzeugung ist, dass es zwar für den AFISMA-Einsatz, insoweit dieser tatsächlich unter Führung der ECOWAS steht, ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gibt, dass die völkerrechtliche Grundlage für die französische Intervention hingegen mehr als dünn ist. Sie wird einerseits über ein Hilfsersuchen der malischen „Regierung“ konstruiert, die jedoch von der ECOWAS eingesetzt wurde und zu diesem Zeitpunkt weder über faktische Kontrolle noch über irgendeine Form von demokratischer Legitimität verfügte. Andererseits wird die völkerrechtliche Grundlage darüber herbeiphantasiert, dass die französische Intervention den AFISMA-Einsatz „unterstützen“ würde, obgleich sie vor dem AFISMAEinsatz begonnen und erst die Rahmenbedingungen für diesen geschaffen hat. Hieran zeigt sich sehr deutlich, was mit dem geflügelten Ausdruck gemeint ist, dem Einsatz „ein afrikanisches Gesicht“ geben zu wollen – analog dazu, wie man dem ISAF-Einsatz in Afghanistan ein „afghanisches Gesicht“ geben will. Die afrikanischen Soldaten werden damit nicht nur als Kanonenfutter an der Front missbraucht. Sie sollen zugleich kaschieren, dass es sich letztlich um einen von der ehemaligen Kolonialmacht geführten europäischen Krieg zur Kontrolle einer geopolitisch immer wichtiger werdenden und rohstoffreichen Region handelt. Die für die Uranversorgung ungemein wichtigen Uranminen im Niger etwa werden seit Beginn der französischen Intervention beispielsweise wie viele andere französische Einrichtungen und Unternehmen direkt von französischen Soldaten gesichert (siehe Kasten). Die USA nutzten die Situation, um im Niger ihre zweite Drohnenbasis auf dem afrikanischen Kontinent nach Djibouti einzurichten.

Unterschiedliche und widersprüchliche Interessen

Es ist dabei allerdings keinesfalls so, dass alle, die sich in der Region „engagieren“, ein gemeinsames Interesse hätten. Letztlich geht es z.B. vielen afrikanischen Staaten darum, Kosten für den Unterhalt ihres Militärs über ihre Beteiligung am Einsatz – die ja von der EU finanziert wird – auszulagern, also: ihre Kriegskasse aufzufüllen. Außerdem können sie über
eine Beteiligung am europäischen „Krieg gegen den Terror“ in Mali von eigenen Menschenrechtsverletzungen ablenken und sich von einer Kritik westlicher Staaten hieran freikaufen. Die USA hingegen nutzen den nun im Sahel ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“, um ihre Präsenz in Afrika weiter auszubauen – ein Ansinnen, das durch die Gründung und die bisherigen Aktivitäten des US-Oberkommandos für Afrika (AfriCom) deutlich zum Ausdruck kommt, das u.a. das Ziel formulierte, in ganz Afrika über getarnte Stützpunkte im Umfeld ziviler Flughäfen eine flächendeckende Aufklärung durch Drohnen und kleine bemannte Spionageflugzeuge aufzubauen. Die USA verfolgen dabei andere Ziele und arbeiten mit anderen Akteuren zusammen, als Frankreich und die EU. In Mali hatten sie zum Beispiel Truppen in der Terrorismusbekämpfung ausgebildet, die sich vergangenes Jahr mehrheitlich denjenigen angeschlossen haben, die nun durch Frankreich bekämpft werden. Starke Kräfte in Frankreich hingegen liebäugeln trotz ihrer gegenwärtigen Beteiligung an der „Rückeroberung des Nordens“ bis heute damit, einen hochgradig militarisierten und abhängigen Tuareg-Staat in der Sahara entstehen zu lassen, von dem aus sie die gesamte Region kontrollieren könnten.

Deutschland wiederum ist grundsätzlich daran interessiert, die Präsenz und Sichtbarkeit der Europäischen Union in Nord- und Westafrika zu verstärken und zugleich die Integration der gemeinsamen Europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch gemeinsame Einsätze voranzutreiben. Die Regierung in Berlin ist dabei auch bereit, eine starke Rolle Frankreichs und sogar eine gewisse Instrumentalisierung durch Frankreich zu dulden, will Paris dabei aber nicht alleine das Feld überlassen. Eine französischbritische Führung, wie sie sich bei der Libyen-Intervention angedeutet hatte, soll unbedingt verhindert werden. Entsprechend spielte auch die „Rolle Deutschlands in der EU“ eine bemerkenswerte, oder besser: entlarvend wichtige Funktion in der Bundestagsdebatte zur deutschen Beteiligung am Krieg in Mali: Der CDUBundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff etwa sprach aus diesem Anlass von der Notwendigkeit, „aktive Schritte in Richtung einer Vertiefung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit und der militärischen Integration“ zu gehen, wozu, „auch unsere deutsche Bereitschaft, solche europäischen Sicherheitskräfte in den Einsatz zu schicken“ zähle. Sein FDP-Kollege Rainer Stinner argumentierte, „dass Deutschland, (als) das große, wichtige europäische Land“ bei solch einem Einsatz „nicht fehlen“ dürfe. Auch Kerstin Müller von den Grünen blies ins selbe Horn, als sie sagte, es sei „in unserem außen- und sicherheitspolitischen Interesse und auch im Interesse der EU, die Afrika-Politik generell zu europäisieren“. Sie fügte hinzu „Europäisierung der Afrika-Politik – da müssen wir ehrlich sein – heißt mehr Verantwortung für Europa, und es wird auch mehr Verantwortung für Deutschland heißen.“

Wir brauchen hier „Verantwortung“ nur durch „Macht“ ersetzen. Dann wissen wir, worum es beim Krieg in Mali wirklich geht: Um die Machtverteilung in Europa – auch vor dem Hintergrund der Konflikte um die Eurokrise. Dieser Machtkampf wird in der Sahara auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen.

Zeitung gegen den Krieg, 21. März 3013