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Europa anders machen – aber wie?

Kolumne von Andrej Hunko,


Von Andrej Hunko, Sprecher für Europapolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Das jüngste Votum der Britinnen und Briten für den Austritt aus der Europäischen Union hat einmal mehr die verbreitete Unzufriedenheit mit der EU offenbart. DIE LINKE kämpft seit Langem für einen Neustart der EU. Doch was müsste sich ändern, damit sie sozialer, demokratischer und friedlicher wird? Eine Kursumkehr in den folgenden fünf Bereichen könnte ein erster Schritt sein:

Erstens bedarf es eines EU-weiten Sofortprogramms zur Beendigung der Austeritätspolitik: Öffentliche Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe sind vonnöten, um leistungsfähige öffentliche Infrastruktur und Daseinsvorsorge zu schaffen und zu erhalten sowie die enorme Erwerbslosigkeit und die wachsende Armut vor allem in den südlichen Ländern der EU zu bekämpfen. Zur Finanzierung bedarf es einer koordinierten stärkeren Besteuerung von Spitzeneinkommen, Vermögen und Kapitalerträgen. Um die Staaten handlungsfähig zu machen, bedarf es einer einmaligen EU-weiten Vermögensabgabe für Superreiche (ab eine Million Euro). Die Staatsfinanzierung muss vom Diktat der Finanzmärkte befreit werden, indem die EZB demokratisch kontrolliert und dazu befähigt wird, Kredite an Staaten zu vergeben.

Zweitens müssen dringend die Konstruktionsfehler der Eurozone durch eine Reform der Wirtschafts- und Währungsunion behoben werden. Denn das Problem ist, dass es mit dem Euro zwar eine gemeinsame Währung gibt, dass in vielen Bereichen aber der Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten negative Effekte hat. Durch EU-weite wirtschafts-, fiskal- und sozialpolitische Koordinierung, beispielsweise in Form von Mindeststeuersätzen für Unternehmen, eine Finanztransaktionssteuer, Mindestlöhne und das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ im Binnenmarkt (Bestimmungslandprinzip). Durch die Abstimmung der Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik der EU-Mitgliedstaaten kann die Dumping-Konkurrenz unterbunden werden, wenn der politische Wille dafür besteht. Handels- und Investitionsabkommen wie TTIP, CETA und TISA müssen gestoppt werden.

Drittens bedarf es einer umfassenden Demokratisierung der EU-Institutionen. Eine wesentliche Ursache der Entfremdung vieler Menschen von der EU ist die mangelnde demokratische Legitimation vieler ihrer Institutionen und vor allem der EU-Kommission. Das Europäische Parlament muss zu einem wirklichen Parlament mit Initiativrecht werden und gleichberechtigt mit dem Rat entscheiden. Darüber hinaus sollten direktdemokratische Elemente wie EU-weite Volksentscheide eingeführt werden. Nicht zuletzt muss der Lobbyismus eng begrenzt, strikt kontrolliert und transparent gestaltet werden.

Viertens kommt es darauf an, die EU zu einer Friedensunion zu machen – nach innen wie nach außen. Der Verzicht auf Militäreinsätze, ein EU-weites Verbot von Rüstungsexporten und eine drastische Reduzierung der Rüstungsausgaben wären klare Zeichen in diese Richtung. Die vertraglichen Grundlagen der EU verpflichten die Mitgliedstaaten hingegen zur Aufrüstung. Und im Rahmen der „globalen Strategie der EU“ wird die Militarisierung noch beschleunigt. Hier bedarf es einer Kursumkehr. Zu einer friedlichen Außenpolitik gehört auch eine gerechte und auf Kooperation ausgerichtete Handelspolitik.

Fünftens müssen viele falsche Festlegungen in den Grundlagenverträgen der EU korrigiert werden. Diese legen die Mitgliedstaaten in vielen Fällen auf die oben dargestellte neoliberale und unsoziale Politik fest. Ein wirklicher Neustart der EU könnte über einen Konvent aus Vertreterinnen und Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission sowie unter breiter Beteiligung gesellschaftlicher Kräfte in allen Mitgliedstaaten geschehen. Für ein „Weiter so“ ist kein Platz; entweder die Europäische Union verändert sich grundlegend, oder sie wird auseinanderbrechen.


linksfraktion.de, 5. Juli 2016