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ESM und Eurokrise - Fragen und Antworten

Im Wortlaut von Axel Troost,

Ende März hat der Bundestag über den neuen Rettungsfonds ESM gestritten, der ab Juli die Eurokrise eindämmen soll. Doch was ist der ESM eigentlich, wie funktioniert er, wer gibt das Geld und wer bekommt es? Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher, gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus und zur Eurokrise. 

Was ist der ESM?

Axel Troost: Der ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) ist die permanente Fortführung des Euro-Rettungsschirms. Bisher haben die Krisenstaaten Notkredite aus einem besonderen Fonds erhalten, dem EFSF. Dieser Fonds ist aber befristet und kann ab Juli 2013 keine neuen Mittel mehr vergeben. Staaten der Währungsunion können sich zukünftig beim ESM Geld zu akzeptablen Zinsen leihen, müssen sich aber im Gegenzug strengen Auflagen unterwerfen.

Der Rettungsschirm ESM soll entgegen aller Versprechen der Regierung nun doch aufgestockt werden. Wie sieht die neue Konstruktion aus?



Der ESM sollte ursprünglich im Juli 2012 den EFSF vollständig ablösen und war bisher auf 500 Milliarden Euro ausgelegt. ESM und EFSF werden nun ein Jahr lang parallel zueinander existieren. Zusammen werden sie nicht 500 Milliarden Euro, sondern 700 Milliarden Euro vergeben können. Damit die Summe noch größer wirkt, haben die europäischen Finanzminister noch weitere bisherige Hilfen hinzugerechnet: Damit kommen sie auf 800 Milliarden Euro (wovon allerdings bereits 300 Milliarden Euro vergeben wurden). In Dollar sind diese 800 Milliarden Euro mehr als eine Billion, was Symbolkraft haben soll.

Diese Vernebelung hat Methode: Tatsächlich sind sich die Regierungen der Eurozone sehr uneins über die Krisenpolitik. Nun kann jede Regierung zu Hause erzählen, sie hätte sich mit den eigenen Positionen durchgesetzt und dafür die passenden Zahlen zitieren.


Woher kommt das Geld?

Die Eurostaaten zahlen 80 Milliarden Euro direkt in den ESM ein. Weitere 620 Milliarden Euro sollen abrufbar sein. Der Fonds ist dadurch mit 700 Milliarden Euro gedeckt, kann aber nur 500 Milliarden Euro vergeben. Diese Überdeckung soll dem Fonds das bestmögliche Rating verschaffen, damit er billiger Geld bei Investoren einsammeln und an Krisenstaaten weitergeben kann. Deutschland ist beim ESM mit 22 Milliarden Euro an den Bareinlagen und mit 168 Milliarden Euro am abrufbaren Kapital beteiligt.

Der ESM wird als "Brandmauer" bezeichnet, um Spekulation abwehren zu können. Wie geht das?


Staaten finanzieren sich über die Kapitalmärkte – etwa indem sie Staatsanleihen auflegen. Deren Konditionen müssen aber die Käufer zufrieden stellen. Anleihen europäischer Staaten galten lange Zeit als unbedenklich und konnten zu niedrigen Zinsen auf den Markt geworfen werden. Nach Ausbruch der Finanzkrise hat sich das geändert – die Finanzmärkte spekulieren nun auf Staatspleiten. Sie tun dies passiv, indem sie "per Käuferstreik" einfach keine Anleihen der betreffenden Staaten mehr kaufen, oder aktiv, indem sie mit Kreditausfallversicherungen oder Leerverkäufen auf eine Staatspleite wetten. Für orthodoxe Marktwirtschaftler ist dies eine prima Sache, weil die Finanzmärkte die Staaten disziplinieren sollen. De facto liegen die Finanzmärkte mit ihren Urteilen aber regelmäßig daneben und erkennen Entwicklungen viel zu spät. Solange ihre Zinsforderungen zu niedrig sind, ist das gut für die Staaten. Sind sie zu hoch, kann das katastrophal enden: Strafzinsen machen aus wirtschaftlich angeschlagenen Staaten sehr schnell bankrotte Staaten.

Die Staaten, welche im "Feuer" der Finanzmärkte stehen, erhalten auf eigenen Antrag Finanzhilfen vom ESM. Die Finanzhilfen belasten dann jedoch die Geberstaaten. Zugleich drückt die Krise ein generelles Misstrauen in die Währungsunion aus. Eine Brandmauer muss unmissverständlich klarstellen, dass die Staaten der Eurozone füreinander einstehen und entzieht damit Spekulationen auf weitere Staatspleiten den Nährboden. Dazu muss die Mauer hoch genug sein: Spekulanten, die auf die Pleite von Spanien oder Italien setzen, überzeugen auch 500 Mrd. Euro nicht. Daher rührt die Forderung, den ESM auf eine Billion oder mehr aufzustocken. Eurobonds oder Interventionen der Zentralbank wären allerdings noch sehr viel wirkungsvollere Brandmauern.

Wer bekommt Geld aus dem ESM und warum?

Ein Staat bekommt Kredite aus dem ESM nur auf Antrag und unter strengen Auflagen. Mit den Auflagen soll der Staat sicherstellen, dass er mittelfristig seinen Schuldendienst in den Griff bekommt. Das klingt erstmal vernünftig. In der Praxis sind die Auflagen aber so konstruiert, dass die Staaten ihre Wirtschaft abwürgen, öffentliches Eigentum verramschen und durch Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialausgaben große Teile der Bevölkerung ins Elend stürzen. Das ist aber nichts neues: Die Folgen einer solchen "Austeritätspolitik" sind aus früheren Finanzkrisen hinlänglich bekannt. Sie schadet nicht nur den Schuldnern, sondern auch den Gläubigern. Trotzdem ist diese Politik populär. Dies liegt an ideologischen Denkblockaden, die wiederum darauf zurückgehen, dass sich die zugrundeliegenden Grundprinzipen (schlanker Staat, freier Wettbewerb) wunderbar von tonangebenden Kreisen instrumentalisieren lassen.

Welche Rolle spielt dabei der Fiskalpakt?

Zu den Auflagen des ESM gehört auch die Aufnahme einer Schuldenbremse in nationales Recht, was bis März 2013 geschehen muss. Im Detail regelt dies der Fiskalpakt, der Bestandteil des Fiskalvertrags ist und zusammen mit dem ESM im Bundestag beraten wurde. Laut Fiskalpakt müssen die teilnehmenden Staaten jedes Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und darüber hinaus Staatsschulden abbauen, die über 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts hinausgehen. Dies hat jedoch zur Folge, dass nun ganz Europa einen extremen Sparkurs fahren muss. Wenn aber alle den Gürtel enger schnallen, geht der Wirtschaft die Luft aus. Dadurch droht europaweit eine Rezession – mit entsprechender Wirkung etwa auf Arbeitslosigkeit und öffentliche Finanzen.

Auf welches Szenario müssen sich die Menschen in Deutschland einstellen, wenn der Haftungsfall eintritt?

Die Nationalstaaten der Eurozone können weder auf eine eigene Zentralbank als "Kreditgeber der letzten Instanz" zurückgreifen noch Wechselkurspolitik betreiben. Das macht eine koordinierte Wirtschaftspolitik erforderlich. Alternativen wären eine Transferunion oder das Risiko von regelmäßigen Staatspleiten.


Eine Staatspleite wird natürlich teuer, egal ob mit oder ohne ESM. Aber ich warne vor Alarmismus: Die Eurostaaten haben es in der Hand, den Haftungsfall zu verhindern. Dies ginge über die Europäische Zentralbank oder neue Finanzhilfen. Die Eurostaaten können auch ihre Steuereinnahmen deutlich verbessern: Durch eine Vermögensabgabe oder -steuer, eine Finanztransaktionssteuer, höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften und Maßnahmen gegen Steuerflucht und -hinterziehung. Das scheiterte bisher am fehlenden Willen der einzelnen Regierungen und am politisch gewollten Steuerwettbewerb zwischen den Staaten der EU.

Selbst wenn es zu einer Staatspleite käme, bedeutet das noch keinen Super-GAU für den Steuerzahler. Griechenland hat den privaten Gläubigern einen Verzicht von etwa 100 Milliarden Euro abgerungen – die von der Europäischen Zentralbank aufgekauften Forderungen oder die Forderungen des Rettungsschirms blieben dabei aber unangetastet.

Damit die Krisenstaaten finanziell wieder auf die Beine kommen, muss die Eurozone eine koordinierte und solidarische Wirtschaftspolitik betreiben und die Defizite der Währungsunion beheben. Solange sich die Staaten in Europa gegenseitig in die Pleite konkurrieren, ist die gemeinsame Haftung unverantwortlich. Das ist ein Grund für unsere Ablehnung des ESM.

Was geschieht, wenn der ESM in einigen europäischen Ländern nicht ratifiziert wird?

Der ESM tritt in Kraft, sobald er von Euro-Ländern ratifiziert worden ist, die zusammen mindestens 90 Prozent der Kapitalzusagen gegeben haben. Sind es weniger, kommt der Vertrag nicht zustande. Dann müsste eine neue Lösung her. Griechenland, Portugal und Irland hätten einstweilen weiter Zugriff auf die Mittel des EFSF. Auf kurzfristige Entwicklungen müsste ad hoc auf Krisengipfeln reagiert werden – die haben sich ja inzwischen fast schon als dauerhafte Einrichtung etabliert…


Warum lehnt DIE LINKE den ESM und den Fiskalpakt ab?


Wir lehnen ESM und Fiskalpakt aus folgenden Gründen ab:

  • ESM und Fiskalpakt sind zentrale Elemente einer Rettungsstrategie, die Europa durch einen strikten Sparkurs aus der Krise führen will. Dieser trifft die Bevölkerung in den Krisenstaaten extrem hart. Wegen der wirtschaftlichen Schocks können die Staaten ihre Sparvorgaben aber trotzdem nicht erfüllen. Die Wirksamkeit der Maßnahmen steht also in keinem Verhältnis zu den sozialen Folgen.
  • Schuldenbremsen verbieten zukunftsträchtige Investitionen und aktive Konjunkturpolitik. Wenn man sie deswegen flexibler gestaltet, lassen sie sich unterlaufen. Sie sind daher schädlich oder bestenfalls nutzlos. Fast alle europäischen Staaten haben Haushaltsdefizite. Sie sollen jetzt nicht nur sparen, sondern zusätzlich noch Altschulden tilgen. Die dazu notwendigen Sparorgien werden Europa noch weiter in die Rezession treiben.
  • Große Vermögen, Einkommen und Unternehmensgewinne werden weiterhin unzureichend besteuert oder vor dem Fiskus versteckt. Selbst unter akutem Finanzbedarf wird dieser jahrelange Missstand nicht angegangen. In der Rettungsstrategie kommt Umverteilung nicht vor - zumindest nicht von oben nach unten.
  • Die Währungsunion steckt in einer tiefen Krise. Die auseinanderdriftende wirtschaftliche Entwicklung der Mitgliedstaaten wurde jahrelang verharmlost. Mit seinen extremen Überschüssen in der Leistungsbilanz, die sich letztendlich in Krisen auflösen müssen, verfolgt auch Deutschland kein nachhaltiges Wirtschaftsmodell. Von einer koordinierten und solidarischen Wirtschaftspolitik ist in der Währungsunion aber wenig zu sehen.
  • Europaparlament und nationale Parlamente waren bei den Verhandlungen zum ESM und Fiskalpakt nur schwach beteiligt. Die wesentlichen Entscheidungen wurden unter den Regierungen ausgemacht. Das Budgetrecht der Parlamente wird durch EMS und Fiskalpakt noch weiter eingeschränkt, in den Krisenstaaten regelrecht ausgehebelt. Das ist verfassungswidrig und beschädigt die Demokratie und den Zusammenhalt in Europa.


linksfraktion.de, 4. April 2012