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Es gibt wieder eine echte Opposition und echte Auseinandersetzungen

Im Wortlaut von Ulrich Maurer,

Ulrich Maurer am 30.09.2005 im Tagesgespräch mit SWR 2 über Geschlechterkriege, Abwerbungsversuche und das 100-Tage-Programm.

Am Rande von Berlin kommt Ihre Fraktion heute zu einer Wochenend-Klausur zusammen, in deren Verlauf wichtige Wahlen anstehen. Es geht um die Stellvertreter und parlamentarischen Geschäftsführer unter der schon gewählten Doppelspitze Gysi und Lafontaine. Aber es geht auch um den Kandidaten oder die Kandidatin für das Amt eines Bundestagsvizepräsidenten. Im Vorfeld haben einige Frauen in Ihrer Fraktion vor einem Männerdurchmarsch gewarnt. Müssen wir mit einem kleinen Geschlechterkrieg rechnen?

Ulrich Maurer: Nein, ich glaube das nicht. Wir werden heute endgültig festlegen, dass wir eine Quote von 50 Prozent haben in den Führungsgremien, das entspricht auch dem Ergebnis der Wahlen in unserer Fraktion. Wir haben nämlich genau gleich viele Frauen und Männer in der Fraktion. Und die Frauen werden deswegen auch zu 50 Prozent in der Fraktionsspitze vertreten sein.

Für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten will Links-Parteichef Bisky antreten, aber offenbar hat Interesse daran ja auch Frau Lötzsch, die zusammen mit Petra Pau in den letzten Jahren sozusagen am PDS-Katzentisch des Bundestages durchhalten musste. Bisky oder Lötzsch - wer von beiden sollten im Zweifel Parlamentsvize werden, nach Ihrem Empfinden?

Ich habe großen Respekt für das, was die beiden, Frau Pau und Frau Lötzsch, geleistet haben. Das war sehr hart im Bundestag. Auf der anderen Seite, denke ich, ist Lothar Bisky ein ganz herausragender Repräsentant der Linkspartei, der in schweren Zeiten deren Schiff da gesteuert hat. Ich bin mir gar nicht sicher, ob es da heute wirklich zu einem Konflikt kommen wird. Es hat da, wenn ich das richtig höre, konsensuale Bemühungen gegeben in den letzten Tagen. Lassen Sie es uns mal abwarten.

Sie selbst, so heißt es, sind ja als parlamentarischer Geschäftsführer im Gespräch. Das ist ja nun ein Amt, das sehr stark lebt von der Kontaktpflege zu den anderen Fraktionen. Ich stelle mir diesen Kontakt zur SPD, vor allem auch von der SPD zu Ihnen hin nicht geschäftsmäßig genug vor nach Ihrer sozialdemokratischen Biografie. Müssen Sie da nicht eher mit unnötigen Reibungsverlusten rechnen?

Nun gut. Also, erstens besteht das Parlament nicht nur aus Schröders Mannen. Und meine Meinung ist ohnehin, dass Schröder seit dem Wahlsonntag Geschichte ist, auch wenn er da selber in allen möglichen Eskapaden das nicht so sehen will. Aber auch was die Sozialdemokraten angeht, kann ich Ihnen sagen, sind meine Kontakte zumindest unterschiedlich.

Können es auch Abwerbeversuche werden?

Meinen Sie jetzt von uns bei denen?

Ja, natürlich. Obwohl es umgekehrt ja auch so sein soll. Umgekehrt soll es das angeblich auch geben.

Das ist mehr so ein lustiger Scherz. Das Kanzleramt findet jeden Tag neue Geschichten, um irgendwelche Verhandlungspokerpositionen in der CDU aufzubauen. Und wir sollen da möglicherweise die nützlichen Idioten dazustellen. Das wird mit Sicherheit nicht passieren. Es ist so, ich habe die Erfahrung gemacht bei der SPD: Ein Teil ist böse, ein Teil ist aber auch sehr freundlich. Und im übrigen denke ich mal, der SPD stehen jetzt 2 Jahre bevor des Fegefeuers in einer großen Koalition. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die SPD auch unter diesem Druck auf sich zurück findet zu ihrer ursprünglichen Position, nämlich wie das auch Johannes Rau mal gesagt hat: Schutzmacht der kleinen Leute zu sein. Das müssen wir abwarten. Der politische Prozess hat jetzt erst begonnen in Deutschland. Und ich denke, es wird so lange sehr dynamisch verlaufen bis sich das deutsche Parteiensystem wieder entlang des Wählerwillens sortiert hat. Das, was wir in den letzten Jahren hatten, dass im Grunde genommen 4 neoliberale Parteien in dieselbe Richtung gezogen haben, das wird keinen Bestand haben. Und insofern glaube ich, wird das spannende Diskussionen und Auseinandersetzungsprozesse geben. Und die Fronten, die jetzt am Anfang bestehen, die werden vielleicht in 2 Jahren so gar nicht mehr bestehen.

Das 100-Tage-Programm, das Ihre Fraktion heute und morgen auf ihrer Klausur-Tagung beschließen will, könnte ja auch ein Angebot an SPD und Grüne zur Zusammenarbeit enthalten. Wird die vielleicht wahrscheinlicher, so höre ich es aus Ihren Worten raus, wenn es den Kanzler Schröder nicht mehr geben sollte?

Das ist sicher so. Er steht ja für eine Linie, die eigentlich die SPD bis zur Unkenntlichkeit verzerrt hat. Es ist im übrigen nicht nur Schröder, es gibt ja viele kleine männliche und weibliche Schröders oder gab es zumindest in den letzten Jahren. Ich glaube, dass die SPD vor großen Auseinandersetzungs- und Klärungsprozessen ist. Unser Interesse ist: Wir formulieren das, was viele Millionen Menschen in Deutschland eigentlich erwarten an Regierungspolitik. Der Wahlausgang war eh schon eine klare Absage an die Fortsetzung einer neoliberalen Politik der Umverteilung von unten nach oben in Deutschland. Wir werden außerparlamentarisch und parlamentarisch die Stimme der Menschen sein, die diesen Prozess für ungerecht halten, und die unter die Räder dieses Kurses geraten sind. Und damit müssen sich dann die anderen auseinandersetzen. Die eigentlich neue Qualität dieses Parlamentes besteht darin, dass es wieder eine echte Opposition und echte Auseinandersetzungen geben wird.

Sendung als Audio-Datei beim SWR