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»Es gibt keinen grünen Kapitalismus«

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht, Frankfurter Rundschau,

Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, im Interview mit der Frankfurter Rundschau über Umweltpolitik, soziale Ängste und das größte Hindernis für Rot-Rot-Grün


Frau Wagenknecht, aus der Linken hieß es nach dem TV-Duell von Merkel und Schulz, Ihre Partei müsste eigentlich einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen. Wären Sie das dann?

Wagenknecht: Ach wissen Sie: Solange wir eine 10-Prozent-Partei sind, ist eine Kanzlerkandidatur leider schwer vermittelbar. Aber dieser Wahlkampf ist doch wirklich ein Trauerspiel. Die Unterschiede zwischen Merkel und Schulz muss man mit der Lupe suchen. Das wurde bei dem sogenannten Kanzlerduell besonders deutlich, wo man schon froh war, dass die beiden sich am Ende nicht umarmt haben. Das aber ist ein Problem für die Demokratie.  

Würden Sie sich eine Kanzlerkandidatur denn zutrauen?

Ich hoffe, dass die Linke irgendwann so stark wird, dass wir über solche Fragen ernsthaft nachdenken können. Aber schon heute ist es so: wer sich eine Veränderung der Politik wünscht und kein unsoziales Weiter-so, kann nur noch die Linke wählen. Wenn die SPD weiter Politik gegen ihre Wähler macht, ist die Gefahr real, dass sie so endet wie die Sozialdemokratie in Frankreich oder den Niederlanden: in der Bedeutungslosigkeit.

Steht die Linke deshalb zurzeit in den Umfragen ganz gut da?

Vielen Wählern ist klar, dass sie klassisch sozialdemokratische Positionen heute nur noch mit der Linken wählen können. Wir wollen den Niedriglohnsektor eindämmen, die gesetzliche Rente stärken, eine Vermögensteuer für Superreiche. Als Schulz nominiert wurde, hatte ich gehofft, dass die SPD wieder sozialdemokratisch wird und zu ihrem Markenkern zurückkehrt. Dann gäbe es jetzt eine realistische Alternative zu Merkel. Die SPD hat sich anders entschieden. Jetzt geht es darum, dass es wenigstens eine starke Opposition gibt, die soziale Forderungen auf die Tagesordnung setzt. Und wenn wir sehr stark abschneiden, könnte das auch ein Weckruf an die SPD sein, der sie davon abhält, nach ihrer Wahlniederlage mit fliegenden Fahnen in die nächste Große Koalition zu gehen.

Aber nach einer linken Politik scheint es gar keine echte Nachfrage zu geben. Die Umfragen weisen fast 60 Prozent für die konservativen und rechten Parteien aus.

Ich denke eher, die Wechselstimmung ist verflogen, weil die meisten Menschen die Hoffnung auf einen echten Wechsel aufgegeben haben. Ich habe heute früh mit einem Nachbarn aus unserem Dorf gesprochen. Er sagt, dass zum Beispiel bei dem TV-Duell das, was ihn interessiert, so gut wie keine Rolle spielte. Er ist Rentner. Er macht sich Sorgen um seine Tochter, die sich mit befristeten Jobs durchs Leben hangelt, und um seine Enkel und deren Zukunft. Unsichere Jobs, steigende Mieten, marode Schulen, das bewegt doch viele. Es gibt Umfragen, laut denen sich 60 bis 70 Prozent mehr soziale Gerechtigkeit wünschen. Sie wünschen sich eine Regierung, die sich nicht damit abfindet, dass wenige riesige Vermögen anhäufen und viele jeden Euro immer öfter umdrehen müssen. Immerhin 40 Prozent der Bevölkerung haben nach den Zahlen des DIW heute weniger Einkommen als Ende der 90er. Da zu behaupten, alles läuft großartig, halte ich für Realitätsverweigerung.

Nur warum ist Rot-Rot-Grün dann zehn Prozent von einer Mehrheit entfernt?

Erstens haben die Menschen gemerkt, dass diese Mehrheit von der SPD nie genutzt wurde, weder 2005 noch 2013. Sie erleben, dass die Grünen sich mehr und mehr auf die Union zubewegen. Und woher soll eine Wechselstimmung kommen, wenn der Herausforderer der Kanzlerin gar nicht für eine andere Politik steht?

Statt über soziale Themen wird vor allem über innere Sicherheit und Flüchtlinge debattiert …

Dahinter steckt eine große Verunsicherung. Wenn die Politik über Jahre zulässt, dass Polizistenstellen abgebaut werden und man in Großstädten in einer Warteschleife landet, wenn man die Polizei ruft, dann gibt das Menschen nicht das Gefühl, dass sie in einem sicheren Umfeld leben. Aber der Hauptgrund ist, dass das soziale Leben immer unsicherer und der Wohlstand für viele fragiler geworden ist. Wer einen gesicherten Arbeitsplatz hat, hat bei weitem nicht so viel Angst, verdrängt zu werden. Auch die Mieten explodieren, Familien werden aus den Innenstädten verdrängt. Und dann kommen 900.000 Flüchtlinge dazu – plus Arbeitssuchende aus anderen EU-Ländern. Natürlich erhöht das die Konkurrenz um Arbeit und Wohnungen und steigert Abstiegsängste.

Ängste vor Kriminalität sind verkappte soziale Ängste?

Weltweit können wir sehen, dass in einer Gesellschaft, in der die Ungleichheit zunimmt, auch die Kriminalität wächst. Insofern gibt es da schon einen Zusammenhang. Außerdem haben auch in diesem Punkt viele Menschen das Gefühl eklatanter Ungerechtigkeit. Da wurde ihnen seit Jahren erzählt, für gute Renten, für Kitas oder mehr Lehrer sei kein Geld da. Und plötzlich erleben sie, dass zur Bewältigung der Flüchtlingskrise Mittel in erheblichem Umfang bereit gestellt werden. Das führt bei denen, die sich von der Politik seit Jahren im Stich gelassen fühlen, zu noch mehr Frust, der von der AfD erfolgreich instrumentalisiert wird.

Waren Sie selbst mal in einer Situation, in der Sie soziale Ängste hatten?

Ich hatte eine sehr schwierige Situation vor der Wende in der DDR. Nachdem ich das Abitur gemacht hatte, durfte ich nicht studieren. Da war ich ein gutes Jahr zu Hause, habe von Nachhilfeunterricht gelebt und wusste nicht, wie es weiter geht. Das funktionierte nur, weil meine Miete damals 40 Ost-Mark kostete. Später habe ich bis 2004 als Publizistin gearbeitet und von meinen Veröffentlichungen und Auftritten gelebt. Es ging mir damals nicht schlecht – aber das Einkommen war von Monat zu Monat unsicher.

Noch ein vernachlässigtes Thema: Klima und Umwelt. Zwischen den Grünen als Ökopartei und der FDP mit gezielt anti-ökologischen Positionen: Wo positionieren Sie sich da eigentlich?

Die Grünen sind doch längst als Umweltpartei unglaubwürdig geworden. Sie bedienen eher bestimmte Lobbys, wenn sie für Windkraft und E-Autos werben. Wer umweltgerecht wirtschaften will, muss eine Wirtschaftsordnung infrage stellen, die nur auf Rendite und Wachstum orientiert ist. Viele Konzerne haben heute so viel Marktmacht, dass sie Dinge extra so konstruieren, dass sie schnell wieder kaputt gehen. Echte Qualitätsanbieter werden von Billigproduzenten verdrängt. Das ist das Gegenteil dessen, was wir brauchen.

Sie sind also im Grunde eine Grüne?

Es gibt keinen grünen Kapitalismus. Wer wirklich grün sein will, muss daher auch den Mut haben, die wirtschaftlichen Machtverhältnisse infrage zu stellen. Und natürlich muss man darauf achten, dass der ökologische Umbau nicht zu noch mehr Ungleichheit führt. Auch die Energiewende ist ja ein Problem, weil alles auf den Strompreis umgelegt wird, was normale Familien belastet, während die Industrie großzügig freigestellt wird. Wer ein Einkommen hat, das seit Jahren stagniert oder sinkt, will keine Partei, die ihm sagt: Mit uns kostet das Fleisch dreimal so viel.

Klima, Umwelt und Tieren hilft es, nicht jeden Tag Fleisch zu essen.

Stimmt. Ich finde die Zustände in der konventionellen Tierhaltung vielfach auch erschreckend. Aber jeden Tag frisches Gemüse kann sich ein Hartz-IV-Empfänger noch weniger leisten. Und es sollte schon jeder selbst entscheiden, was auf seinen Teller kommt.

Frau Wagenknecht, Sie lassen schon länger keine Gelegenheit aus, um für Härte gegenüber der Türkei zu plädieren. Sind Sie sicher, dass das den politischen Gefangenen wirklich hilft?

Der bisherige Kurs der Bundesregierung, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, hat jedenfalls nichts gebracht. Erdogan provoziert immer dreister, er tritt Menschenrechte mit Füßen, verhaftet die Opposition und auch deutsche Staatsbürger. Wie kann man mit so einem Regime weiter EU-Beitrittsgespräche führen, ihm Geld überweisen und Waffen liefern? Es muss auch Schluss damit sein, dass wir Erdogan darüber bestimmen lassen, was in deutschen Moscheen gepredigt wird. 

Eine Kündigung des EU-Türkei-Abkommens würde bedeuten, dass wieder mehr Flüchtlinge nach Europa kämen.

Das zeigt ja nur, wie sehr wir uns mit dem Abkommen erpressbar gemacht haben. Europa muss in der Lage sein, seine Grenzen selbst zu kontrollieren, statt sich von zweifelhaften Despoten oder sogar von islamistischen Warlords in Libyen abhängig zu machen. 

Wie geht es für die Linke nach der Wahl weiter? Im nächsten Bundestag sitzen zwei Parteien mehr. Oppositionsführerin wird vermutlich die AfD. Wird es für die Linke noch schwerer, durchzudringen – egal, wer regiert?

Die aktuellen Umfragen geben uns gute Chancen, dass wir drittstärkste Kraft bleiben, und dann wären wir im Falle einer Großen Koalition wieder Oppositionsführer. Das wäre auch sehr wichtig, denn natürlich verändert es die Politik einer Regierung, ob die Opposition von der Linken oder von der FDP oder gar der AfD dominiert wird. Druck in Richtung sozialer Verbesserungen wird es nur im ersten Fall geben. Der Mindestlohn und gewisse Korrekturen bei der Rente hätte es ohne eine starke Linke auch nicht gegeben.

Manche halten Sie persönlich für das eigentliche Hindernis für Rot-Rot-Grün.

Das größte Hindernis ist, dass die SPD so eine Koalition gar nicht mehr will. Als es eine Phase gab, in der sie ernsthaft über eine Koalition mit uns nachgedacht hat, haben sich führende Sozialdemokraten auch mit mir gern getroffen. Sobald man sich entschieden hatte, diesen Weg nicht weiter zu gehen, wurde wieder erklärt: Mit Sahra Wagenknecht – das geht gar nicht. Ich kann das nicht ernst nehmen. Im Übrigen bin ich ganz sicher kein unverträglicher Mensch. Allerdings ist richtig: Wer die Politik der letzten Jahre im Kern fortsetzen will, der sollte tatsächlich nicht annehmen, dass er in mir eine Partnerin findet.

 

Interview: Markus Decker und Steven Geyer

Frankfurter Rundschau,