Zum Hauptinhalt springen

»Es gibt immer Alternativen zum Krieg«

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Sevim Dagdelen sitzt seit 2009 für DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linksfraktion. Völkerrecht und Sicherheitspolitik gehören zu ihren Schwerpunkten. Seit Anfang 2012 hat sie zahlreiche parlamentarische Anfragen zum Thema Syrien an die Bundesregierung gestellt, die mehrfach in den Medien eine große Resonanz bezüglich der Informationspolitik und Kriegspropaganda hatten, wie zum Beispiel über das Massaker in den Morgenstunden des 26. Mai 2012 in der syrischen Gemeinde Hula oder über den Patriot-Einsatz von Bundeswehr und NATO in der Türkei, der auf einer Lüge vom Mai 2012 beruht. Die Neue Rheinische Zeitung (NRhZ) hat sie zum Thema Syrien befragt.
 

NRhZ: Unterstützt DIE LINKE nicht Assad, wenn sie generell eine Militärintervention ablehnt und auch keine Waffen an die Aufständischen liefern will?
 
Sevim Dagdelen: DIE LINKE hat sich von Anfang an für eine politische Lösung eingesetzt. Die Bundesregierung dagegen hat einseitig die Aufständischen unterstützt und diese so auch bestärkt, zuerst den Konflikt militärisch zu eskalieren und dann Vorbedingungen wie den Amtsverzicht von Assad für Verhandlungen zu stellen. Die Rebellen wussten von Anfang an, dass sie das Regime allein militärisch nicht stürzen können und haben trotzdem zu den Waffen gegriffen, weil sie Unterstützung von außen erwartet haben und diese von den Freunden Syriens, woran Deutschland beteiligt ist, auch signalisiert wurde. Das war grob fahrlässig. Ich will ein zweites hinzufügen: Ich finde es unerträglich, dass die Bundesregierung sich im syrischen Bürgerkrieg an die Seite der Al-Kaida-Milizen, wie der Al-Nusra-Front geschlagen hat. Auch wenn man keine „tödlichen“ Waffen geliefert hat, wurde doch alles getan, damit sich diese Terrorgruppen beispielsweise durch eigene Ölverkäufe finanzieren können. Das war ein Tiefpunkt deutscher Außenpolitik.
 
Ist also ein Militärschlag gegen Assad angesichts der hundertausend Toten und des aktuellen Giftgasanschlags nicht gerechtfertigt, wie viele Politiker im Umfeld von Obama und Medien behaupten?
 
Was den Giftgaseinsatz angeht, muss die UN-Untersuchung hier zunächst Aufklärung leisten. Ich finde die einseitigen Schuldzuweisungen der USA und Großbritanniens, denen sich ja leider auch die deutsche Bundesregierung angeschlossen hat, völlig unangebracht. Jetzt aber womöglich auch noch ohne das Ergebnis der Untersuchung abzuwarten einen völkerrechtswidrigen Krieg vom Zaun zu brechen, halte ich wirklich für ein großes Verbrechen. Deutschland muss hier deutlich NEIN sagen. Das gilt selbst für den unwahrscheinlichen Fall, das Assad der Giftgaseinsatz nachgewiesen werden kann. Eine Intervention wird weder die Toten wieder lebendig machen, noch den Krieg beenden, bestraft würde nicht Assad, sondern die ganze Bevölkerung. Wir als Linke sagen jedenfalls ohne Wenn und Aber NEIN zu diesem Krieg. 69% der Bevölkerung sind Umfragen zufolge gegen diesen Krieg ob mit oder ohne UN-Mandat. Es ist bezeichnend, dass gerade die Grünen Überlegungen anstellen, unter welchen Umständen Deutschland sich beteiligen soll oder sogar muss. Das ist regelrecht pervers. Aus dieser Partei einstiger Pazifisten ist eine Partei der Kriegstreiberei geworden, in der Außenpolitik rechts von Union, FDP und SPD.
 
Gibt es denn überhaupt Alternativen aus ihrer Sicht das Morden in Syrien zu stoppen oder wollen Sie einfach weiter zuschauen?
 
Es gibt immer Alternativen zum Krieg. Wie gesagt, die Kontrahenten müssen an einen Tisch und es müssen die Kriegsverbrechen beider Seiten verurteilt werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass die bewaffnete Opposition terroristische Anschläge durchführt und sich weigert, mit Assad in Genf zusammenzukommen. Und ich fürchte, dass sie sich dabei auch noch von den Kriegsdrohungen der USA regelrecht bestärkt fühlt. Wir wollen eine politische Lösung und wir wollen, dass sofort die deutschen Waffenlieferungen in die Region gestoppt werden. Als wir das 2011 im deutschen Bundestag beantragt haben, sind unsere Anträge von allen anderen Fraktionen abgelehnt worden. An das autoritäre System Erdogan wurde alles geliefert, was für eine Niederschlagung der Demokratiebewegung nötig war, von Pfefferspray bis zu Handfeuerwaffen für die paramilitärischen Verbände; an die Saudis liefern wir Leopard II-Panzer. Ich finde das unerträglich. Jede Waffe in der Region ist eine zuviel. Wir fragen jetzt auch die Bundesregierung, ob nicht deutsche Waffen von der Türkei an Al-Kaida und FSA-Verbände weitergereicht wurden, um im Norden Syriens Kurden zu massakrieren. Sollte sich der entsprechende Verdacht bestätigen, wäre dies ein weiterer Skandal.
 
Kann man mit einem angeblich Wahnsinnigen wie Assad überhaupt verhandeln?
 
Vor 2011 war ja Assad praktisch ein Verbündeter Deutschlands. Im sogenannten Krieg gegen den Terror unter der rot-grünen Regierung ließ der Westen sogar Gefangene nach Damaskus fliegen, die dann dort gefoltert wurden und deren Geständnisse benutzt wurden. Ich sage: Wir brauchen Verhandlungen aber wir brauchen auch eine grundlegende Wende in der deutschen Außenpolitik. Von deutschem Boden darf kein Krieg mehr ausgehen. Das ist das Vermächtnis der Gefangenen von Buchenwald und der Außenpolitik Willy Brandts. Dieses Vermächtnis müssen wir endlich einlösen, statt uns an imperialistischen Militärabenteuern im Nahen Osten zu beteiligen. Wenn ich jetzt höre es geht lediglich um eine Strafaktion, dann bestärkt mich das in meiner Ablehnung dieses Krieges. Was soll denn das Ergebnis sein? Das Ergebnis wird sein, dass der Westen gemeinsam mit Saudi-Arabien und Erdogan, der die Türkei in einen islamistischen Unterdrückungsstaat verwandeln will, den Al-Kaida-Milizen und den islamistischen FSA-Truppen Vorteile auf dem Schlachtfeld in Syrien verschafft. Aber ich frage Sie, ist es wirklich das Ziel deutscher Außenpolitik, dass in Syrien ein Gottesstaat errichtet wird, gegen den die Taliban in Afghanistan wie regelrechte Waisenknaben aussehen. Das fände ich an zynischer Machtpolitik nicht zu überbieten. Machen wir uns nichts vor: Die Leute, denen wir in Syrien zur Macht verhelfen, werden selbstverständlich die Terrorgefahr im Anschluss für Europa und auch für Deutschland erhöhen. Dann wird wieder irgendwo interveniert.
 
Ist denn das nicht nur böswillige Propaganda Assads, dass die FSA- und Al-Nusras-Front gegen Minderheiten im Land vorgehen?
 
Nein absolut nicht. Diese grausamen Milizen brüsten sich ja auch noch im Internet mit ihren Verbrechen. Gerade gegen religiöse Minderheiten, wie Christen, Alawiten und Schiiten, aber auch gegen säkulare Sunniten und Kurden wird vorgegangen. Dass in Syrien Bischöfe entführt und getötet werden, von Leuten, die die Bundesregierung unterstützt oder zumindest deren Bündnispartner sie unterstützt, ist eine Katastrophe. Wenn sie weiterhin nach dem Motto vorgehen „der Feind meines Feindes ist mein Freund“, dann liegt bald der ganze Nahe Osten in Schutt und Asche.

Sind sich nicht alle Parteien einig, dass Deutschland sich an keinem Krieg gegen Syrien beteiligen sollte?
 
Nein das kann man so nicht sagen. Zwar sollen keine deutschen Truppen entsandt werden, aber die Bundeswehr und die Patriot-Staffeln sind quasi schon vor Ort. Dem haben im letzten Dezember alle Parteien außer uns zugestimmt mit dem Argument, man müsse gegenüber der NATO "Verlässlichkeit“ demonstrieren. Das war ein ganz großer Fehler, damit hat man sich damals schon blind und auf lange Sicht auf eine Beteiligung festgelegt. Keine dieser Parteien wird nun, da die Patriots militärisch erstmals Sinn machen, ihren Abzug fordern. Deshalb fürchte ich, dass allein DIE LINKE eine deutsche Kriegsunterstützung, wie es sie ja auch im Irak-Krieg gab, in punkto Syrien ablehnt. Eine deutsche Bundesregierung, die sich ernst nimmt, muss den Amerikanern und Briten die Überflugrechte für den geplanten Krieg versagen, vor allem, wenn dieser ohne UN-Mandat stattfindet. Sie muss verhindern, dass die ausländischen Stützpunkte in Deutschland für diesen Krieg genutzt werden, am besten, indem sie diese Militärbasen einfach dicht macht. Das ginge jederzeit, denn das NATO-Truppenstatut sieht selbstverständlich nicht vor, dass diese Basen für Folterflüge der CIA und völkerrechtswidrige Kriege genutzt worden. Es ist dasselbe wie bei der NSA-Affäre. Deutschland muss endlich souverän werden und sich nicht verhalten wie ein Satellitenstaat der USA. Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen, das ist sogar im Grundgesetz verankert.
 
Sollte sich Deutschland also wieder einmal freikaufen wie im ersten Irak-Krieg oder sich verweigern wie in Libyen?
 
Geld statt Waffen zu schicken käme auf dasselbe heraus. Wir können nicht eine Außenpolitik ernsthaft wollen - ich sage es jetzt einmal zugespitzt - die auf der Parole "Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt“ basiert. Wir brauchen eine Wende. Wir brauchen Frieden und Abrüstung. Und dabei geht es auch ums Geld. Seit 1992 haben die Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur von Rot-Grün bis Schwarz-Gelb 17 Milliarden Euro für Auslandseinsätze der Bundeswehr ausgeben. Ich rede jetzt nicht von der dafür nötigen Rüstung, die das ja noch bei weitem übersteigt. 17 Milliarden nur für Auslandseinsätze, während es gleichzeitig heißt, es sei kein Geld da um den Hartz IV-Satz für Kinder zu erhöhen oder ein kostenfreies Mittagessen für Kinder in den Schulen anzubieten. So kann es nicht weitergehen. Hier brauchen wir eine andere Politik. Eine Politik für die Mehrheit der Bevölkerung, nicht für die Rüstungslobby.
 
Deutschland hat in der Region ja schon mit dem Patriot-Einsatz Verantwortung übernommen. Was sollte denn die Bundeswehr dort im Falle eines Krieges tun? Wäre sie überhaupt irgendwie tangiert?
 
Der Patriot-Einsatz ist teuer und gefährlich und das Gegenteil von verantwortungsvoll. Er hat die Türkei in ihrer Einmischungs- und Eskalationspolitik bestärkt. Die Bundeswehrverbände dort können jederzeit in diesen Krieg hineingezogen werden. Deutschland hat dort nichts verloren. Die Bundesregierung geht ein hohes Risiko ein, sich von der islamistischen AKP-Regierung in einen Krieg hineinziehen zu lassen. Und Erdogan hat bereits in der Vergangenheit nichts unversucht gelassen um einen Verteidigungsfall der NATO gegen Syrien zu regelrecht zu produzieren. Die Bundeswehreinheiten in der Türkei wären dann mit als erste dran.
Die Abgeordneten und die Öffentlichkeit sind damals von der Bundesregierung regelrecht getäuscht worden. Jetzt steht fest: Die Begründungen für die Entsendung der Patriots im Auftrag der Bundesregierung waren schlicht nicht haltbar. Die Türkei hatte behauptet, ein türkisches Kampfflugzeug sei im Internationalem Luftraum von den Syrern abgeschossen worden. Die Bundesregierung hat, wie sich jetzt herausstellt diese Version übernommen, obwohl es einen NATO-Bericht gab, der feststellte, dass das Kampfflugzeug über syrischem Territorium abstürzte und dass zudem unklar sei, wie es zu dem Absturz gekommen ist. In jedem Fall ist der türkische Jet zuerst in syrischen Luftraum eingedrungen und zwar im Tiefflug. Insofern liegt da eine türkische Aggression vor und kein NATO-Bündnisfall. Beim Granatenbeschuss türkischen Territoriums liegen die Dinge ähnlich. Selbst die NATO kann nicht ausschließen, dass der Beschuss durch Aufständische und nicht durch die syrische Regierung erfolgt ist; in mindestens einem Fall hat es sich wohl um NATO-Munition gehandelt. Hier zeigt sich: um Auslandseinsätze durchzusetzen werden Öffentlichkeit und Parlament gnadenlos belogen. Wer dann auch nur kritisch nachzufragen wagt, den versucht man als Assad-Unterstützer mundtot zu machen. Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung auch für die Bundeswehrsoldaten, die entsandt werden, und auch für die Sicherheit der Bevölkerung in Deutschland.
 
Muss Assad nicht einfach weg, gerade bei den unzähligen Massakern die seine Truppen begangen haben?
 
Ich glaube da machen wir es uns zu einfach. Das Bild scheint doch viel differenzierter zu sein. Nehmen wir das Massaker von Hula. Allein DIE LINKE hat gewagt, hier näher nachzufragen. Und es stellte sich heraus, dass es sich nicht, wie breit in allen Medien - mit der löblichen Ausnahme der FAZ - dargestellt, um ein Massaker der Assad-Truppen handelte, sondern dass es starke Hinweise gab, dass die Aufständischen selbst dieses Massaker begangen haben. Deshalb verstehe ich auch nicht die Bundesregierung und ihre vorschnellen Schuldzuweisungen im Fall des mutmaßlichen Giftgaseinsatzes jetzt. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass es wie im Fall des Irak 2003 allein darum geht, einen Kriegsgrund zu produzieren.
 
Muss nicht Assad dann weg, wenn sich herausstellt, dass die Regierungstruppen jetzt in Damaskus Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt haben?
 
Dazu ist Krieg aber der falsche Weg, das zeigt auch die Situation in Libyen und Mali. Die Schuldigen müssen bestraft werden, ohne jeden Zweifel, aber einen Krieg vom Zaun zu brechen, der möglicherweise die gesamte Region in Flammen aufgehen lässt, das wäre ein wirkliches Verbrechen. Der Irak sollte uns ein warnendes Beispiel sein. Wie triumphal marschierten die USA dort ein, und heute sind hundertausende Iraker deswegen gestorben, das Land steht am Rande eines Bürgerkrieges, wird vom Terror beherrscht. Dass Obama jetzt den Bush macht und Außenminister Kerry auf den Spuren des Lügners Powell wandelt, gefährdet den Weltfrieden unmittelbar. Hier müssen wir ein klares Stoppzeichen setzen. Es ist nicht antiamerikanisch, bei diesem Krieg nicht mitzumachen. Wir sollten auf der Seite der US-Dissidenten gegen die imperialistischen US-Kriege stehen. Leute wie Manning oder Snowden hätten den Friedensnobelpreis wirklich verdient. Obama sollte ihn einfach zurückgeben.
 
Danke für das Interview!

Neue Rheinische Zeitung, 29. August 2013