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Es geht um lückenlose Aufklärung

Im Wortlaut von Ulrich Maurer,

Von Ulrich Maurer, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag




Am Mittwoch, den 17. April, wird der NSU-Prozess in München eröffnet. Gerichtsverhandlungen sollten nach §169 Gerichtsverfassungsgesetz öffentlich abgehalten werden. Die Räumlichkeiten sind für die große Anzahl von Anfragen von Zuschauern und Medienvertretern zu klein – mit dem Effekt, dass die Angehörigen der Opfer der NSU-Mörder den Verhandlungen nicht beiwohnen können. Die Regelung obliegt dem Vorsitzenden Richter, der diese Entscheidung getroffen hat.

Das Oberlandesgericht in München räumte mittlerweile Fehler bei der Vergabe der Presseakkreditierung im Vorfeld des Prozesses ein. Gegen die Vergabe wurde nun Klage in Karlsruhe eingereicht. Es ist vollkommen egal, wie und was das BVerfG in Karlsruhe zur Presseakkreditierung entscheiden wird. Es handelt sich hierbei um einen Vorgang von unglaublicher Stümperhaftigkeit und Borniertheit der Verantwortlichen.

Viele Menschen im In- und Ausland warten nach der skandalösen Pannenserie, die die strafrechtlichen Ermittlungen und die NSU-Untersuchungsausschüsse in den Parlamenten ans Tageslicht beförderten, auf das Verfahren. Statt nun alles in ihrem Ermessen stehende zu tun, um die Scharte auszuwetzen, legt das Oberlandesgericht noch eins drauf. Noch vor seiner Eröffnung beginnt der Prozess mit der nächsten Panne.

Komplettes Versagen des Verfassungsschutzes

Zur Vergegenwärtigung: Ein Nazi-Trio zieht über Jahre hinweg mordend durch Deutschland. V-Leute des Verfassungsschutzes haben dies beobachtet, sogar Hilfe dabei geleistet. Die Amadeu Antoniu Stiftung spricht von 183 Todesopfern rechtsextremistischer und rassistischer Gewalt seit 1990. Polizisten in Baden-Württemberg waren Mitglieder eines Ku-Klux-Klan-Ablegers, ein V-Mann des Verfassungsschutzes warnte sogar die Mitglieder dieses Ablegers vor Telefonüberwachung. Wichtige Unterlagen zum NSU-Untersuchungsausschuss in mehreren Behörden wurden "versehentlich" geschreddert. Mittlerweile wird von 129 Mitgliedern der NSU-Terrorzelle ausgegangen. Unlängst wurde bekannt, dass sich ein Netzwerk von Nazis in Justizvollzugsanstalten gebildet hat, deren Ausmaß unbekannt bleibt.

Die Informationen über den NSU kamen in den letzten zwei Jahren nur scheibchenweise an das Licht der Öffentlichkeit. Über Jahre hinweg haben deutsche Behörden Rechtsterrorismus vertuscht, Ermittlungen behindert und Verbrechen, ja Morde, gestützt. Wir haben es hier mit einem kompletten Versagen des Verfassungsschutzes zu tun. Deshalb muss dieser aufgelöst werden. Er hat sich nicht nur als unfähig in der Aufklärung von rechtsterroristischen Taten erwiesen hat, sondern sich auch als unwillig gezeigt, da er als Mittäter handelte.

Der Prozess in München hat über die Bundesgrenzen hinweg einen hohen Stellenwert. Es geht erstens um die lückenlose Aufklärung von skrupellosen Morden und um die Verstrickung von Mitarbeitern von Behörden in diese Morde. Es geht zweitens um ein Minimum an Respekt gegenüber den türkischen Angehörigen der Opfer zu dem Prozess. Und es geht drittens um eine grundsätzliche, hoch politische Frage: Inwieweit Deutschland ist fähig, nach innen und außen zu demonstrieren, dass die Bekämpfung nationalsozialistischer Ideen und die rücksichtslose Verfolgung rechtsextremer Verbrechen oberste Priorität hat. Ein solcher Blickwinkel ist dem Münchner Oberlandesgericht entweder fremd oder er wird bewusst verweigert. Das ist das politisch Fatale an dem Vorgang.

linksfraktion.de, 12. April 2013