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Erdogan gescheitert

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

 

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE und stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Türkischen-Parlamentariergruppe im Bundestag

 

Rund 13 Prozent, etwa sechs Millionen Stimmen und zirka 80 Abgeordnete: Ein historisches Ergebnis bei den Parlamentswahlen in der Türkei für das Wahlbündnis HDP. In 14 Provinzen erzielte die »Demokratische Partei der Völker« eine Mehrheit, mit zum Teil erdrutschartigen Ergebnissen nicht nur im kurdischen Südosten, sondern auch in Ardahan und Kars im Nordosten sowie im alevitisch geprägten Dersim. Dazu kommen Erfolge in den Großstädten im Westen wie Istanbul und Izmir.

Die AKP dagegen verlor ihre Mehrheit und hat mit derzeit knapp über 40 Prozent keine Regierungsoption. Die Pläne von Staatschef Recep Tayyip Erdogan, die Verfassung für eine Präsidialdiktatur zu ändern, sind damit einstweilen gestoppt. Das Wahlergebnis ist auch eine Quittung für die Hetze des autoritär-islamistischen AKP-Regimes gegen Kurden, Aleviten, Armenier und Schiiten, aber auch gegen Frauen, Laizisten, Säkulare und Schwule. Die immer offensichtlichere Korruption von AKP-Funktionären, die bewusste Verachtung von Arbeitern wie beim Bergwerksunglück in Soma, die Hetze gegen die Demokratiebewegung des Gezi-Parks, die Diskriminierung von Frauen, die Verfolgung laizistischer Künstler und nicht zuletzt die verdeckte Waffenhilfe für den IS und die Al-Qaida-Banden in Syrien haben zu den erheblichen Verlusten geführt.

Mit Erdogan ist zugleich seine Mentorin in der EU, Bundeskanzlerin Angela Merkel, gescheitert. Die Bundesregierung hat zu jedem Verbrechen der verbündeten AKP beharrlich geschwiegen. Wie zur Belohnung der Niederschlagung der Gezi-Proteste setzte sie sich für die Eröffnung neuer EU-Beitrittskapitel ein, um in zynischer Manier die demokratischen Fortschritte zu würdigen. Denn die AKP hatte in den 13 Jahren ihrer Alleinherrschaft beharrlich alle Wünsche des deutschen Kapitals wie Marktöffnungen und Privatisierungen erfüllt. In der NATO war Ankara verlässlicher Bündnispartner für die neuen Interventionskriege wie in Afghanistan oder bei der Sicherung von Einflusszonen auf dem Balkan. Als Erdogan versuchte, unter falscher Flagge einen türkischen Einmarsch in Syrien zu legitimieren, sprangen ihm Union und SPD mit der Stationierung von Bundeswehrsoldaten bei.

Es steht zu erwarten, dass Merkel Erdogan weiter den Rücken stärkt. In Deutschland lässt die Kanzlerin der staatlichen türkischen Religionsbehörde freien Lauf, um die Wahlen hier für die AKP zu entscheiden. Bei möglichen Neuwahlen in der Türkei – bisher ist kein Koalitionspartner in Sicht – wird die AKP diese Kumpanei nutzen, um noch stärker ein Klima der Gewalt und des Terrors gegen die HDP zu schaffen. Solidarität mit der HDP heißt deshalb auch hierzulande, sich gegen die Kumpanei der Bundesregierung mit dem Mann am Bosporus zu stellen.

junge Welt, 9. Juni 2015