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Einer lügt!

Nachricht,

Verfassungsschutz und Polizei beschuldigen sich gegenseitig, die entscheidenden Fehler bei der Suche nach dem NSU-Trio begangen zu haben

Von Gerd Wiegel

 

Thüringen und das Abtauchen des Trios Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt im Jahr 1998 standen zum zweiten Mal im Fokus des Untersuchungsausschusses zum NSU-Terror. An zwei Tagen und in insgesamt 20 Stunden wurden Verfassungsschützer und Polizisten aus Thüringen und vom Bundeskriminalamt (BKA) vernommen. Zentrale Frage war, wie das Trio 1998 im Zusammenhang mit der Durchsuchung von Garagen, die vom Trio als Bombenwerkstatt benutzt wurde, abtauchen konnte und trotz intensiver Fahndung nicht gefunden wurde.

"80-90 Prozent der Erkenntnisse des Verfassungsschutzes wurden an die Polizei gegeben" – "von 50 relevanten Meldungen an den Verfassungsschutz wurden laut Akten nur fünf an die Polizei weitergegeben": Auf diese völlig konträren Aussagen lassen sich die Vernehmungen von Polizisten und Verfassungsschützern reduzieren. Eine Seite lügt, so viel steht fest, aber die Lügen und Verdrehungen beschränken sich nicht auf diesen Punkt allein.

Nachdem in der letzten Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) die Ermittler des TLKA (Thüringer Landeskriminalamt) schilderten, wie ihre Arbeit durch das TLfV (Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz) sabotiert wurde, in dem wichtige Informationen zum Trio nicht weitergegeben und Nazis vor Strafverfolgung geschützt wurden, versuchten die Vertreter des TLfV den Ausschuss vom genauen Gegenteil zu überzeugen. Mit dem ehemaligen Vizepräsident Nocken, den früheren Präsidenten Roewer und dem Leiter der Abteilung Rechtsextremismus Schrader waren drei Zeugen vom TLfV geladen, die alle eine übereinstimmende Version präsentierten: Alle Hinweise, die das TLfV zum Trio erhalten habe, seien an die Ermittler weitergegeben worden, Nazis, die als Quellen für das Amt gearbeitet hätten, seien von ihnen niemals vor Ermittlungen der Polizei gewarnt worden. Zwar stehe im Schäferbericht zur Untersuchung der Abläufe in Thüringen, dass "laut Aktenlage" 80-90 Prozent der Informationen des TLfV zum Trio nicht an die Ermittler gegangen seien, das entspreche jedoch nicht der Wahrheit. Aus Quellenschutzgründen, also zum Schutz der Informanten aus der Naziszene, seien die Infos immer nur mündlich an das TLKA gegeben worden. Mit dieser für sie praktischen Darstellung entledigten sich die ehemaligen Verfassungsschützer jeder Beweisbarkeit ihrer Aussage. Wenn die Ermittler bestreiten, die Infos bekommen zu haben, so haben sie eine schlechte Erinnerung oder lügen – so offensichtlich die Position von Nocken, Roewer und Schrader. Aussage steht hier gegen Aussage.

Durchgespielt wurde diese Strategie an einer zentralen Quellenmeldung aus dem Jahr 1998. Ein Nazi-V-Mann aus Brandenburg teilte mit, das Trio wolle sich über Jan W. Waffen besorgen, plane einen weiteren Überfall, um sich danach nach Südafrika abzusetzen. Diese Meldung sei vom LfV Brandenburg an das TLfV gegangen. Für die Ermittler wären die Hinweise "Waffen", "Überfälle", "Südafrika" von enormer Bedeutung gewesen. Nach Aussagen aller bisher gehörten Ermittler waren diese Infos ihnen jedoch unbekannt. Nocken und Schrader behaupteten im Ausschuss dagegen, sie hätten die Info noch am selben Abend trotz einer Einstufung als geheim durch Brandenburg mündlich an den damaligen Leiter des TLKA, Luthardt, weitergegeben. Vor drei Wochen sagte Herr Luthardt im Ausschuss, er habe niemals an einem solchen Gespräch mit Nocken und Schrader teilgenommen. Der Ausschuss wird sich überlegen müssen, wie er mit solchen eklatanten Widersprüchen umgehen will.

Wieder mal der Quellenschutz

Hintergrund der gegenseitigen Schuldvorwürfe zwischen Verfassungsschutz und Polizei ist das vom Verfassungsschutz wie eine Monstranz vor sich hergetragene Dogma des Quellenschutzes. Er muss als Ausrede dafür herhalten, das zentrale Infos, die zur Ergreifung der flüchtigen Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt hätten führen können, nicht in den Akten auftauchen durften. Quellenschutz als Täterschutz – diese Gleichung wurde von den Verfassungsschützern aus Thüringen in trauriger Weise erneut bestätigt. Routinemäßig, so kann man in den Akten lesen, wurden 80-90 Prozent der Informationen beim Amt als geheim eingestuft. Selbst das Ergebnis einer trivialen Observation von Mundlos und Bönhardt 1997, mit der man auf die entscheidenden Garagen, in denen die Bomben gebaut wurden, kam, wurde gegenüber der Polizei als geheim eingestuft. Damit verzögerte sich die Durchsuchung der Garagen nochmals um Wochen. Oder, so kam den Ausschussmitgliedern der Verdacht, handelte es sich schon hier um einen Quellenmeldung, was aber bedeuten würde, dass das TLfV noch näher an den Aktivitäten des Trios dran war, als bisher bekannt?

Nichts will das TLfV von den cirka 35 Strafverfahren gegen seinen V-Mann Tino Brandt gewusst haben. Auch die von Polizei und Brandt selbst anschaulich geschilderten Warnungen der Verfassungsschützer, wenn die Polizei eine Durchsuchung bei Brandt plante, wurden von Roewer, Nocken und Schrader bestritten. Glaubwürdig waren diese Aussagen nicht.

Polizei schenkt Adressliste von Mundlos keinerlei Beachtung

Ein zentraler Fehler der polizeilichen Arbeit stand am 22. Februar im Zentrum der Vernehmungen. Bei der Durchsuchung der Garagen 1998 wurde u.a. eine Adressliste von Mundlos gefunden, die sich wie das who is who der Helfer und Anlaufpunkte des Trios nach der Flucht liest. Auf der Liste finden sich unter anderem die Namen von Tino Brandt und Kai Dalek, beide damals V-Personen. Weiter finden sich Personen, die heute auf der so genannten 100er -Liste stehen, also zum Unterstützerkreis des Trios zählen. Auf der Liste steht auch Thomas Starke, der – wie man heute weiß – die 1,4 Kilogramm TNT, die in der Garage gefunden wurden, und auch die erste Wohnung für das abgetauchte Trio besorgt hatte. Es findet sich Holger Gerlach, einer der engsten Helfer des Trios, und es finden sich zehn Adressen aus Chemnitz, dem ersten Unterschlupf des Trios, dazu Anlaufpunkte in Nürnberg, Rostock, Ludwigsburg. Zu diesem zentralen Ermittlungsansatz für die Polizei findet sich in den Akten ein Vermerk aus dem Februar 1998, der diese Liste als "für das hier geführte Ermittlungsverfahren ohne Bedeutung" einschätzt!

Interessanterweise stammt dieser Vermerk von einem Ermittler des BKA, der zu dieser Zeit die Thüringer bei der Suche nach dem Trio unterstützen sollte. Sowohl der Leiter der Thüringer Ermittlungsgruppe, Dressler, als auch der BKA-Beamte Brümmendorf waren am 22. Februar im Ausschuss, um zu erklären, warum die Polizei diesen zentralen Hinweisen der Liste bis 2011 niemals nachgegangen sind.

Während Herr Dressler darauf beharrte, dass die falsche Einschätzungen des BKA-Kollegen dazu geführt hätte, dass man die Liste nicht weiter beachtete, schob Herr Brümmendorf vom BKA die gesamte Verantwortung nach Thüringen. Sein Vermerk zur Liste sei lediglich ein Entwurf gewesen, die schlussendliche Beurteilung habe bei den Thüringern gelegen, sei jedoch dort offenbar niemals erfolgt. Auch in diesen Darstellungen zeigten sich so viele diametrale Widersprüche, dass sich der Ausschuss entschloss, dem durch eine direkte Gegenüberstellung der Zeugen Dressler und Brümmendorf in der nächsten Woche noch einmal gezielt nachzugehen.


Die nächsten Sitzungen des Untersuchungsausschusse finden am 28. Februar und am 1. März 2013 statt.

linksfraktion.de, 25. Februar 2013