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»Eine Wirtschafts-, Währungs-, Fiskal- und Sozialunion entwickeln«

Im Wortlaut,



Helmuth Markov, von 1999 bis 2009 für die PDS bzw. DIE LINKE Mitglied des Europaparlaments und seit 2009 Finanzminister des Landes Brandenburg, über Schuldenmanagement, die Folgen des Fiskalpakts für Brandenburg, verfassungsrechtliche Zweifel und über Veränderungen in der Europäischen Union

Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz: Sind sich Koalitionspartner einer Landesregierung zu einem Thema nicht einig, enthält sich das Bundesland bei der Abstimmung hierzu im Bundesrat. DIE LINKE hat Nein gesagt zum Fiskalpakt. Brandenburg hat sich im Bundesrat enthalten. Sonderlich schwer dürfte das Ihren Kollegen von der SPD in diesem Fall nicht gefallen sein. Oder?

Helmuth Markov: Dazu gibt es eine klare Verabredung zwischen den Koalitionspartnern, die von beiden Seiten ernst genommen wird. Diese Fairness ist eine Grundbedingung unserer Zusammenarbeit. Die Frage, wie schwer dies jemandem fällt, stellt sich deswegen nicht.

Sie haben gerade vorgemacht, wie gutes Schuldenmanagement aussieht. Brandenburg hat 2011 erstmals keine neuen Schulden aufnehmen müssen.

Richtig, auch in Brandenburg ist der Umgang mit den Schulden und Zahlungsverpflichtungen aus vergangenen Jahrzehnten kein Zuckerschlecken. Längst nicht jede wünschenswerte Investition kann getätigt werden. Wir versuchen, die Prioritäten bei den wichtigsten Ausgaben zu setzen. Vor allem bei Bildung und Wissenschaft, aber auch bei den Kommunen, die wichtige öffentliche Aufgaben zu erfüllen haben. Gleichzeitig haben wir die Grunderwerbssteuer, also die Einnahmenseite dort erhöht, wo das Land selbst darüber entscheiden kann.

Was bedeutet der Fiskalpakt ganz unmittelbar für Brandenburg?

Der Fiskalpakt unterscheidet nicht zwischen sinnvollen, notwendigen Investitionen, Schuldentilgungszahlungen, Leistungen, zu denen wir gesetzlich verpflichtet sind und Luxusausgaben. Mit diesem Vertrag sollen alle - Staaten, Regionen, Kommunen – gezwungen werden, pauschal bestimmte Sparkriterien einzuhalten. Ich halte das vor allem für einen unzulässigen Eingriff in die politische Gestaltungshoheit der Politik – sowohl auf Bundes- wie auf Länder- oder kommunale Ebene.

Konkret wird die Schuldenbremse noch einmal verschärft: Sie kommt früher, gilt zusätzlich für die Kommunen. Und es gibt letztlich eine Gesamthaftung für die Schulden der Bundesrepublik, egal, wo sie entstehen. Das bedeutet noch weniger Spielraum für politische Entscheidungen. Was Sparzwang ohne vernünftige Wirtschaftsförderung und soziale Abfederungsmaßnahmen für die Menschen und auch die Volkswirtschaft bedeuten können, lässt sich in Griechenland ziemlich gut beobachten: Drastische Einschnitte bei Löhnen, Renten, öffentlichen Leistungen und letztlich ein massiver Wachstumseinbruch sind die Folge.

So ähnlich dürfte das wohl in allen 16 Bundesländern aussehen. Wie erklären Sie sich die Zustimmung selbst der Landesregierungen, die nicht von der Union geführt werden?

Eigentlich ist das nicht zu erklären, selbst wenn man sich die Zusagen ansieht, die Herr Schäuble den Ländern gemacht hat. Das Kommunalpaket – vor allem die Unterstützung des Bundes für die Länder bei den Sozialleistungen und Kita-Kosten – ist dringend notwendig. Das hat aber erstens wenig mit dem Fiskalpakt zu tun. Zweitens sind das alles Versprechen, für die ich noch keine konkreten Umsetzungspläne erkennen kann. Dem Fiskalpakt, der ja auch massiv in die Kompetenzen und Souveränitätsrechte der Länder eingreift, sollen wir vorab aber schon mal zustimmen? So geht das aus meiner Sicht nicht. Dazu kommt drittens: Mit dem Fiskalpakt werden die Ursachen der Finanzkrise nach wie vor nicht beseitigt.

DIE LINKE klagt wie angekündigt gegen den Fiskalpakt vor dem Bundesverfassungsgericht. Welche Erfolgschancen hierfür sehen Sie?

Ich bin kein Jurist, kann aber die Klagepunkte, soweit ich sie aus der Diskussion kenne, gut nachvollziehen und hoffe natürlich auf Erfolg. Das Hauptproblem ist aber, dass politische Entscheidungen immer weniger auf dem normalen demokratischen Wege zustandekommen, sondern mal in geschlossenen Beratungen zwischen den EU-Staats- und Regierungschefs erfolgen, mal auf Expertengremien von Verwaltungen übertragen werden, mal Gerichten zur Entscheidung überlassen werden. Es ist wichtig, um vernünftige wirtschafts-, sozial- und fiskalpolitische europäische Lösungen zu streiten, aber das muss für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar sein, und sie müssen sich auf demokratischem Wege beteiligen können.

Welche Vorkehrungen hat die Brandenburger Landesregierung getroffen für den Fall, dass die Klage in Karlsruhe keinen Erfolg hat?

Zunächst warten wir das Urteil ab. Die Linksfraktion im Deutschen Bundestag ist ja nicht der einzige Akteur, der berechtigte politische, aber vor allem auch verfassungsrechtliche Zweifel am Fiskalpakt hat. In Deutschland wird es weitere Klagen geben. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat den Bundespräsidenten um Aufschub seiner Unterschrift unter die Gesetze gebeten. DIE LINKE im Europaparlament lässt die Möglichkeit einer Klage auf europäischer Ebene prüfen. Wenn der Fiskalpakt dennoch kommt, gilt er dann eben mit allen absehbaren Folgen wie auch Unklarheiten. Brandenburg hat sich unabhängig von Vorgaben von außen zum Ziel gesetzt, ab 2014 keine Kredite mehr aufzunehmen.

Bundesfinanzminister Schäuble hat jetzt eine Art EU-Finanzminister ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?

Aktuell passt das Amt eines EU-Ministers nicht in die Struktur der Europäischen Union. Aber wie gesagt, über die weitere Entwicklung der EU, über mehr sinnvolle Integration muss man sprechen. Dazu gehören unter anderem institutionelle Veränderungen. Inzwischen dürfte jedem klar sein, dass für eine erfolgreiche gemeinsame Währung gemeinsame Politik in verschiedenen Bereichen erforderlich ist. Ich bin durchaus dafür, eine Wirtschafts-, Währungs-, Fiskal- und Sozialunion zu entwickeln. Aber selbst Herr Schäuble hat ja inzwischen verstanden, dass für grundsätzliche Veränderungen Bürgerbeteiligung enorm wichtig ist, sprich zum Beispiel auch Referenden erforderlich werden.

linksfraktion.de, 29. Juni 2012