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Ein »Schlecker XXL-Modell«

Im Wortlaut,

FDP wirbt für Leiharbeit als »Gegenleistung« für Hartz IV

Von Friedrich Putz

Bei einem sozialpolitischen Symposium der FDP wurde ein Thesenpapier vorgestellt, in dem im Hinblick auf die Arbeitspflicht von Hartz-IV-Empfängern angekündigt wird: »Wir wollen dem Grundsatz ›keine Leistung ohne Gegenleistung‹ überall Geltung verschaffen«. Damit knüpft die FDP an eine Forderung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) an, der bereits im Januar 2010 in der »Wirtschaftswoche« verlangt hat: »Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertige Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung.«

Welche »Gegenleistungen« kommen in Frage, damit das funktioniert? Arbeit in einem Arbeitsverhältnis kann nicht gemeint sein, denn mit dieser erbringt man zwar dem Arbeitgeber eine Gegenleistung für den Lohn, nicht aber einem Träger von Sozialleistungen. Es ist auch nicht ersichtlich, wie ca. fünf Millionen Arbeitsplätze entstehen sollen, um solche flächendeckenden Gegenleistungen zu ermöglichen.
Auch Ein-Euro-Jobs sind keine plausible Lösung. Selbst wenn man die - nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht haltbare - Ansicht vertreten würde, sie kämen als Gegenleistung in Betracht, bleibt auch hier die Frage, wie man die erforderliche große Zahl solcher »zusätzlicher« Arbeitsgelegenheiten schaffen kann.

Ein scheinbar schlüssiges Konzept, das allen Hartz-IV-Empfängern eine Gegenleistung ermöglicht, hat der Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, vorgelegt. Er will das Arbeitslosengeld II um den Regelsatz kürzen, allen Hartz-IV-Empfängern aber ermöglichen, durch vollen Einsatz ihrer Arbeitskraft als Leiharbeiter bei ihrer Kommune die volle Hartz-IV-Leistung zu erarbeiten.
In seinem bereits im Januar 2005 erschienenem Buch »Ist Deutschland noch zu retten?« sagt er uns genauer, wie er sich das vorstellt: »Diejenigen, die trotz des neuen Systems in der Privatwirtschaft keinen Job finden, können verlangen, bei ihrer Kommune zu einem Einkommen in Höhe des jetzigen Eckregelsatzes der Sozialhilfe auf einer Vollzeitstelle beschäftigt zu werden. Die Kommunen erhalten das Recht, die Betroffenen gegebenenfalls unter Zuhilfenahme privater Leiharbeitsfirmen an die private Wirtschaft weiterzuverleihen, und zwar zu einem Honorar, das frei ausgehandelt werden kann.«

Darf man davon ausgehen, dass sich die FDP mit diesem Entwurf für einen modernen Sklavenmarkt identifiziert? Man darf nicht nur, man muss! Denn ebendieser Professor Sinn erhielt als Gastreferent bei dem erwähnten Symposium die Gelegenheit, erneut zu fordern: »Die Kommunen müssen verpflichtet werden - gegen Strafe, wenn sie es nicht tun - für jeden, aber auch jeden arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger einen Job zur Verfügung zu stellen. Und auf diesen Job wird ein Lohn gezahlt, der heute das Hartz-IV-Einkommen ist.« (O-Ton Sinn auf »phoenix«)

Was es für das Lohnniveau bedeuten würde, wenn eine riesige Reservearmee von Hartz-IV-Leiharbeitern auf den Arbeitsmarkt geworfen würde, ist offensichtlich. Welcher Arbeitgeber könnte da noch der Versuchung widerstehen, einen möglichst großen Teil seiner Stammbelegschaft durch billig ersteigerte Leiharbeiter zu ersetzen?

Wer meint, ein solches »Schlecker XXL-Modell« sei in der Bevölkerung nicht durchsetzbar, sei an das Ergebnis einer im Auftrag der »Leipziger Volkszeitung« durchgeführten Umfrage erinnert, nach der 71 Prozent der Teilnehmer der Ansicht waren, dass HartzIV nur ausgezahlt werden sollte, wenn dafür gearbeitet wird.
Das Umfrageergebnis wäre sicher anders, wenn die Befragten den Zusammenhang zwischen ausnahmsloser Pflicht zur »Gegenleistung« und gigantischer, flächendeckender Lohnsenkung erkennen würden - aber wer erklärt ihnen den schon?

Neues Deutschland, 6. April 2010