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Ein leeres Feld

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,



Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss

Schauen Sie, General, ich schicke vier Männer auf die andere Seite und lasse sie acht Stück (gemeint sind Granaten oder Raketen, jW) auf ein leeres Feld schießen. Das ist kein Problem. Ein Vorwand lässt sich konstruieren.« Mit diesem Vorschlag hatte sich 2014 der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan an den Vizegeneralstabschef Yasar Güler gewandt. Der Dialog ist Teil eines geleakten Gesprächs im Außenministerium in Ankara zwischen dem damaligen Außenminister Ahmet Davutoglu, Hakan Fidan, Yasar Güler und Feridun Sinirlioglu, Staatssekretär im Außenministerium. Thema: Wie lässt sich ein Grund für einen türkischen Einmarsch in Syrien konstruieren.

Keine zwei Jahre später braucht es kein »leeres Feld« mehr. Bereits wenige Stunden nach dem Anschlag in Ankara am Mittwoch abend stand für die türkische Regierung der Täter fest: ein kurdischer Syrer, der den Volksverteidigungseinheiten YPG angehören soll. Die distanzierten sich sogleich von jeder Urheberschaft. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan aber nahm das blitzschnelle »Ermittlungsergebnis« zum Anlass, den Einmarsch seiner Truppen gegen die Kurden in Syrien zu rechtfertigen. Unterdessen hat sich die Lage für die islamistischen Terrorgruppen wie die Ahrar Al-Scham, die von Ankara – laut BND auch mit Waffen – unterstützt werden, verschlechtert. Im nördlichen Teil der syrischen Provinz Aleppo werden die Propagandisten eines Kopf-ab-Islams immer weiter von kurdischen Selbstverteidigungskräften, angeblich mit russischer Luftunterstützung, abgedrängt. Seit vergangenem Wochenende beschießt deshalb die türkische Armee mit Panzerhaubitzen kurdische Stellungen in Syrien. Doch auch dieser Völkerrechtsbruch war nicht dazu angetan, den Vormarsch der Kurden zu stoppen.

Zu viel steht für den Terrorpaten Erdogan in Syrien auf dem Spiel, als dass er zuschauen könnte, wie seine Zöglinge unter die Räder geraten. Er geht aufs Ganze. Auch ein Krieg mit Russland wird riskiert. Ob er sich dabei allerdings auf die NATO verlassen kann, darf bezweifelt werden. Sicher, der Militärpakt drückt beide Augen zu bei den Waffenlieferungen an die Terrorbanden oder beim Nachschub für den IS. Sicher, die NATO-Präsenz in der Region wird erhöht mit Marine und AWACS zur Stärkung der türkischen Luftabwehr. Aber sterben für Ankara? Daran hat man kein Interesse. Wobei Washington wesentlich zurückhaltender ist als Berlin. Hatte Angela Merkel doch in ihrer Not, die Türkei in ein Flüchtlingsgefängnis verwandeln zu müssen, selbst die Idee von Erdogans Flugverbotszone in Syrien begrüßt, wohlwissend, dass dies Krieg bedeutet. Und dazu musste man sich nicht einmal an Libyen erinnern. Erdogan agiert wie ein Pokerspieler, der gerade, weil sein Blatt immer schlechter wird, den Einsatz erhöht. Die Frage ist nur, wann die anderen sehen wollen.

junge Welt, 19. Februar 2016