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Ein Grundrecht kürzt man nicht. Sanktionen bei Hartz IV abschaffen

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Kürzungen bei den Leistungen nach Hartz IV („Grundsicherung für Arbeitsuchende“) aufgrund von vermeintlichen Verstößen gegen auferlegte Pflichten waren das Thema einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 29. Juni. Die Grundsicherung soll das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern und darf daher nicht gekürzt werden. Diese klare Position hat die Fraktion Die LINKE in den Bundestag eingebracht.  

Eine Million Sanktionen wurden von Seiten der Jobcenter im Jahr 2014 ausgesprochen. Damit werden die Leistungen je nach Sanktionsgrund um 10 Prozent (Meldeversäumnis) bzw. 30 Prozent (sog. Pflichtverletzung) gekürzt. Bei unter 25-Jährigen fallen die Kürzungen noch drastischer aus. In jahresdurchschnittlich 7.500 Fällen wurden die Leistungen komplett gestrichen. Die Sanktionen können kurzfristig auch nicht verhindert werden, weil Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung haben. Sanktionen sind somit der deutlichste Ausdruck des repressiven Hartz-IV-Systems.

Bundesverfassungsgericht muss entscheiden

Die deutlichste Position vertrat in der Anhörung Michael David von der Diakonie: „Das Grundrecht auf ein soziokulturelles Existenzminimum darf nicht beschnitten werden.“ Sanktionen seien daher im Grundsatz nicht zulässig. Sanktionen des Existenzminiums verstießen sowohl gegen die Menschenrechte als auch gegen das Grundgesetz, welches das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiere. Michael David verwies auf das Sozialgerichtgekürzt Gotha, welches die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen bei Hartz IV dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hat. Das Bundesverfassungsgericht wird zu entscheiden haben, ob das Existenzminium gekürzt werden darf, oder genauer: ob das Existenzminimum unter einen Verhaltensvorbehalt gestellt werden darf. Das Ziel der Grundsicherung müsse – so David – die Verbesserung der sozialen Lage der Leistungsberechtigten sein – Sanktionen bewirkten aber das Gegenteil.   

Aber auch die Stellungnahmen und Ausführungen der anderen Sachverständigen verdeutlichten, dass die Sanktionen in der derzeitigen Ausgestaltung nicht zielführend und dringend reformbedürftig sind. Sanktionen in das physische Existenzminimum seien unzulässig (DGB). Die Sanktionen seien „hochgradig disziplinierend“ – so der DGB Vertreter Ingo Kolf – für die Leistungsberechtigten, aber auch für die Arbeitnehmerschaft insgesamt. Die Sanktionen stehen einem vertrauensvollen Verhältnis von Jobcenter und Leistungsberechtigten im Wege – Vertrauen ist aber unverzichtbar, wenn soziale Integration und Unterstützung funktionieren soll. Eine Kürzung der Leistungen führt stattdessen zu massiven sozialen Problemen: Verschuldung – insbesondere informell bei Verwandten und Freunden –, soziale Isolierung und erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit. Die Folgen reichen bis hin zu Wohnungslosigkeit. 

Hartz IV muss parlamentarisch und außerparlamentarisch bekämpft werden

Außer den Wirtschaftsvertretern, die auf Befragung durch die Unionsabgeordneten die Sanktionen für gut und angemessen befanden, waren alle anderen Sachverständigen der Meinung, dass das Sanktionsrecht reformiert und abgemildert werden müsse. Diese Position wurde geteilt von den sozialpolitischen Verbänden, dem DGB, den kommunalen Spitzenverbänden und auch der Bundesagentur für Arbeit. Insbesondere die besonders harte Bestrafung von jungen Leistungsberechtigten bis 25 Jahre sei abzuschaffen, Wohnkosten dürften nicht reduziert werden und das Recht müsse flexibler auch auf Verhaltensänderungen der Sanktionierten reagieren können. Seit längerer Zeit läge der Abschlussbericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur „Rechtvereinfachung im SGB II“ vor, in dem diese Vorschläge zur Reform der Sanktionsrechts gebündelt worden seien.

Die Bundesregierung aber ist untätig und ignoriert offenkundig den dringenden Handlungsbedarf.  

Im Anschluss an die offizielle Ausschussanhörung hat Die LINKE Interessierte und Betroffene zu einem Hearing der Aktivist*innen eingeladen. Wir waren uns einig: Der Kampf gegen Hartz IV muss weitergehen. Viele Betroffene empfanden die Pro-Sanktions-Aussagen einiger Sachverständiger der Anhörung wie aus "einer Parallelwelt" kommend. Klar wurde: Hartz IV muss parlamentarisch und außerparlamentarisch bekämpft werden. Die Aktivist*innen brauchen dazu eine bessere Vernetzung.

linksfraktion.de, 1. Juli 2015