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»Ein demokratischer Rechtsstaat braucht keine Geheimnisse«

Im Wortlaut von Jan Korte, Halina Wawzyniak,

Halina Wawzyniak, netzpolitische Sprecherin, und Jan Korte, Datenschutzbeauftragter und Mitglied im Innenausschuss, erörtern im gemeinsamen Interview die Dimensionen des PRISM-Überwachungsskandals und die Bedeutung von kritischen Bürgerinnen und Bürgern, die Missstände aufdecken, für die Demokratie.

 

Edward Snowden, 29-jähriger Computerspezialist, der im Auftrag des US-amerikanischen Militärgeheimdiensts National Security Agency arbeitete, hat in der vergangenen Woche ein gigantisches Überwachungsprogramm der Behörde aufgedeckt: PRISM. Was beinhaltet das Programm?

Halina Wawzyniak: Nach den Informationen, die Edward Snowden einigen Zeitungen zugespielt hat, überwacht die US-Regierung seit fast sechs Jahren unter anderem Videos, Fotos, E-Mails, Dokumente und Kontaktdaten sowie Chats, Videokonferenzen und Daten in Cloud-Diensten von großen Internetfirmen. Dazu gehören Facebook, Apple, Microsoft und Google. Zwar haben diese Firmen dies umgehend dementiert. Inwieweit dies glaubhaft ist, ist aber zweifelhaft.

Wer ist möglicherweise von dieser Überwachung betroffen?

Halina Wawzyniak: Von der Überwachung sind alle Nutzerinnen und Nutzer dieser Dienste betroffen. Dabei ist es egal, ob sie aus den USA kommen oder nicht. Interessant ist, dass in Europa die meisten Daten aus Deutschland gesammelt wurden.

Wodurch ist dieses Programm der US-Behörden rechtlich gedeckt?

Halina Wawzyniak: Diese Frage ist in den USA umstritten. Die US-Regierung beruft sich auf den Foreign Intelligence Surveillance Act, ein Gesetz, das die Auslandsaufklärung und Spionageabwehr der Vereinigten Staaten regelt. Inwieweit dieser tatsächlich die getroffenen Maßnahmen deckt, müssen im Zweifel US-Gerichte entscheiden.

Wenn auch Bundesbürger von der Überwachung betroffen sind - ist das rechtlich überhaupt haltbar? Haben deutsche Bürgerinnen und Bürger etwas in der Hand, um sich gegen die Überwachung aus den USA zu wehren?

Halina Wawzyniak: Bundesbürgerinnen und -bürger haben kaum eine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Schließlich liegt es in der Logik von Geheimdiensten, sich nicht an nationale Gesetze zu halten. Ein Grund mehr, warum ich die Auflösung aller Geheimdienste fordere. Die sicherste Methode, sich dieser Überwachung zu entziehen, ist selbstverständlich, die betroffenen Dienste nicht zu nutzen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass früher oder später diese Überwachungsmaßnahmen auch auf andere Internetfirmen ausgeweitet werden.

Was wusste die Bundesregierung über die Überwachung durch die US-Behörden?

Jan Korte: Sowohl Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich als auch das Bundesamt für den Verfassungsschutz haben offiziell erklärt, dass sie von PRISM nichts mitbekommen haben und überrascht worden seien. In den nächsten Tagen wird sich wohl herausstellen, ob das stimmt. Man ist – bei aller Erfahrung mit beiden – geneigt, ihnen zu glauben: Beide bekommen schließlich allgemein nicht viel mit. Und der Verfassungsschutz liefert fröhlich weiter Gründe für seine Auflösung, denn Spionageabwehr fällt in seinen Zuständigkeitsbereich. Ich frage mich ernsthaft: Was machen diese Leute da eigentlich den ganzen Tag?

Sind auch deutsche Geheimdienste, etwa der Bundesnachrichtendienst, an der Überwachung von Internet, E-Mails und Telefondaten beteiligt oder betreiben gar eigene Programme?

Jan Korte: Dem Bundesnachrichtendienst ist es im Rahmen der Regelungen des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10-Gesetz) erlaubt, auf den Telekommunikationsverkehr, dazu gehören auch E-Mails, zuzugreifen. Da der BND nicht im Inland aktiv sein darf, darf er aber nur ausländische Kommunikation überwachen, und auch „nur“ 20 Prozent der insgesamt zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität. Fraglich ist dabei nicht nur diese Befugnis, sondern auch, wie kontrolliert wird, dass sowohl dieser Prozentsatz nicht überschritten wird, oder wie technisch zwischen „innerdeutschem“ und „ausländischem“ E-Mail-Verkehr unterschieden werden kann. Ein Grund für die Zurückhaltung der Bundesregierung bei PRISM könnte durchaus sein, dass sie – wenn auch nicht in diesem Umfang – ähnliche Programme betreibt.

Edward Snowden hat mit dem Aufdecken der gigantischen Überwachung einen entschlossenen Schritt getan. Andere, wie der US-Soldat Bradley Manning, der Grausamkeiten der US-Armee im Irak-Krieg öffentlich gemacht hat, haben Höchststrafen zu befürchten. Ist das, was diese sogenannten Whistleblower tun, gefährlich, sind sie "Nestbeschmutzer" oder braucht eine Demokratie solche Menschen, um sich selbst zu schützen?

Jan Korte: Das entscheidende – und das ist es ja, was die US-Regierung so aufregt – ist, dass hier wieder jemand aus seiner demokratischen Überzeugung heraus einen Skandal aufgedeckt hat und damit an die Öffentlichkeit gegangen ist. Edward Snowden hat die Informationen ja nicht an einen fremden Staat verkauft oder auf andere Weise daraus Profit schlagen wollen. Ich bin der Überzeugung, dass ein demokratischer Rechtsstaat keine Geheimnisse braucht. Und dass Demokratie von kritischen Bürgerinnen und Bürgern lebt, die nicht blinden Gehorsam üben, sondern Missstände kritisieren. Das hat Snowden unter einem großen Risiko getan, und dafür hat er größten Respekt verdient.

Wie können "Whistleblower" rechtlich besser geschützt werden?

Jan Korte: In einem internationalen Fall wie Snowden würde es helfen, wenn die Bundesregierung ihm nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes Schutz anbieten würde. Aber auch auf kleinerer Ebene ist es ja ein Problem, dass derjenige, der Korruption, Steuerhinterziehung, oder eben auch staatliches Fehlverhalten aufdeckt, oft mehr Probleme bekommt, als derjenige, der dafür verantwortlich ist. Das können wir nicht akzeptieren. Wir haben bereits Mitte 2011 einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem wir unter anderem einen Schutz vor Benachteiligungen für Hinweisgeber, wie Kündigung, Zwangspensionierung, Karriereeinbußen oder Mobbing fordern. In der Bundesrepublik existieren dazu nur vereinzelte Vorschriften, die in ihrer Anwendung stark beschränkt sind. Deshalb fordern wir hier klare gesetzliche Regelungen.
 

linksfraktion.de, 12. Juni 2013